Wieduwilts Woche

Was die Grünen nicht verstehen Es geht nicht ohne Bier und Bodenhaftung

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Olaf Scholz trinkt durchaus mal ein Bier. Eine besondere Fähigkeit zur Volksnähe würde ihm allerdings kaum jemand unterstellen.

Olaf Scholz trinkt durchaus mal ein Bier. Eine besondere Fähigkeit zur Volksnähe würde ihm allerdings kaum jemand unterstellen.

(Foto: picture alliance/dpa)

In Großbritannien haben die Tories auch deshalb verloren, weil der schnöselige Premier Rishi Sunak so "out of touch" wirkt. Es ist ein unterschätztes Problem der Politik.

Am Dienstag bricht spät am Abend Unruhe aus in der feinen Parlamentarischen Gesellschaft gegenüber vom Reichstagsgebäude. Menschen in Anzügen und Kostümen sorgen sich, denn sie wollen noch nach Hause - aber die Türkei gewinnt in dieser Nacht gegen Österreich und es ist klar, was das in Berlin heißt: Auf den Straßen ist die Hölle los.

Als ich auf die Dorotheenstraße einbiege, eine Straßenschlucht zwischen Liegenschaften des Bundestags, ist da keine Hölle, die Stimmung ist eher himmlisch: Lauter überwiegend junge Leute schwingen Türkeiflaggen, jubeln, haken sich unter, irgendwo weht ein bisschen Feuerwerksrauch her und leuchtet türkeiflaggenrot, angestrahlt vom Rotlicht der Verkehrsampeln. Nichts davon ist unangenehm, Wolfsgrüße waren dort jedenfalls nicht zu sehen. Schön, wenn man sich so um etwas versammeln kann.

Türkische Fahnen auch in Kreuzberg

Türkische Fahnen auch in Kreuzberg

(Foto: IMAGO/dts Nachrichtenagentur)

Deutsche können das nicht in gleichem Maße - und wenn doch, dann stehen sie unter Verdacht. Deutsche Flaggen sind, nach etlichen Rechtsrucken in der EU und anderswo, schon wieder ein Politikum. 2006 scheint vergessen. Die Bundeszentrale für politische Bildung fällt derzeit durch ein kleines Video auf, in dem sie die These prüft, ob die Flaggenfreude der damaligen WM für das Erstarken von Pegida und Rechtspopulismus verantwortlich ist. Das klingt erst einmal nach politologischem Sommerlochmärchen, aber offenbar gibt es Wissenschaftler, die das so sehen.

Gekrampfe wie bei Merkel

Das Gekrampfe ging aber schon zu Beginn der laufenden EM los: Nach längeren Debatten darf die Bundespolizei Flagge zeigen, die Berliner Polizei nicht (Neutralitätspflicht der Beamten!). Viele erinnern sich an Angela Merkel, die im Jahr 2013 nach gewonnener Bundestagswahl einem Parteikollegen das Fähnchen aus der Hand nahm - es war zuviel Deutschland, auch "an Tagen wie diiieseeen".

Über diese Debatten verdrehen viele die Augen. Und wenn zu viele Augenpaare drehen, sollte man wachsam sein. Parallel zur Rückkehr des Nationalismus tut sich die politische Elite nämlich derzeit augenscheinlich besonders schwer, Kontakt zur breiten Bevölkerung zu halten, einen gemeinsamen Nenner zu finden. Die Mächtigen sind auffällig oft abgehoben - eben "out of touch", wie der Engländer sagt.

Der britische Premier Rishi Sunak etwa vergeigte seinen Wahlkampf, indem er beim Hüten von Schafen versagte und in einem Pub etwas aus einem Pint trank, das verdächtig nach Wasser aussah. Das ist Briten offenbar eine Art Landesverrat. Dabei hätte der Kandidat der Tories sich nach Ansicht etlicher Kommentatoren schlicht mit Apfelschorle oder ähnlichem behelfen können. Es hätte wenigstens so ausgesehen, als wäre Sunak "one of us". Aber Sunak kam wohl nicht drauf - oder gefiel sich als Teetotaller, als strikter Abstinenzler.

Wettrennen für größte Volksdistanz

In Frankreich hat der ebenfalls schnöselige Emmanuel Macron (wir erinnern uns an das Uhrendebakel) sich gerade derart verzockt, dass viele Franzosen jetzt den rechtsextremen Rassemblement National als letzte noch unprobierte Möglichkeit sehen - als sei Politik eine Packung Gummibärchen. In Amerika wiederum kann die glücklose und umfragenschwache Kamala Harris nicht an die Stelle des greisen Joe Biden treten, denn sie ist zu unbeliebt. Auch sie wirkt abgehoben: Seit Monaten amüsieren sich ihre Gegner darüber, dass sie grotesk oft von Venn-Diagrammen schwärmt. Diese Passion versteht jeder verkopfte Mensch noch einigermaßen - aber, bitte, verbindend ist das nicht gerade.

