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"Läuft über drei Schrauben" Wo die AfD schon jetzt an der Demokratie sägt

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Dürften dem Wahltag entspannt entgegenblicken: AfD-Co-Chef Chrupalla und Kanzlerkandidatin Weidel. Die Partei liegt in Umfragen bei rund 20 Prozent.

Dürften dem Wahltag entspannt entgegenblicken: AfD-Co-Chef Chrupalla und Kanzlerkandidatin Weidel. Die Partei liegt in Umfragen bei rund 20 Prozent.

(Foto: picture alliance / Flashpic)

Aller Voraussicht nach wird die AfD ihre Macht bei der kommenden Bundestagswahl verdoppeln. Für die demokratischen Kräfte werde das Dagegenhalten damit immer schwieriger, warnt ein Experte. Zumal die Axt der Rechtspopulisten längst an essenziellen Institutionen von Demokratie und Rechtsstaat liegt.

Das, "was Gerichte irgendwie von sich geben", dem könne sie "überhaupt nichts mehr beimessen". Der Satz von Alice Weidel im Interview mit der "Bild"-Zeitung vor wenigen Tagen kommt beiläufig daher. Auf den ersten Blick ist er kaum mehr als ein hastig gewählter Einschub der AfD-Chefin. Einer, mit dem sie lediglich ihre eigentliche Aussage, Björn Höcke sei trotz seiner Verurteilung wegen Volksverhetzung rundum geeignet für einen Ministerposten, untermauern will. Auf den zweiten Blick jedoch gleicht eben jener Einschub einer rechtsstaatlichen Erosion.

Denn Weidel ist nicht irgendwer. Sie ist Bundestagsabgeordnete und Chefin einer Partei, die laut Umfragen 20 Prozent der Wähler hinter sich versammelt. Und sie drückt nicht etwa ihren Unmut über ein bestimmtes Urteil aus. Vielmehr stellt sie die Unabhängigkeit und damit die Akzeptanz der Justiz insgesamt infrage.

Das Statement zeige die Gefahr der AfD für die Demokratie "wie unter dem Brennglas", sagt Verfassungsrechtler Matthias Goldmann im Gespräch mit ntv.de. Der Jurist der EBS Universität macht deutlich, dass es sich bei Weidels Aussage eben nicht um einen Ausrutscher oder eine aufsehenerregende, aber am Ende harmlose Provokation handelt. Vielmehr entspricht sie zielgenau der Taktik zur Delegitimierung von Demokratie und Rechtsstaat, mit der die AfD schon lange begonnen hat.

Die "Lügenpresse"

Dass die Partei - teils sicher, teils mutmaßlich - verfassungswidrige Ziele verfolgt, haben Verfassungsschutz und Justiz bereits bestätigt. "Über das ethnonationalistische Konzept hinaus beobachten wir, wie die Partei zu einem fundamentalen Umbau des Staates ansetzt", sagt Goldmann. Das dränge sich vermutlich nicht auf, weil es eben "nicht mit einem großen Fackelzug wie im Januar 1933 losgeht". Vielmehr stehen informelle Mechanismen im Fokus der heutigen Rechtspopulisten. "In Ungarn, Polen und nun auch den USA kann man beobachten, wie sich diese vielen kleinen, unscheinbaren Punkte am Ende zu einem Gesamtbild zusammensetzen", erklärt Goldmann. Demnach läuft der Demokratieabbau vor allem über drei Schrauben - drei essentielle Institutionen für die demokratische Grundordnung: Presse, Wissenschaft und Justiz. "Und die Axt der AfD liegt bereits an allen dreien."

Bereits mehrfach versuchte die Partei, Journalisten von Parteitagen und Wahlpartys auszuschließen oder ihre Arbeit vor Ort deutlich zu erschweren. Ginge es nach dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke, wäre der öffentlich-rechtliche Rundfunk längst Geschichte, wie er im vergangenen Wahlkampf mehrfach betonte. Nun ist - derzeit - weder die Abschaffung des Rundfunkstaatsvertrages realistisch, noch eine direkte Einflussnahme auf die Inhalte. Goldmann erinnert an den pluralistisch zusammengesetzten Rundfunkrat. Allerdings seien dies nicht die einzigen Hebel, um die Arbeit der Medien zu beeinflussen. Das Stichwort laute "weiche Steuerung".

So gehören Begriffe wie "Systemmedien", "Mainstream-Medien", und "Lügenpresse" seit Jahren zum Standardrepertoire der AfD. Immer wieder werden kritische Berichte als Falschbehauptung oder staatsgesteuert diskreditiert. Regelmäßig werden Journalisten bei kritischen Fragen an den Pranger gestellt. Immer wieder präsentiert sich die Partei als Opfer "links-ideologischer Propaganda". Für Weidel ist die Recherche zu einem geheimen Treffen zwischen Rechtsextremen und AfD-Politikern im Herbst 2023 etwa kaum mehr als einer "der größten, ungeheuerlichsten Medienskandale der Bundesrepublik Deutschland".

