Ampeltalk bei Illner Wüst zu Bauernprotesten: "Ampel hat die Lage völlig unterschätzt"
12.01.2024, 08:31 Uhr Artikel anhören
Bauernprotest in Hamburg: Özdemir macht auch die Landwirtschaftspolitik der vergangenen Jahrzehnte für die Unzufriedenheit verantwortlich.
(Foto: picture alliance /)
Auf die Ampelkoalition kommt ein schweres Jahr zu. Die Bauernproteste in dieser Woche sind nur der Anfang. Ein Sparhaushalt und vier Wahlen müssen bewältigt werden. Wie soll das gelingen? Die Koalitionäre müssten dringend ihren Regierungsstil ändern, finden die Gäste bei Maybrit Illner.
So turbulent dürfte wohl kaum ein Jahr für eine Bundesregierung begonnen haben. Mit eindrucksvollen Trecker-Konvois haben die Bauern in dieser Woche gegen das Auslaufen der Subvention für Agrardiesel demonstriert. Kommenden Montag gibt es ein Treffen mit den Fraktionsvorsitzenden der Ampelparteien. Doch dass die Regierung zu Kreuze kriecht, ist unwahrscheinlich. Sie hatte bereits eine ursprünglich geplante Streichung der KFZ-Steuer für Agrarfahrzeuge zurückgenommen. Damit sollten Haushaltslöcher gestopft werden, für die die Ampelparteien verantwortlich sind.
In der ZDF-Sendung Maybrit Illner diskutieren die Gäste über die Landwirtschaftspolitik, doch es geht auch um den Regierungsstil der Koalition. Der hatte zuletzt zu einem Umfragetief der Regierungsparteien geführt. Gleichzeitig legt die AfD in Umfragen immer weiter zu, besonders in Ostdeutschland, wo im September in drei Bundesländern neue Landtage gewählt werden.
"Von mir aus hätte es die Beschlüsse nicht gebraucht"
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir von den Grünen hatte die Beschlüsse von Bundeskanzler Scholz, Finanzminister Lindner und Wirtschaftsminister Habeck als erster Bundesminister kritisiert. Sie seien "holterdiepolter" gekommen – und ohne, dass die Landwirtschaft vorher konsultiert worden sei. "Das macht man eigentlich nicht", so Özdemir bei Illner. Nun habe es Korrekturen gegeben, wenn auch etwas spät. Özdemir: "Aber ich habe eigentlich das Gefühl, der Agrardiesel ist eine Metapher für ein dahinterliegendes Problem, und das ist die Frage, welche Rolle das Land und die Landwirtschaft hat, und die Unsicherheit, die viele Landwirte haben durch eine verfehlte Landwirtschaftspolitik der letzten Jahrzehnte. Und da kann ich nur sagen: Das können wir nur gemeinsam ändern." Den nun getroffenen Kompromiss habe er unterschreiben müssen oder unterschrieben, sagt Özdemir. "Wenn es rein nach mir gehen würde, hätte es die Beschlüsse nicht gebraucht, aber am Ende ist es immer ein Kompromiss."
Ein Kompromiss, mit dem NRW-Ministerpräsident Hendrik Wüst von der CDU nicht einverstanden ist. "Ich glaube, die Ampel hat völlig unterschätzt, wie die Lage auf den Bauernhöfen ist", sagt er bei Maybrit Illner. "Ich erlebe zum ersten Mal, dass eine junge Generation die Höfe übernimmt und nicht investiert." Landwirte hätten in den letzten Jahren einige Verschlechterungen hingenommen, so Wüst. Als Beispiele nennt er Kürzungen bei der Unfallkasse, geplante Änderungen bei der Umsatzsteuerpauschalierung, bei den "Förderprogrammen Gemeinschaftsaufgabe" sei bereits gekürzt worden.
