Person der Woche Boris Johnson flirtet schon mit seinem Comeback
06.09.2022, 11:06 Uhr Artikel anhören

2014 veröffentlichte Boris Johnson ein Buch über Winston Churchill. Ihm will er möglicherweise auch mit Blick auf ein Comeback nacheifern.
(Foto: picture alliance / dpa)
Im Machtkampf um den Premierministerposten hat Liz Truss gewonnen. Doch an der Parteibasis der Torys wächst bereits die Sehnsucht nach einem Comeback von Boris Johnson. Er könnte zurückkommen - wie weiland sein großes Vorbild Winston Churchill.
Liz Truss zieht heute als neue britische Premierministerin in der Downing Street ein. Doch der Schatten des schillernden Vorgängers liegt nicht nur über ihr - sondern auch vor ihr. Denn Boris Johnson liebäugelt mit einem Comeback und könnte irgendwann der Nachfolger seiner Nachfolgerin werden.
Innerhalb der konservativen Partei hat sich die Bewegung "Bring back Boris" formiert und gewinnt mächtig Zulauf. Eine entsprechende Petition ist von Tausenden Parteimitgliedern bereits unterschrieben und täglich werden es mehr. Auch die altehrwürdige Tageszeitung "The Times" veröffentlicht unter eben genau der griffigen Schlagzeile "Bring back Boris" eine Umfrage unter Tory-Wählern, wonach der scheidende Premier mit großem Abstand der Liebling geblieben ist. Demnach versammelt der scheidende Premierminister mehr Fans hinter sich als Truss und der zweite Nachfolgekandidat Rishi Sunak zusammen. Vor allem im Norden Englands, wo man 2019 erstmals so klar für die Konservativen gestimmt hat, stößt Johnson noch immer auf helle Begeisterung. Eine Mehrheit der Torys hält Johnson Rücktritt inzwischen für falsch.
Das Geraune um ein mögliches Comeback befeuert Johnson genüsslich selbst. Seine letzte Fragestunde im Unterhaus beendete er grinsend mit den Worten "Hasta la vista, baby". Seine Antwort auf die Frage, ob er irgendwann ins Amt zurückkehren und was für ein Abgeordneter er künftig sein werde, kann man wie eine versteckte Drohung an seine Nachfolgerin lesen: "Time will tell", die Zeit wird es zeigen.
Liz Truss als Johnsons "menschliche Handgranate"
Unterdessen wollen zwölf konservative Abgeordnete, die mit Liz Truss vom Start weg unzufrieden sind, sein machtpolitisches Comeback konkret organisieren. Das Kalkül: Sollte Truss in Schwierigkeiten geraten, würde man Johnson als Trumpf für den kommenden Wahlkampf aus dem Ärmel ziehen und zurückholen. Die Bewegung "Bring back Boris" spiegele die große Zustimmung wider - so etwas habe es nach dem Abgang von Theresa May oder David Cameron nicht gegeben. Johnson begeistere und fasziniere nach wie vor viele Millionen Briten.
Ein prominenter Gefolgsmann von Johnson, Lord Edward Lister, ließ im Fernsehen wissen, dass viele Abgeordnete wegen Johnsons Abgang "Gewissensbisse" hätten und ein Comeback von ihm wünschten. Man habe beim Sturz des scheidenden Premierministers "überreagiert". Auf die Frage, ob Johnson versucht sein könnte, ein Comeback zu geben, sagte Lord Lister: "Nun, ich würde bei Boris Johnson niemals nie sagen, in der Zukunft ist alles möglich." Vor allem für den Fall, dass "der Ball im Gedränge verloren geht".
