"Collinas Erben" arbeiten auf Wie dem Referee die Partie in Berlin entglitt
16.09.2019, 08:15 Uhr

Schiedsrichter Tobias Welz trieb in Berlin die Quoten des Kölner Keller-TV in die Höhe.
(Foto: imago images / Jan Huebner)
In Berlin erwischt der Schiedsrichter einen gebrauchten Tag. Von Beginn an läuft bei der Partie des 1. FC Union gegen Bremen vieles schief, die Spieler begehren selbst gegen korrekte Entscheidungen auf. Einer der Beteiligten zeigt sich nach dem Spiel bemerkenswert selbstkritisch.
Zwei Platzverweise, zwei frühe Eingriffe des Video Assistant Referees (VAR), drei Elfmeter, weitere knifflige Strafraumsituationen, eine Gelbe Karte für den Gästetrainer, häufige Unterbrechungen, jede Menge Hektik, Aufregung und Proteste - Schiedsrichter Tobias Welz war um sein Amt in der Partie zwischen dem 1. FC Union Berlin und Werder Bremen (1:2) nicht zu beneiden. Der 42-Jährige, im Hauptberuf Polizist, hatte einige Mühe, die Kontrolle über das Spiel zu behalten. Seine Bemühungen wirkten teilweise unglücklich, die Spieler machten es ihm allerdings auch alles andere als leicht.
Ein Problem für den Unparteiischen bei dieser Partie des vierten Spieltags der Fußball-Bundesliga war es, dass es am Samstag schon früh mehrere unklare, schwierig zu beurteilende Situationen gab, die er teilweise nicht erfasste, und dass die Zusammenarbeit mit dem Video-Assistenten Bastian Dankert nicht reibungslos verlief. Dadurch kam eine Unruhe auf, die fast minütlich stärker wurde, und die Welz auch mit strenger Beurteilung der Zweikämpfe und Disziplinarkontrolle nicht abgestellt bekam. Dabei lag er mit seinen Entscheidungen keineswegs durchweg daneben. Die wichtigsten davon im Überblick:
Drei Elfmeter, zwei Platzverweise
"Collinas Erben" - das ist Deutschlands erster Schiedsrichter-Podcast, gegründet und betrieben von Klaas Reese und Alex Feuerherdt. Er beschäftigt sich mit den Fußballregeln, den Entscheidungen der Unparteiischen sowie mit den Hintergründen und Untiefen der Schiedsrichterei. "Collinas Erben" schreiben jeden Montag auf ntv.de über die Schiedsrichterleistungen des Bundesligaspieltags. Unser Autor Alex Feuerherdt ist seit 1985 Schiedsrichter und leitete Spiele bis zur Oberliga. Er ist verantwortlich für die Aus- und Fortbildung in Köln, Schiedsrichterbeobachter im Bereich des DFB und arbeitet als Lektor und freier Publizist.
2. Minute, Strafstoß für Bremen: Welz pfiff, weil er ein Foul des Berliner Torwarts Rafal Gikiewicz an Davy Klaassen wahrgenommen hatte. VAR Dankert kam jedoch zu der Bewertung, "dass der leichte Kontakt am Bein des Bremer Spielers nicht ursächlich für den Fall des Spielers war", wie Jochen Drees sagt, der Projektleiter des DFB für die Video-Assistenten. Deshalb kam es zu einem Review am der Seitenlinie vor der Gegentribüne. Zu Recht, wie Drees betont, denn der Elfmeterpfiff sei "regeltechnisch falsch" gewesen. Der Schiedsrichter blieb gleichwohl nach Ansicht der Bilder bei seiner Entscheidung, was für Unverständnis sorgte. Auch dass dieser Prozess mehrere Minuten dauerte, war nicht optimal.
12. Minute, Handelfmeter für Union: Dass der Bremer Christian Groß im eigenen Strafraum den Ball mit dem auf Schulterhöhe gehaltenen Arm spielte, nahm Welz auf dem Feld nicht wahr. Deshalb griff erneut Bastian Dankert ein, wiederum zu Recht, denn das Handspiel war eindeutig strafbar. Diesmal korrigierte sich der Referee nach dem Review und entschied auf Strafstoß.
