Seit 97 Jahren ohne Weltmeister Das große Schach-Dilemma in Deutschland
14.03.2018, 11:20 Uhr
Der deutsche Schachsport ist nur im Amateurbereich spitze.
(Foto: imago/Agentur 54 Grad)
Die Schachelite ist gerade in Berlin zu Gast. Beim Kandidatenturnier wird der Herausforderer von Weltmeister Magnus Carlsen ausgespielt. Ein Deutscher ist nicht am Start. Dabei hat das Land eine sehr erfolgreiche Tradition - und einen Riesenpool an Spielern.
Seit 97 Jahren hat Deutschland keinen Schach-Weltmeister mehr. Emanuel Lasker war der bis dato letzte, 1921 musste er die Krone abgeben. Lasker war von 1894 bis 1921 Weltmeister der Geistesgrößen, er starb 1941. Im Jahr 1908 trug er sogar einen WM-Zweikampf gegen seinen Intimfeind Siegbert Tarrasch aus. Solch ein deutsches WM-Duell ist heutzutage weiter entfernt denn je. Auch beim gerade laufenden WM-Kandidatenturnier in Berlin ist kein Deutscher dabei. Der Schachsport hat hierzulande eine Riesentradition, steckt aber im Dilemma. Die Bundesliga gilt eigentlich als stärkste Liga der Welt.
Derzeit läuft in Berlin das Kandidatenturnier zur Bestimmung des Herausforderers von Weltmeister Magnus Carlsen. Sie können eine Partie pro Spieltag in unserem Liveticker verfolgen. Los geht's nachmittags jeweils um 15 Uhr.
Der Deutsche Schachbund (DSB) mit seinen rund 90.000 Mitgliedern unterhält ein perfekt organisiertes zehnstufiges Ligensystem für Vereinsmannschaften; dazu gibt es Sonderligen für Frauen, Senioren und Jugendliche. Veranstalter, Vereine, Verbände und Unterverbände sind perfekt im Internet präsentiert.
Das Internet ist ein großer Konkurrent
Dennoch sind die Probleme nicht zu übersehen: Mitgliederzahlen stagnieren, ein allmähliches Vereinssterben hat begonnen, viele Mitglieder spielen ihre abendliche Schachpartie lieber im Internet als im Klub. Die verfügbaren Sponsorengelder werden großteils durch die Bundesliga aufgesogen, wo zumindest bei den Spitzenklubs fast kein deutscher Spieler am Brett sitzt. Viele deutsche Talente betreiben Schach nur als besseres Hobby - und verbreitern damit die Phalanx der Spitzenamateure.
Düster sieht es beim Blick auf die Weltrangliste aus: Unter die 100 besten Schachspieler hat sich - auf Platz 63 - gerade einmal Liviu-Dieter Nisipeanu verirrt, ein gebürtiger Rumäne, der erst seit 2014 für den deutschen Verband spielt. Bei Weltklasseturnieren dürfen Deutsche allenfalls per Veranstalter-Wildcard mitspielen. Im krassen Gegensatz hierzu ist die Leistungsdichte im Amateur-Spitzenbereich fast nirgendwo so hoch wie in Deutschland. Insgesamt 17.917 Spieler weltweit besitzen einen der vier abgestuften Meistertitel des Weltverbands Fide. Russland, traditionell die Schachnation Nummer 1, stellt mit 2501 die meisten Titelträger. Doch dahinter folgt schon Deutschland mit 1370 Titeln vor den USA (758).
Sensibilität für die Bedürfnisse fehlt
Den meisten Funktionären fehlt die Sensibilität für die Bedürfnisse des Leistungsschachs, oft resultierte dies in öffentlich ausgetragenen Konflikten. Ein Beispiel: Die langjährige deutsche Nummer 1, Arkadi Naiditsch (aktuell Weltranglisten-45.), verließ die Nationalmannschaft und spielt seit 2015 für Aserbaidschan. "Dass die Öffentlichkeitsarbeit beim Deutschen Schachbund nicht einfach ist, das ist bekannt", sagte der seit Mai 2017 amtierende DSB-Präsident Ullrich Krause. Zudem sei es schwierig, neue Konzepte im Ehrenamt zu erarbeiten.
Professionalität fehlt auch in den Bereichen Marketing und Einwerbung von Sponsorengeldern. So stehen heute bei knappen öffentlichen Mitteln selbst in vergleichsweise ärmeren Ländern - wie der Türkei oder Armenien - mehr Geld sowie bessere Trainer für die Nachwuchsförderung bereit als in Deutschland. In puncto Gastgeber von Topereignissen kann sich Deutschland freilich sehen lassen: Derzeit läuft in Berlin das Kandidatenturnier zur Bestimmung des Herausforderers von Weltmeister Magnus Carlsen. 2008 wurde das WM-Match Anand - Kramnik in Bonn und die Schach- Olympiade in Dresden ausgerichtet. 2015 fand die WM im Blitz- und Schnellschach in Berlin statt.
Quelle: ntv.de, Harald Keilhack, dpa