Auch politische Gegner Johnsons rechnen mit einem Comeback-Versuch Johnsons. Dort verweist man auf zwielichtige Vorbilder wie Berlusconi oder Trump. Rory Stewart, der frühere Entwicklungshilfeminister und scharfe Johnson-Kritiker, der 2019 selbst für den Parteivorsitz kandidierte, bringt die Vokabel "Borisconi" in Umlauf. Stewart bescheinigt Johnson ein "außergewöhnliches Ego", das glaube, "schlecht behandelt" worden zu sein, und das gerne korrigieren möchte. Schon in der bitteren Rücktrittsrede Anfang Juli habe er eine Dolchstoßlegende intoniert. Dominic Cummings, Johnsons ehemaliger Chefstratege und heutiger Erzfeind, spekulierte auf Twitter, der abtretende Premierminister wolle die "menschliche Handgranate" Truss zu seiner Nachfolgerin machen, um nach ihrer "Explosion" als Retter der Partei zurückzukehren.
"Boris ist eine Marke, eine Celebrity, ein Performer"
Bei den Unterstützern von Johnson wird weniger an Figuren wie Berlusconi und Trump erinnert, umso mehr aber an den legendären Premierminister Winston Churchill. Johnson hat selbst eine Biografie über Churchill geschrieben und ihn als sein Vorbild auserkoren. Churchill führte Großbritannien erfolgreich durch den Zweiten Weltkrieg. Danach musste er sein Amt abgeben, kam aber von 1951 bis 1955 an die Downing Street Nummer 10 zurück. Diese Geschichte wird innerhalb der "Bring back Boris"-Bewegung nun besonders gerne kolportiert.
Dass Johnsons Comeback - trotz seiner Partygate-Skandale - überhaupt denkbar ist, liegt an zwei Umständen. Zum einen löst Liz Truss in der eigenen Wählerschaft keine echte Begeisterung aus. Sie versucht, sich mit durchschaubar billigen Imitationsversuchen als eine Reinkarnation von Maggie Thatcher zu inszenieren. Ihr innerparteiliches Wahlergebnis von nur 57 Prozent der Stimmen ist ein Indiz für schwache Rückendeckung. Sollten ihr bei der tagespolitisch brisanten Lage von Inflationsbekämpfung bis Kriegskrise große Fehler unterlaufen, wird rasch eine Tory-Debatte losbrechen, ob man wirklich mit ihr in den nächsten Wahlkampf ziehen will.
Der zweite Umstand, der ein Johnson-Comeback denkbar macht, ist die außergewöhnliche Popularität Johnsons - im Guten wie im Schlechten. Johnson polarisiert und animiert zugleich. Er ist für Millionen Briten eine Art Rockstar des Politischen, ein wuschelhaariger Nonkonformist, dem man Party-Skandälchen eher verzeiht als normalen Profi-Politikern. Zudem ist Johnson ein Medienstar und dürfte recht bald sein eigenes Medienspektakel neu entfalten. Johnson war bereits Kolumnist, Autor, TV-Moderator, Dokumentarfilmer, ja sogar Herausgeber des politischen Magazins "Spectator". Er dürfte - schon um Geld zu verdienen - als Kolumnist, TV-Kommentator und Redner weiter Schlagzeilen machen. Allein mit seiner wöchentlichen Kolumne im "Daily Telegraph" hat er 275.000 Pfund pro Jahr verdient. Zudem arbeitet Johnson an einer Biografie über Shakespeare, und er soll bereits mit Verlegern in Verhandlungen sein über die Publikation von Notizen aus seiner Amtszeit.
Er dürfte also - wie er es dieser Tage ankündigte - erst einmal "Heu machen", denn selbst die spröde Theresa May hat seit ihrem Rücktritt Mitte 2019 rund 2,5 Millionen Pfund mit öffentlichen Auftritten verdient. Johnson hat dank seiner Qualitäten als Unterhalter einen viel größeren Marktwert. Der PR-Experte Mark Borkowski spekuliert in der "Sunday Times", dass Johnson dank seiner weltweiten Bekanntheit in der amerikanischen Unterhaltungsindustrie Fuß fassen könnte: "Boris ist eine Marke, eine Celebrity, ein Performer. Er wäre geeignet für einen Job bei einem globalen TV-Sender." Auch das dürfte die Comeback-Fantasie seiner Landsleute beflügeln.
Quelle: ntv.de