Wieduwilts Woche

Wieduwilts Woche Wenn wir Empathie verlernen, freuen sich die Rechtsradikalen

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Die Union stößt mit der Heizkampagne in die Empathielücke, die Habeck - ausgerechnet Habeck! - eingerissen hat.

Die Union stößt mit der Heizkampagne in die Empathielücke, die Habeck - ausgerechnet Habeck! - eingerissen hat.

(Foto: picture alliance/dpa)

Ob Geschenkebasteln am Muttertag oder die richtige Heizung: Das Streiten fällt immer schwerer. Davon profitiert die AfD.

Mein Leben braucht jetzt diese Revolution, dachte ich kürzlich im Saturn, einen Akku-Staubsauger in den Händen wiegend. Mein alter Miele Rollstaubsauger (10 Milliarden Watt) kommt auf sicher 50 Kilogramm, man zieht ihn beim Saugen wie eine kleine Abrissbirne durch die Wohnung. Der Akku-Staubsauger sieht dagegen cool aus, wie ein Protonenstrahler. Doch keine Revolution ohne Widerstände: Eine Woche nach dem Erwerb des Protonenstrahlers bekomme ich eine Nachricht meiner Putzhilfe: Ich möge den alten Sauger bitte in der Kammer lassen.

Veränderungen muss man wohl sachte angehen, vor allem, wenn die zu verändernden Dinge nah an Hand und Herz liegen. Die Tagesschau etwa, abendlicher Wohnzimmergenosse in Millionen Haushalten, hat 2015 mit allergrößter Sensibilität die Beine ihrer Moderatoren in die Sichtbarkeit gesetzt - ganz behutsam. Unverlangte Änderungen nerven. Wann immer eine App nach dem Update die Veränderungen auflistet, dieser Knopf ist jetzt dort, jene Funktion da hinten, frage ich mich, ob die Smartphone-Verweigerer doch recht hatten.

Womöglich ist es daher nicht so arg überraschend, dass eine Kindertagesstätte in Hessen diese Woche Kritik für die Ankündigung erntete, von einem Tag auf den anderen das Geschenkebasteln an Vater- und Muttertag abzuschaffen. Das "Kita-Team" einer katholischen Einrichtung bat die Eltern um Verständnis, dass dieses Basteln nunmehr entfalle, weil man "keinen Menschen ausschließen" wolle. Außer, müsste es wohl heißen, halt sämtliche Kinder vom Basteln.

Kita am Pranger

Diesen Aushang nahm CDU-Schlachtross Tilman Kuban zum Anlass, in maximal aggressiver Weise den Brief der Kindertagesstätte (zunächst sogar samt Adresse) der digitalen Horde entgegenzuhalten, mit einem Tweet, als habe jemand gerade auf der "Event Horizon" das Tor zur Hölle geöffnet: "Dem Wahnsinn sind keine Grenzen mehr gesetzt …"

Hashtag #Muttertag. Jedenfalls: Von nun an war es dann vorbei mit Verständnis und Empathie, auf beiden Seiten des Konflikts. In der Kommentarspalte ergossen sich Hasskommentare gegen die Kita. Alle, die wiederum die Reaktionären im Allgemeinen und die Union im Besonderen hassen, droschen ihrerseits auf Kuban ein, manch einer forderte seinen "Rücktritt".

Wie auch immer man zu Geschenken für Eltern steht: Dass müde Mamis und Papis womöglich nicht vor Begeisterung in die Hände klatschen, wenn ein womöglich auch bei Kindern beliebtes Bastelevent aus identitätspolitischer Betulichkeit per Aushang abgeschafft wird, könnte man, ein wenig Empathie vorausgesetzt, durchaus nachvollziehen.

Blinde Flecken auf der Debattenkarte

Ähnlich binär läuft die Debatte um Drag Queens vor Kindern in München. Während Konservative sich wegen eines solchen Auftritts so schnell überschlugen wie ein Auto in einer Folge "A-Team", wird jede zarte Kritik an diesem Vorschlag niedergebrüllt als heteronormativ-cis-toxische, transfeindliche Rückständigkeit.