Wissenschaftler am Pranger

"Die Partei verwendet viel Kraft darauf, die Glaubwürdigkeit der Medien zu attackieren", erklärt Goldmann. Eine Art rhetorische Delegitimierung der vierten Staatsgewalt - die durchaus Erfolg hat. So verfangen die Behauptungen laut dem Verfassungsrechtler zunehmend auch in der Mitte von Politik und Gesellschaft. Die Folge: "Schon jetzt knicken Intendanten öfter ein. Beiträge werden zurückgezogen oder freie Journalisten bekommen keine Aufträge mehr. Und zwar nicht aus rechtlichen Gründen oder wegen Verletzung journalistischer Prinzipien, sondern aus politischen Gründen." Das, mahnt der Experte, "könnten wir in Zukunft öfter sehen".

Dass die AfD nicht nur die Presse, sondern auch die unabhängige Wissenschaft im Blick hat, wurde spätestens in Weidels Parteirede Anfang Januar deutlich. "Wir schließen alle Gender Studies und schmeißen alle diese Professoren raus", rief sie in aggressivem Ton ins Mikrofon. Im Wahlprogramm warnt die Partei vor einer "zunehmenden Einflussnahme 'woker' Ideologie in den Universitäten". Wissenschaftler prangerten prompt einen "Angriff auf die Freiheit von Forschung und Lehre" an.

Dabei ist es nicht die erste Attacke der Partei in diese Richtung. Vielmehr gerät ein Forschungsfeld dann ins Schussfeld der AfD, sobald es sich nicht in die Positionen der Partei fügt. Immer wieder diskreditieren Parteimitglieder Ergebnisse und Forscher der Klimawissenschaft. Während und nach der Corona-Hochzeit geriet die Pandemieforschung ins Visier. Verschwörungsglauben wurde befeuert, Virologen wie Christian Drosten der Kampf angesagt. "Auch hier verfangen die Diskreditierungen und Delegitimierungen, bei Anhängern der Partei, aber immer mehr auch in der Mitte", sagt Goldmann. "Wir erinnern uns etwa an Wissenschaftler, die auf der Titelseite der 'Bild' an den Pranger gestellt wurden." Der Presserat hatte damals ein Verfahren gegen die Zeitung eingeleitet. Mehrfach wurde Drosten auf offener Straße angefeindet.

"Nun geht es an die Gerichte"

Genau diese Stimmungsmache der AfD trifft laut Goldmann nun auf eine offene Flanke an den Hochschulen. So seien diese finanziell deutlich abhängiger von der Politik geworden. Vor diesem Hintergrund würden die Institutionen bei Kritik deutlich schneller einknicken. Der Verfassungsrechtler verweist auf die hitzigen Debatten um propalästinensische Proteste und die jüngst verabschiedete Antisemitismus-Resolution des Bundestags. In der Folge höre er beinahe täglich von abgesagten Veranstaltungen. "Hier reicht momentan die schlichte Behauptung, es könne zu antisemitischen Aussagen kommen, um Verbote auszusprechen, ohne dass eine sorgfältige Prognose erstellt wird." In anderen Worten: "Es werden gerade Präzedenzfälle für politische Einflussnahme auf die Wissenschaft geschaffen." Dies werde der AfD, der es momentan gelingt, den politischen Diskurs immer mehr in ihre Richtung zu ziehen und die Forschung längst als Schlüssel erkannt hat, weiter in die Karten spielen.

"Da die Delegitimierung von Presse und Wissenschaft bereits in vollem Gange ist, geht es nun an die Gerichte", sagt Goldmann mit Blick auf Weidels eingangs erwähnten Einschub. Als Kontrollorgan der Exekutive ist die Justiz antidemokratischen Kräften ein besonderer Dorn im Auge. Umgekehrt kann eine umgestaltete Justiz durchaus nützlich für die eigenen Interessen sein.

Das hat auch die AfD längst erkannt. So riefen Parteimitglieder, darunter Höcke, ihre Anhänger mehrfach zur Bewerbung um ein Schöffenamt auf. Das Amt ist aus mehreren Gründen attraktiv: Eine Prüfung der Kandidaten auf Verfassungstreue gibt es - je nach Bundesland - kaum oder gar nicht. Einmal im Amt, ist der Einfluss von Schöffen auf das Urteil im Strafprozess jedoch durchaus hoch. Ihre Stimme zählt genau so viel wie die der Berufsrichter. Das heißt: In schwereren Fällen wie Mord oder Totschlag hätten sie mindestens eine Sperrminorität, bei leichteren Delikten am Amtsgericht könnten die Laienrichter den Berufsrichter sogar überstimmen.

"Genau das eingetreten, was wir vorhergesagt haben"

Dass es in der 2024 gestarteten Amtsperiode auch Schöffen mit verfassungsfeindlichen Tendenzen auf die Richterbank geschafft haben, zeigt etwa der Fall eines Laienrichters in Oldenburg aus dem vergangenen Monat. Kurz bevor er im Prozess eines rumänischen Staatsangehörigen urteilen sollte, fielen einer Zeitung seine rassistischen Posts auf, woraufhin er seines Amtes enthoben wurde. Allerdings dürfte dieser Fall lediglich zur Spitze des Eisbergs gehören. Wegen der fehlenden Transparenz bei der Auswahl der Laienrichter sei von einer hohen Dunkelziffer an verfassungsfeindlichen Schöffen auszugehen, sagte Andreas Höhne, Präsident des Schöffen-Bundesverbands, dem Portal "Correctiv".

