Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Lindner und Macron in Ticktack-Skandal verwickelt

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Hier ist die Uhr noch dran ...

Hier ist die Uhr noch dran ...

(Foto: IMAGO/PanoramiC)

Der Bundesfinanzminister und der französische Präsident, zwei der elegantesten Politiker des Kontinents, sollen sich um Arme kümmern, aber ihre Probleme beginnen schon am Handgelenk.

Der Bundesfinanzminister hat es nicht leicht. Die Linken (parteiübergreifend) tun gerade so, als würde Christian Lindner jeden Morgen mit der Frage aufwachen, wie man heute am besten die Unterschicht ausmergeln könnte. Die Koalition streitet derzeit um die Kindergrundsicherung, und der Liberale hat sich nun einigermaßen kühn der Aufgabe angenommen, das Unmögliche zu schaffen: Eine öffentliche Debatte gegen Geld für Kinder zu bestreiten. Der Koalitionspartner feixt: "Also von mir aus kann die FDP auch noch eine weitere Woche durch alle Medien rufen, dass kein Geld für Kinder in Armut da ist", twittert die Sprecherin der Grünenjugend.

Das sagen die Liberalen natürlich nicht, die FDP will erst einmal das existierende Geld verteilen, sagt sie, statt den größtenteils unabgerufenen Haufen noch zu vergrößern. Bundesfamilienministerin Lisa Paus will 12 Milliarden Euro und hat damit kommunikativ die Oberhand: Harte Geldbeträge sind in der politischen Kommunikation immer super, Olaf Scholz hat im Wesentlichen mit "12 Euro Mindestlohn!" eine Bundestagswahl gewonnen.

Als wäre die politische Lage nicht ungünstig genug, verwickelte sich Lindner in dieser Woche dann auch noch in einen handfesten Uhren-Skandal, weil er erstens eine unbillige Uhr besitzt und zweitens sie dann auch noch zum falschen Zeitpunkt ab- und dann wieder umgebunden hat. Im Abspann der Talkshow "Maybrit Illner" ist nämlich zu sehen, wie der Politiker den Handgelenkschmeichler fröhlich plaudernd unter dem Tisch hervorholt.

Er hat das "extra" gemacht

Das klingt jetzt irgendwie egal, aber die Kritiker des Liberalen waren natürlich sehr aus dem Häuschen. FDP, Luxus, daraus lässt sich doch was machen! Offenbar gibt es bei den Linken keine Meetings darüber, wo die Grenze für besonders dumme politische Angriffe verläuft, denn kurz darauf bereicherte dieser Tweet die Öffentlichkeit:

Am besten gefällt mir an diesem Tweet das nur von Kindern verwendete Adverb "extra". "Extra" hat Elias die Wachsstifte der Sophie an den Hamster verfüttert. Lindner macht das also "extra", und das sagt ja auch wieder etwas aus, aber wohl eher über den Verfasser als über Lindner.

Entworfen hat dieses Meisterwerk Lukas Scholle, er präsentiert sich als Ökonom und erklärt auf Youtube Wirtschaftsdinge, arbeitet aber im Brotjob für den Linken-Abgeordneten Christian Görke. Dieser Dreh, so dumm er auch ist, nahm dann tatsächlich an Fahrt auf. "Lindner sorgt mit Luxusuhr für Kritik", schreibt t-online, "Bad timing!" ätzen gleich zwei Autoren bei "Politico". Oh je!

Die Uhren des Che

Man würde den Linken-Ökonom Scholle und alle anderen Uhrkritiker gern fragen, ob sie sich eigentlich an Herrn Ernesto Guevara erinnern. Eine Luxusuhr hatte der Che nämlich nicht, sondern gleich zwei. Und er trug seine zwei Rolexe, Rolizes oder Rolexi, ich bin Kolumnist und kenne mich in Pluralfragen dieser Preisklasse nicht gut aus, also jedenfalls zwei seiner teuren Uhren, auf manchen Bildern zeitgleich an einem Handgelenk. Aber wo unbilliger Luxus beginnt, ist offenbar eine sehr komplexe Einzelfallentscheidung.