Beidseitiger Empathie-Entzug führt zu blinden Flecken auf der Debattenkarte, das zeigt die Migrationspolitik: Man redet aus Furcht zu wenig über etwas, das parteiübergreifend von Menschen in Problemnähe (den Kommunen) als gewaltiges Problem bezeichnet wird. Ein Gespräch etwa über die Zusammenhänge zwischen Migration und Kriminalität ist praktisch unmöglich. Anlässlich des Migrationsgipfels notierte kürzlich der Migrationsforscher Ruud Koopmans "Lebenslügen" des konservativen und progressiven Lagers in dieser Frage. Die Konservativen versäumten, erklärt Koopmans in der "Zeit", auf humanitäre Pflichten hinzuweisen - und die Progressiven verleugneten die Gefahren, die damit einhergingen.

Wechselseitigen Empathie-Entzug erleben wir auch beim "Heizungsverbot": Die Grünen schimpfen über "Lügen", ein Vorwurf, der stets das ultimative Gesprächsende nach sich zieht und eigentlich als Tabu im politischen Raum gilt.

Sie raunen von dunklen Machenschaften und schimpfen auf die Medien. Manche ihrer Fans in Mietwohnungen und Studentenheimen, die noch nie in ihrem Leben einen Radiator entlüftet haben, amüsieren sich über Existenzängste von Hausbesitzern auf dem flachen Land, die noch immer ihre gar nicht so alte Gasheizung abbezahlen. Ob diese Ängste berechtigt sind oder nicht - spricht etwas dagegen, sie zumindest zur Kenntnis zu nehmen? Dann erklärt man eben ein tausendstes Mal, dass die fossile Hitzemaschine im Keller bald vor allem durch ihre Kosten zum Schwitzen beiträgt.

Ideologische Lufthoheit statt Kompromisse

Im Vordergrund steht der Kampf um ideologische Lufthoheit, Kompromisse werden nicht einmal mehr angedacht. Wir können uns in den Vereinigten Staaten und in Österreich anschauen, wie das Ergebnis einer solchen Gesprächsverweigerung aussieht: Trump ist vielleicht bald wieder Präsident, die FPÖ träumt davon, einen "freiheitlichen Volkskanzler" zu stellen. Wir können auch nach Deutschland schauen: Hier erlebt die gärige AfD gerade einen Höhenflug, liegt komfortabel kurz vor Grün und kurz hinter Rot.

Dass die CDU das Heizungsdebakel politisch ausnutzt, ist - bei aller Kritik am sonstigen Kulturkampfkurs der Union - deshalb nachvollziehbar. Besser die Schwarzen als die Braunen. Nachdem die Grünen mit dem sensationell dummen Spruch "Fairheizen" für Wärmepumpen warben - was klanglich schon nach "Verheizen" und damit nach Bedürfnisverachtung klingt - reagierten die Konservativen ungewohnt agil: "Verheizt nicht mein Lebenswerk!", heißt es in der Kampagne, für "Wärmewende ohne soziale Kälte".

Die Union stößt mit der Heizkampagne in die Empathielücke, die Habeck - ausgerechnet Habeck! - aufgerissen hat. Gut möglich, dass die Grünen in diesen Tagen ihre Aussicht auf das Kanzleramt verspielt haben.

Ein bisschen Empathie, das reicht ja manchmal auch für gute Kompromisse. Hätte man womöglich in der Kindertagesstätte weiterbasteln können, nur eben auch für Menschen, die weder Vater noch Mutter sind? Klar. Sollte man Migration befürworten und kritisieren können, ohne sich jeweils entweder der "Umvolkung" oder des Rassismus verdächtig zu machen? Logisch. Könnte man auf irrationale, womöglich boshaft angeheizte Heizungsängste eingehen, auch wenn man "nicht in der Regierung ist, um beliebt zu werden"? Man müsste sogar.

Der Kulturkampf um den richtigen Staubsauger ist jedenfalls in eine kalte Phase eingetreten. Ich sehe es ein, meiner Putzhilfe behagt der Protonenstrahler nicht, auch wenn ich ihn in jeder Hinsicht besser finde. Er hängt jetzt "like a Bosch" hinter der Küchentür, die Abrissbirne steht weiterhin in der Kammer. Es ist jetzt ein bisschen voll in der Stadtwohnung. Die Revolution braucht noch etwas Zeit.

Quelle: ntv.de

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