Und bei uns? In Deutschland liefern sich Olaf Scholz und Friedrich Merz ein hartes Wettrennen um die größtmögliche Volksdistanz. Der Kanzler erreicht das durch schlumpfig-unverständliche Kommunikationsmuffligkeit und der Oppositionsführer leidet seit seinem Sylt-Ausflug noch immer am Image der Abgehobenheit, neue Brille hin, gefühliger Podcast bei "Hotel Matze" her. Niemand ruft leutselig nach "‘ner Flasche Bier, sonst streik ich hier", wie ein gewisser Gerhard Schröder es tat.

Es gibt Politiker in praktisch allen Parteien, die Volksnähe können. Aber es gehört zu den Tragiken des demokratischen Parteiensystems, dass diese Talente oft nicht die Spitzenkandidaten sind. Wenn aber Leutseligkeit und Flaggenstolz nicht zu Gebote stehen, darf es nicht auch noch am Nötigsten mangeln: Das Gefühl des Sicherseins ist das absolute Minimum an Selbstbehauptung und Identität, das eine Regierung ihren Bürgern bieten muss. Weniger ist nichts und nach dem Nichts kommt Nationalismus.

Sozialisierungsromantik und Täterempathie

Wie sehr "out of touch" sich die Regierungsparteien bei uns aber ausgerechnet in Sachen Sicherheit präsentieren, zeigte sich angesichts der Gewalttaten der vergangenen Wochen in besonders grellen Farben. Als Reaktion auf die Tötung des 20-jährigen Philippos Tsanis in Bad Oeynhausen scheinen sowohl Vertreter der Grünen als auch der SPD Sozialromantik und Täterempathie zu beschwören. Bundesinnenministerin Nancy Faeser lässt es sogar zu, dass Philippos’ Tod als logische Folge gescheiterter deutscher Integrationsbemühungen wirkt und nicht etwa als das Werk eines (polizeibekannten) Straftäters.

Die Regierungsparteien scheuen schon aus Prinzip die Strafschärfungswünsche aus der Union oder gar der AfD. Kriminologisch mögen sie sogar recht haben: Schreckt das Strafgesetzbuch auch nur einen Messerstecher oder Schläger ab? Rot und Grün bemühen abgehobene, Passivität vermittelnde Argumente, die eine verunsicherte Bevölkerung nicht erreichen. Sachlichkeit allein gewinnt keine Wahlen: Wasser ist ja auch gesünder als Bier, aber Wasser hat den Tories grad den Hals gebrochen.

Der sächsische Innenminister Armin Schuster (CDU) hat es kürzlich bei einer Rede im Bundestag auf den Punkt gebracht: "Die Menschen erwarten von mir Sicherheit und Schutz, und das sagen sie mir auch ins Gesicht". Realität ist das, was kommunizierbar ist, das hat Schuster erkannt. Die Menschen ließen sich "nicht von Statistiken begeistern", sagte er, das Sicherheitsgefühl sei "dramatisch gesunken". "Durch solche Diskussionen!" rief da die Grünenpolitikerin Lamya Kaddor dazwischen - als hätte die Debatte keinen Anlass.

Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen

Verstanden hat die dramatische politische Lage in Deutschland, im Juli 2024, keine der Regierungsparteien, aber am wenigsten die Grünen. Als der FDP-Innenpolitiker Konstantin Kuhle am Pult vor Angsträumen in den Kommunen warnt, vor Kontrollverlust in der Migration, da klatschen auch Abgeordnete aus SPD und sogar Union - nur bei den Grünen rührt sich keine Hand: nichts sehen, nichts hören, nichts sagen. Nur unpassend lachen, das geht.

Abgehobenheit hat viele Gesichter, ob im Pub beim Wasserglas oder im Bundestag bei einer Debatte über Messer, Mord und Gruppenvergewaltigung. Es ist schön, wenn eine global und plural denkende, teils antialkoholische Elite die Geschicke lenkt und nicht der Stammtisch. Aber diese Elite muss das Biertrinken und Flaggeschwenken wenigstens simulieren können, wenn sie nicht in Bedeutungslosigkeit abrutschen will.

Das kann politisch bedeuten, dass man mit den Taliban verhandeln muss, auch wenn man sich dabei schmutzig macht. Es kann härtere Strafen bedeuten, auch wenn niemand weiß, wie viel das bringt. Die intellektuelle Linke scheut den Vorwurf des Populismus und der Oberflächlichkeit wie Rishi Sunak den Gerstensaft. Doch auf "out of touch" folgt schnell "out of office".

Quelle: ntv.de

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