Zu der aktiven Einflussnahme kommt schließlich die Blockade der Justiz, wie Verfassungsrechtler Goldmann betont. Das sehe man par excellence in Thüringen, wo die AfD nach den Landtagswahlen im vergangenen Herbst mehr als 30 Prozent und damit eine Sperrminorität erreichte. "Es ist genau das eingetreten, was wir vorhergesagt haben: Die AfD blockiert die Bildung eines Richterwahlausschusses." Die Folge: Beförderungen und Einstellungen bleiben aus. "Sie schaffen es beispielsweise nicht mehr, Richter auf Lebenszeit zu ernennen, die auch bei einem Regierungswechsel Gewähr dafür bieten, nur nach Recht und Gesetz zu entscheiden."

Vor allem aber können schon jetzt dringend benötigte Richterstellen nicht nachbesetzt werden. "Und die Pensionierungswelle ist gerade erst gestartet", fügt Goldmann hinzu. Das Problem klinge erst einmal abstrakt. Aber man müsse sich klarmachen, was das bedeutet: "Im Zweifel sitzt da einfach keiner mehr im Richterzimmer, der Demos genehmigen oder das Recht von Wissenschaftlern schützen kann. Oder aber die Bürger müssen elendig lang auf ihren Zivilprozess warten." Kurzum: Thüringen droht die Lahmlegung der Justiz - und damit der Vertrauensverlust der Bürger in die Demokratie, wie die Neue Richtervereinigung deutlich macht.

Weder Fackelmarsch noch Brechstange

Damit hätte die AfD einen Meilenstein erreicht. Denn die Partei nehme die Störung der demokratischen Kräfte nicht nur in Kauf, um ihre Ziele zu erreichen, so Goldmann. "Die Störung der demokratischen Kräfte gehört zu ihren Zielen." Wie schnell diese erreicht werden können, auch im Bund, zeige die Bundestagskrise vor rund drei Wochen. Die Union reichte einen Migrationsantrag ein, eine Mehrheit kam erstmals durch die Stimmen der AfD zustande. Der Jubel der Rechtspopulisten war enorm, die Kritik an der bröckelnden Brandmauer ist es noch immer.

"Hier darf man aber den Bock nicht zum Gärtner machen", mahnt Goldmann. "Die Union hat vielleicht fahrlässig gehandelt. Aber es liegt eben in der Natur der Sache, dass prekäre Mehrheiten von rechtsextremen Kräften ausgenutzt werden." In Bezug auf die sich voraussichtlich verdoppelnde AfD-Fraktion sei die Gefahr daher groß: Für die demokratischen Kräfte wird es deutlich schwerer, Mehrheiten zu bilden - ohne sich auf die Rechtspopulisten einzulassen. "Genau das haben wir in der Weimarer Republik gesehen", sagt Goldmann. Je stärker die NSDAP und andere rechtsradikale Kräfte wurden, desto größer wurde die Unterminierung. "Am Ende ist das Zusammenspiel der demokratischen Kräfte kollabiert."

Deutlich wird: Es braucht weder Fackelmarsch noch Brechstange, um der Demokratie zu schaden. Der AfD genügen die Mittel, die ihr als politische Partei und als Akteur im Rechtsstaat schon jetzt zustehen, um demokratischen und rechtsstaatlichen Institutionen gefährlich nahezukommen. Marie Müller-Elmau beschrieb das im Gespräch mit ntv.de einmal als "Systemveränderung von innen".

Versäumte Sicherung

Ein wasserdichtes Sicherungssystem oder gar eine Lex AfD könne es schon aus der Natur der Sache heraus nicht geben, fügte sie hinzu. Denn würde sich die demokratische Verfassung für jeden nur denkbaren Eingriff wappnen, "würden wir ja selbst in den Autoritarismus abrutschen". Die Demokratie ist grundsätzlich auf gutwillige Akteure angewiesen.

Mit einigen wenigen Ausnahmen. Durch die Möglichkeit eines Parteiverbotsverfahrens soll verfassungswidrigen Kräften die Chance genommen werden, an demokratischen Wahlen teilzunehmen. Zu einem Antrag für ein AfD-Verbotsverfahren konnte sich jedoch bisher weder die Bundesregierung noch der Bundestag durchringen. "Ein großer Fehler", sagt Goldmann. Durch die voraussichtliche Kräfteverschiebung nach der Bundestagswahl werde es noch einmal deutlich schwieriger, auf die nötigen Stimmen für einen Antrag zu kommen. "Die AfD wird also weiter an demokratischen Pfeilern sägen - und zwar so lange, bis sich das System nicht mehr wehren kann." Viele effiziente Abwehrmöglichkeiten blieben nicht. "Es gibt die Brandmauer der politischen Mitte, die es nun wieder standhaft zu machen gilt", sagt Goldmauer. Und es gibt die Wahlen.

Quelle: ntv.de

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