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Grüne in Berlin und Bund stabil Abgestraft werden immer nur die anderen

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Die Bundesvorsitzenden und ihre Berliner Spitzenkandidatin: Ricarda Lang, Bettina Jarasch und Omid Nouripour.

(Foto: picture alliance/dpa)

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Die Grünen werden eher nicht die nächste Regierende Bürgermeisterin stellen. Dennoch ist ihr Wahlergebnis, gleichauf mit der SPD, eine kleine Sensation. Denn ob in Ländern oder Bund: Anders als ihre jeweiligen Koalitionspartner werden die Grünen fürs Regieren nicht abgestraft.

Manchmal sind es die kleinen Dinge im Leben. 0,5 ist so eine kleine Zahl. So wenige Prozentpunkte haben die Grünen nach Zweitstimmen bei der Wiederholung der Berliner Abgeordnetenhauswahl verloren. Und das, obwohl rund 70 Prozent der Berlinerinnen und Berliner unzufrieden waren mit der Arbeit des rot-grün-roten Senats. Doch die Quittung dafür kassierten vor allem SPD und Linkspartei. Eine andere kleine Zahl lautet 17 Prozent: So wenige Berliner wollten Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch wählen, wenn sie den Regierenden Bürgermeister direkt bestimmen könnten.

Vor der Wahlwiederholung sprach einiges gegen einen Wahlerfolg der Grünen. Dennoch haben sie ihr Rekordwahlergebnis von 2021 beinahe wiederholen können und liegen damit diesmal fast gleichauf mit der SPD. Merke: Den Grünen hat das Regieren in der Hauptstadt nicht geschadet. Daran ändert auch nichts, dass sie als Drittplatzierte knapp hinter der SPD keine Aussichten auf die Regierungsführung in einem grün-rot-roten Bündnis haben - 105 Stimmen Differenz hin oder her.

Die Berlin-Wahl 2023 bestätigt eine Entwicklung, die schon länger zu beobachten ist. Auch im Bundestrend ist die Zustimmung zu der Partei konstant hoch. Selbst wenn sie im RTL/ntv-Trendbarometer zuletzt wieder hinter die SPD zurückfielen, erfahren die Grünen seit ihrem Eintritt in die Ampelkoalition zuverlässig mehr Zustimmung als bei der letzten Bundestagswahl. Dabei waren die damaligen 14,8 Prozent schon ein Rekordergebnis für die inzwischen auch schon 41 Jahre alte Partei. Davon können FDP und SPD nur träumen. Vor allem die FDP fing sich bei allen vergangenen fünf Landtagswahlen nur noch Klatschen, verpasste drei Mal den Einzug ins Parlament. Bei den Grünen war einzig das Wahlergebnis im Saarland enttäuschend, doch der dortige Landesverband ist ein Spezialfall.

Wählerklientel verstetigt

Der hohe Zuspruch wäre weniger verwunderlich, würden die Grünen auch politisch einen Erfolg nach dem anderen feiern. Doch tatsächlich musste die Partei gerade im Bund reichlich Kröten schlucken: von der Ablehnung des Tempolimits im Koalitionsvertrag über die Laufzeitverlängerung für Kohle- und Atomkraftwerke bis hin zu den Protesten in Lützerath. Nichts davon hat an den guten Umfragewerten der Grünen gerüttelt. Auch die Parteibasis rumort nicht. Keine andere Partei in Deutschland regiert so selig wie die der einstigen Strickpullover-Revoluzzer und Castor-Gegner. Mit denen hat die dritte Generation in der Grünen-Parteiführung aber auch nur noch wenig gemein.

Die Grünen sind in den vergangenen Jahren nicht nur bis auf Augenhöhe an die SPD herangewachsen, sie haben ihre Wählerbasis auch verstetigt. Wer diese Wähler typischerweise sind, zeigt die Wahlergebniskarte von Berlin ganz gut: Innerhalb des sogenannten Rings, der von der S-Bahn umschlossenen Innenstadt, ist die Karte grün. Außerhalb ist sie schwarz. In der City leben bei Weitem nicht nur Sehr-gut-Verdiener, wie manch einer die Grünen-Wähler einschätzt. Aber in Kreuzberg-Friedrichshain sowie in Teilen Neuköllns, Schöneberg-Tempelhofs und Prenzlauer Bergs ist ein junges urbanes Milieu heimisch: relativ jung, gut ausgebildet, oft akademisch, oft mit Kindern und ebenso oft ohne eigenes Auto. Dieses Klientel, das deutschlandweit inzwischen in jeder kleinen und größeren Stadt zu finden ist, weist eine offensichtlich stabile Parteibindung auf. Fast so, wie sie die SPD einmal bei den Arbeitern hatte oder die FDP bei den Handwerkern.

Der Aufschrei der PKW-Pendler ändert wenig

Für die Grünen ist das durchaus Grund zur Freude: Auf einer stabilen Wählerbasis lässt sich aufbauen. Doch die Frage nach dem Wie ist unter den Vorsitzenden Ricarda Lang und Omid Nouripour bislang genauso unbeantwortet wie bei ihren Vorgängern Annalena Baerbock und Robert Habeck. Die Partei bleibt auf dem Land (beziehungsweise Berlin-Spandau) schwach, im Osten sowieso und erst recht bei Geringverdienern, die sich trotz des sozialpolitischen Profils der Partei wenig von den Grünen versprechen. Und sie erreicht die Älteren nicht. Bei den unter 60-Jährigen waren die Grünen in Berlin laut Infratest Dimap mit 24 Prozent stärkste Kraft. Bei den über 60-Jährigen wählten gerade einmal 9 Prozent die Jarasch-Partei.

Viele der täglich mit dem PKW pendelnden Eigenheimbesitzer, ob sie nun am Rand Berlins oder in einem Dorf fernab einer Metropole leben, fühlen sich von der Verkehrswende-Partei weitgehend unverstanden. So gesehen war die Aufregung über die Sperrung der Berliner Flaniermeile Friedrichstraße für PKW und das Grünen-Ansinnen, die Zahl der Parkplätze in der Hauptstadt zu halbieren, exemplarisch: Der Aufschrei einer großen Bevölkerungsgruppe war groß, doch die Grünen-Klientel ficht das nicht an. Und anders als die Kernklientel manch anderer Parteien gehen die grün-urbanen Akademiker vergleichsweise zuverlässig wählen. Insbesondere Deutschlands einstiger Großstadtpartei SPD, die nach zwei Jahrzehnten ihre Regierungsrolle in Berlin verloren haben könnte, wird diese Entwicklung noch länger Kopfzerbrechen bereiten.

Quelle: ntv.de

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