Dynamos großer Kampf gegen den FC Bayern Als Uli Hoeneß vor Vergiftungen warnte
26.12.2013, 18:32 Uhr
Na, wer ist wer? Eduard Geyer und Uli Hoeneß beim Hinspiel, das der FC Bayern mit 4:3 gewann.
Vor 40 Jahren treffen im Europapokal mit dem FC Bayern München und Dynamo Dresden erstmals zwei deutsche Fußballmannschaften aus Ost und West aufeinander. Für die Stasi ist das ein Problem. Und die Bayern? Reisen erst am Spieltag an.
Etwa 400 jugendliche Fußballfans aus Sachsen drängen sich vor dem Eingang des Dresdner Interhotels "Newa". Volkspolizei und Sicherheitskräfte haben Mühe, die Menschenmasse vom Betreten des Hotels abzuhalten. In der Hoffnung auf Souvenirs und Autogramme warten die Jugendlichen nun schon seit Stunden auf die Ankunft der Fußballmannschaft des FC Bayern München. Vor allem aber wollen sie ihre Idole aus nächster Nähe in Augenschein nehmen. Die Bayern-Stars wie Franz Beckenbauer, Gerd Müller oder Sepp Meier genießen in der DDR einen hervorragenden Ruf. Von vielen ostdeutschen Fußballfans werden sie zum Leidwesen der SED sogar vergöttert.
Der Grund für diesen Menschenauflauf an diesem 6. November 1973 ist in der Tat nicht alltäglich. Denn erstmalig in der Europapokalhistorie soll es zu einem Aufeinandertreffen der Meister der DDR und der Bundesrepublik im Achtelfinale des Landesmeisterwettbewerbs kommen. Seit Jahren haben Anhänger in Ost und West auf eine solche Auslosung gewartet. Nun hat das Losglück die ersehnte Paarung zwischen dem FC Bayern München und der SG Dynamo Dresden beschert.
Während die Fans mit Freude auf das Spiel schauen, ist die Stimmung in der Zentrale der SED-Bezirksleitung Dresden angespannt. Der bundesdeutsche Fußball kann international in Anspruch nehmen, erheblich erfolgreicher zu sein. Viele Fans in der DDR hegen deshalb eine doppelte Leidenschaft, was der SED bitter aufstößt. Verbrüderung passt nicht ins Konzept einer eigenständigen sozialistischen Nation. Die Partie birgt eine Menge Unwägbarkeiten, was den Genossen Kopfzerbrechen bereitet.
Risiko-Faktor "negativ-dekadenter" Fans
Schon zum Hinspiel in München werden nur 1000 ausgesuchte Dresdner Schlachtenbummler geschickt. Sie sollen eher als loyale Staatsbürger denn als Fußball-Enthusiasten von sich reden machen. Bereits bei den Olympischen Spielen in München 1972 probt die DDR mit so genannten Touristendelegationen staatstreues Verhalten im Ausland ein. Die geschulten Kader haben nach Auffassung der Staatsführung ein positives Bild von der DDR in der Öffentlichkeit hinterlassen, sodass auch ausgewählte Personen nach München geschickt werden. Ihre Reise ist besonders straff organisiert. Die SED erteilt dem staatlichen Reisebüro der DDR den Auftrag, einen lückenlosen Aufenthalt zu organisieren. Dieser soll garantieren, dass die Dresdner Fußball-Touristen keinerlei private Aktivitäten entwickeln können.

Münchner Jubel in Dresden: Trainer Udo Lattek, Torwart Sepp Meier und Johnny Hansen.
(Foto: imago sportfotodienst)
In zwei Sonderzügen, die mit 16 operativ geschulten M fS-Bewachern und einer Vielzahl von inoffiziellen Mitarbeitern (IM) bestückt sind, reist der Dresdner Anhang nach München. Die SED-Strategie geht auf. Die Dresdner Delegation beeindruckt im Olympiastadion mit fairem und gefälligem Auftreten. Allerdings ist die Kontrolle für das Rückspiel in Dresden weit schwieriger. Stasi-Chef Erich Mielke lässt gar geheimpolizeilich noch weiter "vorstoßen".
Während die Volkspolizei und das MfS die "Sicherheitsaufgaben" außerhalb und innerhalb des Dresdner Stadions vornehmen, widmet sich eine gezielte Unternehmung des MfS mit dem Namen "Aktion Vorstoß" der geheimdienstlichen "Bearbeitung" von Spielern und Fans. Sympathisierende Menschenaufläufe vor Hotels und Trainingsplätzen soll den gezückten Kameras der westdeutschen Fotografen nicht geboten werden. Dem Risiko-Faktor "negativ-dekadenter" Fans soll in Dresden aktiv begegnet werden. Auch die Dynamo-Akteure werden nicht nur sportlich auf das Spiel vorbereitet. In politisch-ideologischen Schulungen wird mit ihnen das Abgrenzungsverhalten auf und neben dem Platz eingeübt.
"Gab die Vermutung, dass was ins Essen getan wurde"
Das Hinspiel in München ist mit einem knappen 4:3-Sieg für den favorisierten FC Bayern ausgegangen. Nach drei Auswärtstoren würde Dynamo schon ein 1:0 gegen die Bayern zum Einzug ins Viertelfinale reichen. Die Hoffnung auf ein Weiterkommen ist bei den Dresdnern groß, während München um das sicher geglaubte Weiterkommen bangt. Für den 40-köpfigen Bayern-Tross ist eine Unterbringung im Interhotel "Newa" geplant. Dieses Hotel bietet der SED ein erprobtes Sicherheitsmanagement. Sie beschließt die Empfangshalle und die Hotelrestaurants mit reichlich Sicherheitspersonal zu besetzen, um "keine Ansammlung von Reportern aus der BRD und Dresdner Bürgern zuzulassen."

