
Auch der Gedenkmarsch am Samstag in Hanau stand ganz im Zeichen von "Say their Names".
(Foto: picture alliance/dpa)
Im Gedenken an den Anschlag von Hanau liegt der Fokus auf den Opfern statt auf dem Täter. Das ist keine Selbstverständlichkeit - und dem Einsatz der Hinterbliebenen zu verdanken.
Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov. Wenn heute, am vierten Jahrestag der rassistischen Morde von Hanau, in zahlreichen Städten Menschen auf die Straße gehen, dann werden die Namen und Gesichter der neun Ermordeten allgegenwärtig sein. Sie bestimmen das Gedenken, es sind ihre Geschichten, die erzählt werden. Eine solche Erinnerungskultur erscheint folgerichtig, ist aber mitnichten eine Selbstverständlichkeit.
Bereits kurz nach dem Anschlag am 19. Februar 2020 brachten Nutzer in den sozialen Medien ihre Trauer zum Ausdruck, in dem sie Bilder der Opfer posteten. Solche Beiträge begleitet bis heute ein Hashtag: "Say their Names", "Sagt ihre Namen". Dabei handelt es sich um ein Konzept, das aus den USA stammt und als "Say her Name", sprich, "Sag ihren Namen" begann. Opfer von Polizeigewalt sollten keine bloße Statistik mehr sein, sondern sichtbar gemacht werden, um aufzuzeigen, dass schwarze Frauen unverhältnismäßig oft davon betroffen sind.
Familien gründen Initiative
Der Erinnerung an Hanau liegt jedoch kein verselbstständigter Social-Media-Trend zugrunde. Nur Tage nach der Tat schlossen sich die Hinterblieben in der "Initiative 19. Februar Hanau" zusammen. Im Zustand tiefster Trauer erschufen sie einen gemeinsamen Raum, um sich Halt zu geben - und um zu kämpfen: für Aufklärung und gegen das Vergessen.
Dies war wohl auch der Vorahnung geschuldet, dass insbesondere Menschen mit Migrationsgeschichte ein laustarkes Sprachrohr benötigen, um in diesem Land überhaupt gehört zu werden. Die Erfahrung der NSU-Morde hatte sich eingebrannt. Mit dem Begriff "Döner-Morde" vollzogen Medien lange Zeit eine Täter-Opfer-Umkehr, der Staat entzieht sich nach Überzeugung der Angehörigen der NSU-Opfer seiner Mitverantwortung.
Tatsächlich trat nach Hanau die beschämende Notwendigkeit nach zivilgesellschaftlichem Druck erneut zutage. Erst durch den unermüdlichen Einsatz der Initiative wurden Ungereimtheiten wie der verschlossene Notausgang an einem der Tatorte und offenkundiges Staatsversagen wie die tote Notrufleitung oder die Waffenbesitzerlaubnis des Täters zum Politikum. Der Untersuchungsausschuss im hessischen Landtag gestand vergangenes Jahr Fehler ein, ohne echte Konsequenzen zu ziehen.
Erinnern gegen das Vergessen
Der Kampf der "Initiative 19. Februar Hanau" um Gerechtigkeit geht also weiter. Doch ihre unumstößliche Errungenschaft ist die Erinnerung. Das Mördertrio des NSU etwa hat abscheuliche Berühmtheit erlangt. Der norwegische Rechtsterrorist Anders Breivik wird in den menschenverachtenden Ecken des Internets verehrt, seine 77 Opfer hingegen kennt kaum jemand.
Das Attentat von Hanau brachte einen Wandel in der Gedenkkultur. Von Beginn an rückten die Angehörigen die Namen der Toten in den Vordergrund, sorgten dafür, dass aus Zahlen Menschen wurden. Den Namen des Täters nennen sie nicht, auch dieser Text verzichtet darauf. Der Mann war ein wahnhafter Rassist, der für sein eigenes Versagen Menschen verantwortlich machte, die in seinen Augen nicht Deutsch genug waren.
Die Opfer aber sind unvergessen. Ihre Gesichter blicken uns an: von Stickern, T-Shirts, Plakaten und Wandgemälden. "Say their Names" bestimmt auch zum vierten Jahrestag die Anteilnahme, ob sie vom Bundeskanzler kommt oder von Demonstrierenden auf der Straße. Rassismus tötet, und weil ihre Namen trauriger Beleg dafür sind, müssen sie genannt werden: Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtović, Vili Viorel Păun, Fatih Saraçoğlu, Ferhat Unvar, Kaloyan Velkov.
Quelle: ntv.de