Damit wollten Bund und Länder den ländlichen Raum im vergangenen Jahr mit 1,9 Milliarden Euro fördern, die gleiche Summe sollte bis 2026 jährlich fließen. Dieses Programm sei gekürzt worden, und niemand habe dagegen protestiert, so Wüst. "Die Bauern sollen die verfassungswidrige Haushaltspolitik der Ampel bezahlen, und deswegen geht man auf die Straße, und deswegen müssen diese Beschlüsse auch komplett zurückgenommen werden. Diese Beschlüsse müssen vom Tisch", so Wüst wörtlich. Wolle man heimische Lebensmittel haben, müsse es einen fairen Deal geben zwischen der Gesellschaftspolitik und der Landwirtschaft.
Der Präsident des Ifo Instituts, Clemens Fuest, kritisiert ebenfalls die Beschlüsse der Bundesregierung, durch die die Landwirte überproportional belastet worden seien. Und er kritisiert einen weiteren Punkt: Es sei zwar richtig, dass die Subventionierung des Agrardiesels wegfallen solle, denn man wolle fossile Brennstoffe nicht mehr fördern. "Das Problem ist nur: Das darf man jetzt nicht vermischen mit einem Konsolidierungspakt. Das wussten doch alle Beteiligten, dass das unter keinen Umständen durchgeht, dass dann die Trecker in Sternfahrten kommen. Da musste man kein Prophet sein, um das vorherzusagen."
Maria Fiedler vom Spiegel sieht ein grundsätzliches Problem: Man könne der Allgemeinheit diesen Regierungsmodus der Ampel nicht länger zumuten, sagt die Journalistin. "Wenn man Beschlüsse trifft, dann muss man auch dahinterstehen." Jetzt dürfe die Ampel nicht alle bereits gefassten Beschlüsse in der Agrarpolitik streichen. Das würde bedeuten, dass sie sich von der Straße unter Druck setzen ließe. "Das wäre ein schlechtes Signal."
Die Schriftstellerin und ehrenamtliche Verfassungsrichterin in Brandenburg, Juli Zeh, widerspricht. Streit in den Parteien gehöre zum demokratischen Prozess. Das aktuelle Agieren der Bundesregierung zeige, dass die Ohren in Berlin offen seien und dass eine demokratische Meinungsäußerung auch Auswirkungen haben könne.
"Es ist unser gemeinsames Ding"
Für die Zukunft wünscht sich Zeh eine deutliche Änderung der Kommunikation der Bundesregierung. "Wir brauchen eine andere Ansprache: Schluss mit Augenhöhe, Doppel-Wumms, und alles, was nach Kindergarten klingt, muss weg. Sachlich, erwachsen, ehrlich, auch mal was Unangenehmes, aber immer mit dem Gefühl, es ist unsere Politik. Nicht die da oben machen etwas mit dem Land, sondern es ist unser gemeinsames Ding, das wir irgendwie in den Griff kriegen müssen."
Hendrik Wüst fordert vor allem Geschlossenheit in der Ampelkoalition. Die müsse weg von der Verbotspolitik: "Dem Bürger was zumuten, ihm aber auch die Freiheit und Verantwortung zumuten, seine Entscheidungen selbst zu treffen." An Neuwahlen in diesem Jahr glaubt er nicht. Auch wenn die Bundesregierung in allen anderen Punkten zerstritten sei, in der Ablehnung von Neuwahlen sei sie sich einig.
"Man muss keine Neuwahlen heraufbeschwören", bestätigt Özdemir. "Die Ampel muss endlich mal aufhören, sich mit sich selbst zu beschäftigen, sondern das, was sie eigentlich gar nicht schlecht macht, das Vernünftige nach vorne bringen." Und er fordert die Opposition auf, gemeinsam mit der Ampel gegen die AFD zu kämpfen: "Wir sind jetzt aufgefordert als Demokraten, das Land in der Mitte zusammenzuhalten."
Quelle: ntv.de