Zugleich muss man wohl auch Christian Lindner ein wenig tadeln: Denn er hätte es besser wissen können, gerade in dieser Woche! Immerhin hatte ein anderer eleganter Politiker des Kontinents unmittelbar zuvor für einen ähnlichen Ticktackskandal gesorgt: Emmanuel Macron nahm seine Bell & Ross mitten in einem Interview ab, ein bisschen wie ein äußerst schlechter Zauberer - und das, obwohl die Franzosen gerade Paris anzünden, weil sie bis ins unvorstellbar hohe Alter von 64 Jahren arbeiten sollen.

Uhren sind eben reizvoll - eine Flut von Webseiten widmet sich ausschließlich dem Thema, welcher Promi mit welchem Chronometer die Zeit ermittelt. Dieser Reiz wirkt auch bei Politikern: Unter dem sonst eher uniformen Auftreten der Mächtigen blitzt die aufziehbare Individualität hervor, und diese Individualität manifestiert sich in aller Regel als Rolex.

... hier ist die Uhr ab.

... hier ist die Uhr ab.

(Foto: IMAGO/PanoramiC)

Wollen Sie Macron etwa Empathie unterstellen?

Die Armzierden jener Epochenpolitiker, die gerade ein wenig mit dem Strafrecht kollidieren, sind dabei besonders gewaltig und teuer: Beachtlich sind die Uhrensammlungen von Donald Trump und Wladimir Putin. Doch die dicke Uhr ist emanzipiert: Sehr dumme Empörung erntete einmal die damalige Staatssekretärin Sawsan Chebli, weil sie auf einem Bild mit einer Rolex zum noch fast sozialdemokratischen Preis von 7300 Euro zu sehen war. Womöglich erklärt das auch, warum in der SPD in dieser Woche kaum einer über Lindners Uhr lästerte.

Nun ist es das eine, eine teure Uhr zu tragen, und es ist das andere, eine teure Uhr während einer sozialpolitischen Debatte "extra" zu verstecken. Das allerdings, "extra" verstecken nämlich, ist ein kühner Vorwurf an Macron und Lindner. Wer einmal mit einem dicken Klunker an der Hand an einem von Mikrofonen umringten Tisch saß, weiß, was das bedeutet: Bei jeder kleinen Geste pocht die Uhr herum und der Tontechniker fängt an, mit den Armen zu rudern, weil ihm ständig das Blut aus den Ohren schießt.

Das ist auch die Erklärung des Élysée-Palasts, und sie ist plausibel. Macron wollte sich einen König in die Chapelle Royale einladen, um dort Georg Friedrich Händel zu hören, während vor Pariser Cafés die Mülltonnen brennen - ich bin nicht sicher, ob man diesem Mann leichtfertig soziale Empathie unterstellen sollte.

Eine neue Rolex muss nun her

Was folgt aus dem Debakel also nun? Sollten sich Schnösel entschnöseln, wenn sie das rutschige Parkett der Politik betreten? Wollen wir etwa nur noch dröge Verwaltungsjuristen mit abgewetzten Aktentaschen und unklarer Rolle in milliardenschweren Steuerskandalen an der Macht sehen? Sollte Rolex vielleicht eine Sonderedition herausgeben, die "Sachpolitik-Master 40" für 169,00 EUR, talkshowtauglich mit Gummigehäuse und Stoffarmband?

Eines ist klar, der Alt-Bundeskanzlerin Angela Merkel wäre diese Uhrenkrise schon aus zwei Gründen nie passiert: Ihr sichtbarer Zeitanzeiger kostete 89 Euro, die pocht schon aus Gewichtsgründen weniger auf dem Tisch herum (die Uhr, nicht die Kanzlerin). Ob Merkel den Wecker ab- und anlegt und wann, interessiert daher absolut niemanden.

Wobei wir uns von der klugen Strategin nicht täuschen lassen wollen. Vielleicht legt sich Angela Merkel, sobald sie ihre Einkäufe auf den Küchentisch gewuchtet hat, fröhlich je eine Patek Philippe Calatrava an die Arm- und Fußgelenke, schaut Lindner im deutschen und Macron im französischen Fernsehen, lacht beide herzlich aus, und tanzt mit ihrem Joachim Sauer durch die Wohnung und in die Osterruhe.

Wir wissen das alles nicht - aber wir dürfen es uns vorstellen.

Quelle: ntv.de

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