BVB-Krawalle gegen Leipzig-Fans "RB verliert ein Spiel, Dortmund seine Ehre"
06.02.2017, 11:53 Uhr
"Bullen schlachten": Es gilt das geschriebene Wort.
(Foto: imago/Jan Huebner)
Ein enthemmter Mob gegen friedliche Fans, Frauen und Kinder: Die Ausschreitungen Dortmunder Randalierer gegen Anhänger von RB Leipzig sind die brutalsten in der Geschichte des Aufsteigers. Viele Fans sind schockiert.
Erst fliegt eine Mülltonne in ein Grüppchen RB-Fans, danach fällt ein Leipziger Anhänger - wohl nach einem Faustschlag mitten ins Gesicht - ungebremst auf das Pflaster. Seine Begleiter und Polizisten eilen hinzu. Das Video, auf dem diese erschreckenden Szenen zu sehen und zu hören sind, ging wie ein Lauffeuer durch die Fanszene von RB Leipzig. Die Bilder vermitteln einen drastischen Eindruck vom Ausmaß der Aggressivität, mit der die Leipziger am Samstagnachmittag vor dem Topspiel der Fußball- Bundesliga bei Borussia Dortmund angegriffen worden waren.
Vor allem jene 1000 der 8500 RB-Fans, die mit einem Sonderzug nach Dortmund angereist waren, wurden Opfer eines regelrechten Gewaltexzesses - darunter zahlreiche Familien, Frauen und Kinder, die sich auf den Saisonhöhepunkt im Dortmunder Fußballtempel gefreut hatten. Laut Polizeiangaben hatten etwa 350 bis 400 "Anhänger aller Dortmunder Ultragruppierungen" ursprünglich den Mannschaftsbus der Leipziger stoppen wollen. Doch der wurde über eine andere Route zum Stadion gelotst. So entlud sich der Hass auf den Bundesliga-Aufsteiger an den anreisenden Gästefans. Die Strobelallee am alten Dortmunder Stadion Rote Erde direkt vor dem Signal-Iduna-Park, wo Imbiss- und Getränkebuden stehen, wurde von einem enthemmten Mob zur Kampfzone umfunktioniert. Senf- und Ketchupflaschen sowie Bierkästen und Bierflaschen wurden zu Wurfgeschossen.
Wie Augenzeugen n-tv.de berichteten, hatten sich gewaltbereite BVB-Ultras und -Hooligans gezielt auf die Attacken vorbereitet. In kleinen Grüppchen sollen die Angreifer organisiert mit einer Guerilla-Taktik vergangenen sein, sodass die überforderte Polizei immer von einem Brandherd zum nächsten eilen musste. So sollen die Dortmunder Gewalttäter den RB-Fans Schals und Fahnen "abgezogen" haben, woraufhin diese aus ihrer Gruppe heraustraten und brutal umgeschlagen wurden. Wie ein Augenzeuge auf dem Fanportal rb-fans.de in einem detaillierten Bericht schildert, soll auch noch auf einen am Boden liegenden Fan eingetreten worden sein; Kinder hätten sich hinter Stromkästen gekauert, um sich vor den Wurfgeschossen zu schützen. Von heftigen verbalen Beleidigungen, antisemitischer Hetze, und Bespucken ganz zu schweigen.
"Ich bin schockiert!"
Die erschütternden Fakten des Abends: 28 Strafanzeigen, zwölf vorübergehende Festnahmen - darunter elf Dortmunder, ein Leipziger -, vorläufig sechs bis zehn verletzte RB-Fans, die mit Knochenbrüchen und Platzwunden in Dortmunder Krankenhäusern behandelt werden musste sowie vier verletzte Beamte. Der Polizeieinsatzleiter Edzard Freyhoff, Dortmunds Polizeidirektor, sagte ungewohnt emotional: "Solche Bilder, in solche hasserfüllten Fratzen habe ich noch in keinem meiner Polizeieinsätze gesehen - ich bin schockiert!"