Am Ende hat's dann für den favorisierten FC Bayern gerade so gereicht.
(Foto: imago sportfotodienst)
Gleiches gilt auch für die Straßenzüge um das Hotel. Allerdings fehlt von der Bayern-Mannschaft am geplanten Anreisetag jede Spur. Nur Präsident Wilhelm Neudecker und Nationaltrainer Helmut Schön checken im Interhotel "Newa" ein. Langsam sickert bei den Gastgebern die Nachricht durch, dass der FC Bayern entgegen den Uefa-Regularien erst wenige Stunden vor Spielbeginn anreisen wird. Unerwartet hat der Mannschaftsbus des FC Bayern seine Fahrt kurz vor der DDR-Grenze im bayrischen Hof gestoppt und dort über Nacht Quartier genommen.
Hintergrund ist eine Warnung von Uli Hoeneß, dass beim Uefa-Jugendturnier in Leipzig 1969 einige Westmannschaften mit Durchfallerkrankungen gehandicapt aufgelaufen seien. "Es gab die Vermutung, dass was ins Essen getan wurde, die Zimmer, auch Besprechungsräume, abgehört wurden", sagte Hoeneß später. Die offizielle Begründung für die Übernachtung in Hof lautet "Akklimatisationsprobleme der Mannschaft, die sich aus dem Höhenunterschied zwischen München (ca. 500 Meter) und Dresden (106 Meter) ergeben."
Wegen dieser durchsichtigen Ausrede werden die Bayern von Ost- und Westpresse heftig als "überheblich" angegriffen. Dass ihre Vorsicht jedoch nicht unbegründet ist, stellt sich erst nachträglich heraus. Denn zwar hat das MfS nicht das Essen manipuliert, aber den Hotelsalon "Pushkin", wo die Bayern ihre abschließende Mannschaftsbesprechung abhalten, wohlweislich verwanzt. Die Stasi hört mit, und ein Motorrad-Bote macht sich schnellstens zur ebenfalls abgehaltenen Teamsitzung der Dresdner auf den Weg, um Dresdens Trainer Walter Fritzsch brühwarm die Mannschaftsaufstellung der Münchner Bayern zu übergeben.
Eduard Geyer macht nicht die beste Figur
Am Spieltag reisen auch die 1600 Bayern-Fans an. Schon hinter der DDR-Grenze werden sie mit Transparenten wie "Sachsen grüßt Bayern" empfangen. Solcherart Verbrüderungszeichen sind der Stasi ein Dorn im Auge. Nach der Ankunft werden in verschiedenen Stadtgebieten so genannte "Agit.-Gruppen" losgelassen, um Kontakte mit DDR-Bürgern zu vereiteln. Auch beim Stadion hat die SED für eine "hermetische Abriegelung" durch die Volkspolizei und das MfS gesorgt. An das Stadion kommen nur diejenigen heran, die im Besitz einer Eintrittskarte sind. Auf den Zuschauer-Traversen ist die Stasi ebenso präsent. Das MfS hat auch bei der Kartenverteilung die Finger im Spiel. 8500 Dauerkartenbesitzer und 7000 "politisch zuverlässige Bürger" aus Dresdner Betrieben erhalten Tickets zugesichert. In den freien Verkauf gelangen lediglich weitere 7.500 Karten, der Rest ist für Sicherheitskräfte und den Partei- und Staatsapparat reserviert.
Trotzdem ist am Spieltag die Stimmung im ausverkauften Dynamo-Stadion prächtig. Die Dresdner machen wie schon in München ein sehr gutes Spiel. Dieses Mal ist jedoch der Favorit auf der Hut. Die Münchner Bayern ziehen schon nach zwölf Minuten mit 2:0 davon. Die Dresdner Elf agiert gerade in den ersten Minuten zu offensiv und wird von den Bayern zweimal blitzschnell ausgekontert. Dynamo-Verteidiger Eduard Geyer macht dabei nicht die beste Figur. Trainer Fritzschs "abwehrtreuester" Verteidiger kann dem schnellen Uli Hoeneß zweimal nicht folgen, der dann unbedrängt einnetzt.
Die Dresdner lassen sich jedoch nicht beeindrucken. Angetrieben von den Rängen holen sie durch Tore von Siegmar Wätzlich und Hartmut Schade wieder auf. Als Reinhard Häfner gar auf 3:2 in der zweiten Halbzeit erhöht, beginnen die Dresdner Zuschauer vom Weiterkommen zu träumen. Der Jubel währt allerdings nicht lange. Gerd Müller bugsiert den Ball schon zwei Minuten später aus Nahdistanz über die Dresdner Torlinie. 3:3! Nach 90 spannenden Minuten bleibt es bei diesem Spielstand.
Der Münchner Favorit ist mit einem blauen Auge davon gekommen. Trotz der sportlichen Niederlage verzeichnet die DDR-Seite einen Triumph. Der menschliche Kontakt zwischen Spielern und Fans ist mit der "Abgrenzungsstrategie" der SED und der Kontrolle des MfS erfolgreich verhindert worden. Nach Spielschluss werden weder Hände geschüttelt noch Trikots getauscht. In München wie in Dresden reisen Mannschaft und Anhänger schon nach wenigen Stunden wieder ab, ohne miteinander ins Gespräch zu kommen. Die SED hat in Dresden wirksam gearbeitet.
Quelle: ntv.de