
Spahn muss im März endlich glänzen.
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Im Netz diffuser Verantwortlichkeiten ist lange kaum aufgefallen, wie sehr die Pandemie-Bekämpfung auch am Bundesgesundheitsministerium hakt. Die beschlossenen Lockerungen sind eine Wette darauf, dass Minister Spahn im März endlich berechtigten Erwartungen gerecht wird.
Ob Jens Spahn eines Tages das Weihnachtsfest 2020 als seinen Ikarus-Moment begreifen wird? Als den Moment, als er zu hoch fliegen wollte, sich die Flügel verbrannte und im öffentlichen Ansehen abstürzte? Noch ist das nicht ausgemacht. Aber spätestens seit den Feiertagen, in denen der 40-Jährige mehrere CDU-Politiker abtelefonierte, um seine Kanzler-Chancen zu eruieren, befinden sich Leistung und Außenwirkung des CDU-Hoffnungsträgers im beschleunigten Sinkflug. Spahn bleiben nach der gestrigen Ministerpräsidentenkonferenz rund vier Wochen, um das Höhenruder noch einmal herumzureißen. Man muss ihm dabei unbedingt gutes Gelingen wünschen: Deutschlands Weg aus der Pandemie und die weitere Karriere des Bundesgesundheitsministers sind miteinander eng verknüpft.
Es kommt im föderalen System praktisch nie vor, dass ein einzelner Bundesminister das Schicksal der ganzen Republik in der Hand hält. Spahn aber ist in der Pandemie unverhofft so viel Wirkungsmacht zugefallen. In einer diffusen und historisch einmaligen Situation machte der Münsterländer lange Zeit keine schlechte Figur: Deutschland war vergleichsweise gut durch den ersten Lockdown gekommen; nicht zuletzt, weil Spahn die Notwendigkeit getroffener Maßnahmen rhetorisch gut vermitteln konnte; einen guten Ton zwischen Besorgnis und Besonnenheit traf.
Seither aber ist es ihm und seinen Mitarbeitern immer weniger gelungen, vor die Lage zu kommen. Das gilt für die Maskenbeschaffung, für die Situation in Kliniken und auf Pflegestationen, für die Impfstrategie und nun auch für die Teststrategie, die den Mittwochnacht beschlossenen Lockerungskurs absichern soll. Bei jedem dieser Aspekte spielten auch die Länder ihre Rolle, doch ein Bundesminister mit voller Rückendeckung der Kanzlerin verfügt über eine Autorität, mit der er sinnvolle Vorhaben durchsetzen kann. Vorausgesetzt, er hat sie in petto.
Lange Liste an Enttäuschungen
Corona-Tote sind vor allem in den Pflegeheimen zu beklagen, wo vor allem die auf Kosteneffizienz getrimmte Personalsituation - die meisten Heime müssen Renditen erwirtschaften! - vielerorts einen sicheren Pandemie-Betrieb unmöglich machte. Noch im Dezember beklagten die privaten Heimbetreiber, die Absicherung via Schnelltests nicht umsetzen zu können. Die Kliniken wiederum bekamen vom Bund zwar tatsächlich Betten und finanzielle Hilfen für ihre Covid-Stationen, sind aber trotzdem finanziell oft überfordert. Krankenpfleger, die den größten Anteil daran haben, dass das Gesundheitssystem nicht wie befürchtet überlastet wurde, haben Spahns Corona-Bonus oft nicht bekommen. Die Corona-Warn-App ist eine teure Enttäuschung.
Die Maskenanschaffung verlief erst schleppend und dann aus dem Ruder. Das Bundesministerium sieht sich einer Welle von Rechtsstreitigkeiten mit Lieferanten ausgesetzt. Im politischen Berlin wird geunkt, dass die Affäre Nüßlein nicht der letzte Fall dubioser Interessenkollision im Zusammenhang mit Maskeneinkäufen bleibt. Hinzukommen Berichte über deplatzierte Spendenpartys. Die Kosten für die kostenlosen FFP2-Masken für die über 60-Jährigen sind mit 70 Euro pro berechtigtem Empfänger aberwitzig. Dass das Bundesgesundheitsministerium noch immer an der Impfverordnung rumdoktert, die das Massenimpfen durch niedergelassene Ärzte ab April ermöglichen soll, ist mindestens besorgniserregend. Unverständlich zudem das starre Festhalten an der von der StIKo empfohlenen Impfreihenfolge, als diese schon längst von der Realität der Astrazeneca-Skepsis überholt war.
Testen allein ist keine Strategie
Und nun also die Teststrategie: Spahns Ministerium wehrt sich nach Kräften gegen den Eindruck, es stünden nicht genügend Schnelltests zur Verfügung und die neuartigen Selbsttests seien nicht ordentlich bestellt worden. Doch die Realität spricht eine eindeutige Sprache: Es gibt Anfang März keine Gratis-Schnelltests in dem Umfang, wie es Spahn noch vor kurzem verlautbart hat. Selbsttests werden vermutlich zur Verfügung stehen, aber was die Bevölkerung genau damit anfangen soll, ist nicht klar kommuniziert. Die Teststrategie ist keine.
Spahn und sein Ministerium sind nach monatelangem Lockdown nicht vor der Lage, sondern wie so oft hinterher. Gelockert wird jetzt trotzdem, im Vertrauen darauf, dass ein kohärentes Testen und ein effizientes Massenimpfen noch im März irgendwie auf die Beine gestellt werden. Geht die Wette auf, kann für Deutschland und für Spahns politische Karriere schon im Mai wieder die Sonne scheinen. Wenn nicht, wird es düster, und zwar für alle Beteiligten.
Quelle: ntv.de