Doch auch die Polizei aus Nordrhein-Westfalen muss sich fragen lassen, ob sie das Gefahrenpotenzial des Spiels unterschätzt hat. Laut übereinstimmenden Augenzeugenberichten, unter anderem des Leipziger Fanverbandes, sollen viel zu wenige Beamte vor Ort gewesen sein, weil die Partie nicht als Hochsicherheitsspiel deklariert worden war. Vor allem die Leipziger, die mit dem Sonderzug ankamen, seien nicht adäquat zum Gästeblock begleitet worden. Eine organisierte Fantrennung habe nicht stattgefunden. Und auch dem Rückweg, auf dem es ebenfalls noch Verletzte unter den Leipziger Anhänger gegeben haben soll, sei erst nach Intervention der Dortmunder Fanbeauftragten mehr Personal hinzugezogen worden. Es wird berichtet, dass auch die desorientierte Einsatzpolizei nicht so recht wusste, auf welcher Route genau die RB-Anhänger wieder zurück zum Stadion gelangen.
Sebastian, der als einer der Capos von RB bei jedem Spiel auf dem Zaun steht und seit der Klubgründung 2009 bei Dutzenden Auswärtsfahrten schon einige Tiraden über sich ergehen lassen musste, sagte am Sonntagmittag spürbar bewegt: "Man kann Rivalität leben, aber diese Gewalt hat mit Fußball nichts zu tun - gar nichts. Das ist einfach nur armselig!" Noch immer fassungslos sagte der Vorsänger: "Wie auch Frauen und Kinder angegriffen wurden, war skrupellos. Wer Steine wirft, nimmt in Kauf, dass auch Menschen sterben."
So massiv und gezielt wie auf dem Hinweg zum Dortmunder Stadion und auch bei der Abreise waren die RB-Anhänger bisher noch nie attackiert worden. In der dritten Liga waren die Leipziger mit Kot und Urinbechern beworfen, bei Union Berlin mit Buttersäure im Gästeblock empfangen worden und in Fürth war der RB-Block mit Öl verunreinigt worden, um die Leipziger zu Fall zu bringen. In der vergangenen Saison war der Hass besonders beim Pokalspiel in Osnabrück, in Kaiserslautern und Karlsruhe hochgekocht. In dieser Saison war Rasenballsport vor allem beim Pokalspiel in Dresden - inklusive Bullenkopf-Skandal - und in Köln angefeindet worden, als nicht nur der Teambus blockiert wurde, sondern es bei der Abreise auch Handgreiflichkeiten und Sachbeschädigungen gab. In Leverkusen klatschten Farbbeutel an die Windschutzscheibe des Busses der Leipziger.
"Wir distanzieren uns entschieden"
Doch ein solches Ausmaß an körperlicher Aggression wie in Dortmund ist ein neues Gewalt-Level. Der Fanklub Bornaer Bullen schreibt in einem offenen Brief an BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke: "Wir Bornaer Bullen sind nach diesem Abend konsterniert, erschrocken, teilweise auch traumatisiert. Wir sind nach diesem Abend einmal mehr stolz, dass wir Teil einer neuen Fankultur sind, die Gewalt, Exzesse und Hass ablehnt. Dinge, die wir jahrzehntelang in Leipzig seitens Chemie Leipzig und auch Lok Leipzig erlebt haben." Doch so gewalttätig und rücksichtlos wie in Dortmund sei es selbst bei früheren Leipziger Fußball-Schlachten zwischen Lok- und Chemie-Fans nicht zugegangen, sagen langjährige Leipziger Fans.
Borussia Dortmund reagierte am Samstagmorgen zunächst mit einer kurzen Entschuldigung. "Der BVB verurteilt diese Gewalt auf das Schärfste!", teilte BVB-Pressesprecher Sascha Fligge mit. "Wir wünschen den verletzten Fans aus Leipzig auf diesem Wege gute Besserung!" Nicht nur RB-Capo Sebastian empfindet dieses Statement als "halbherzig". Der fannahe BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke habe die Stimmung im Vorfeld gegen RB durch immer neuen Sticheleien verantwortungslos mit angeheizt, heißt es von vielen Seiten.
"Die besten Fans der Welt"
Zwar legte der BVB-Boss am Abend noch einmal nach ("Wir distanzieren uns entschieden von dem geschmacklosen Plakat über Ralf Rangnick und verurteilen die Gewalt aufs Allerschärfste. Hier wurden jegliche Grenzen überschritten"). Zudem ließ Watzke sich zusammen mit dem Klubpräsidenten Reinhard Rauball zitieren: "Um es ganz deutlich zu sagen: Wer seine Meinung nicht durch Argumente, sondern durch rohe Gewalt und plumpe Beleidigungen ausdrückt, kann, darf und wird nicht Teil der BVB-Familie sein."
Und selbst Innenminister Thomas de Maizière meldete sich zu Wort und forderte eine „schnelle und harte Reaktion der Justiz, damit alle wissen, was ihnen droht, wenn man sich so verhält”. Der "Bild"-Zeitung sagte der CDU-Politiker: "Die brutalen Szenen lassen einem den Atem stocken. Wer Steine und Getränkekisten auf Polizisten schleudert und dabei nicht mal auf Familien und Kinder Rücksicht nimmt, ist in Wahrheit kein Fußballfan, sondern gehört hinter Schloss und Riegel."
Doch die RB-Verantwortlichen reagierten schroff. Sie bezeichneten die Übergriffe als "beschämend für ganz Fußball-Deutschland" und forderte die BVB-Bosse Watzke und Rauball persönlich auf, die Vorfälle lückenlos aufzuklären. Wegen verbaler Scharmützel im Vorfeld ist die Stimmung zwischen RBL und BVB mehr als angespannt. Wie das Portal "Der Westen" berichtet, soll sich Watzke mittlerweile für das geschmackloseste der vielen diffamierenden Hass-Plakate auf der Südtribüne bei Rangnick persönlich entschuldigt haben.
RB wird nun einen Sonderbericht anfertigen, der BVB und die Dortmunder Polizei klären die Vorfälle ebenfalls auf. Augenzeugen und Opfer aus der RB-Fanszene sind aufgefordert, sich bei Klub und Polizei zu melden. Der DFB-Kontrollausschuss war vor Ort und wird ermitteln - allerdings wohl nur wegen der Banner, nicht wegen der Ausschreitungen außerhalb des Stadions. Als Strafe droht ein Teilausschluss auf der 25.000 Fans fassenden Dortmunder Südtribüne - "der besten Fans der Welt", wie Stadionsprecher Norbert Dickel stets betont.
Dortmund wird sich nach den Vorfällen intensiver und offensiver mit seinem Fanproblem auseinandersetzen müssen. Gruppen wie die neue, gewalttätige und rechtsgerichtete Hooligangruppierung "0231 Riot" haben sich aus der Ultraszene heraus radikalisiert. In dem bekanntesten RB-Blog Rotebrauseblog heißt es: "Es gibt einen durchaus entscheidenden Unterschied zwischen einer rauen, pöbeligen oder meinetwegen auch feindseligen Atmosphäre, weil man jemanden nicht leiden kann und einem von Stil und Ausdrucksweise her selbsternannten Nazi-Volksmob. Muss man sich halt in Dortmund entscheiden, was man sein will." Borussia Dortmund, das traditionell viele Anhänger in Ostdeutschland hat, hat an diesem Krawallabend nicht nur im Ostend es Landes Tausende Sympathien verloren. "RB hat ein Spiel verloren", schrieb einer bei Facebook, "Dortmund seine Ehre."
Übrigens: Der zu Boden geschlagene Mann aus dem eingangs beschriebenen Video habe reanimiert werden müssen, heißt es in dem dazu gehörigen Facebook-Eintrag. Er hätte tot sein können.
Quelle: ntv.de