22. Minute, kein Handelfmeter für Bremen: Im Strafraum von Union köpfte Yuya Osako den Ball aus kurzer Distanz gegen die Hand des sich wegdrehenden Verteidigers Christopher Lenz. Waren dessen Handhaltung und Armbewegung fußballtypisch? Oder lag eine unnatürliche Vergrößerung der Körperfläche vor? Ein Grenzfall, über den man streiten kann. Zum dritten Mal gab es Kontakt zwischen Welz und dem VAR, doch in diesem Fall folgte kein Review - vielleicht auch, weil das Welz‘ Autorität eher untergraben als gestärkt hätte. Klar und offensichtlich falsch war es zudem nicht, keinen weiteren Strafstoß zu geben.
54. Minute, Foulelfmeter für Bremen: Das kurze Ziehen von Christopher Trimmel am Trikot von Theo Gebre Selassie vor dessen missglücktem Torschuss entging Welz, nicht aber seinem Assistenten an der Seitenlinie. Mit kurzer Verzögerung entschied der Referee schließlich zum dritten Mal auf Strafstoß. Eher ein Kann- als ein Muss-Elfmeter und allemal eine harte Entscheidung, aber kein Fall für eine Intervention des Video-Assistenten.
89. Minute, Gelb-Rote Karte für Neven Subotic: Ein berechtigter Feldverweis für den schon verwarnten Berliner, der Leonardo Bittencourt in der Nähe der Bremer Bank mit einem Bodycheck in die Bande rempelte. Auch die im Zuge dessen gezeigte Gelbe Karte für den Bremer Trainer Florian Kohfeldt, der seine Coachingzone verließ, um wutentbrannt auf Subotic loszugehen, und damit eine Rudelbildung auslöste, war absolut in Ordnung.
90. Minute, Gelb-Rote Karte für Nuri Sahin: Wenn der Schiedsrichter, etwa wegen einer Mauerstellung in Tornähe, die Ausführung eines Freistoßes blockiert und eine Freigabe ankündigt, zieht eine vorzeitige Ausführung zwingend eine Verwarnung nach sich. Deshalb war die Gelb-Rote Karte für Sahin regelkonform. Ob Welz die Blockade dieses Freistoßes im Niemandsland hinreichend deutlich kommuniziert hat, steht auf einem anderen Blatt. Bei einem auch optisch klareren Hinweis auf eine Freigabe per Pfiff hätte sich dieser Feldverweis wahrscheinlich vermeiden lassen, zumindest aber wäre er besser zu vermitteln gewesen.
Bemerkenswert selbstkritischer Union-Kapitän
Letztlich kam mit der falschen Elfmeterentscheidung, die Tobias Welz auch nach dem Eingriff des VAR aufrecht erhielt, schon früh der Wurm in die Spielleitung des Referees. Dass der Unparteiische gleich in mehreren spielrelevanten Situationen die Hilfe seiner Assistenten in Köln und an der Seitenlinie benötigte, ließ seine Akzeptanz weiter schwinden, selbst bei korrekten Entscheidungen gab es viel Protest. Die übertrieben kleinlich wirkende Gelb-Rote Karte gegen Sahin kurz vor dem Abpfiff bildete den Schlussakt eines Arbeitstages, den vermutlich auch Tobias Welz selbst als "gebraucht" betrachten wird.
Umso bemerkenswerter ist es, dass Christopher Trimmel kurz nach dem Schlusspfiff trotz der Niederlage nicht in die allgemeine Schelte über den Referee einstimmte. "Wenn ein Spiel beginnt und es ständig Rudelbildungen gibt, da sind auch wir Spieler schuld", sagte der Kapitän der Berliner. "Wenn du in jeder Situation den Video-Schiedsrichter forderst, eine Rote Karte forderst, einen Elfmeter forderst, dann wird es irgendwann verrückt, und es ist ständig der Finger des Schiedsrichters am Ohr, und du wartest und wartest." Das Fußballspielen gerate so zur Nebensache, "das wollen wir nicht". Deshalb müssten "wir alle vielleicht auch dem Schiedsrichter helfen". Am Samstag im Stadion An der Alten Försterei geschah das jedoch nicht.
Was sonst noch wichtig war:
- Kein Thema war der Schiedsrichter im intensiven Spitzenspiel zwischen RB Leipzig und dem FC Bayern München (1:1). Sascha Stegemanns Entschluss, die Elfmeterentscheidung für die Münchner in der 37. Minute nach einem On-Field-Review zurückzunehmen, erfuhr vielmehr allgemeine Akzeptanz, denn die Bilder zeigten, dass kein Foul von Marcel Sabitzer an Lucas Hernandez vorlag. Korrekt war der Strafstoßpfiff für die Gastgeber kurz vor der Pause: Hernandez ging zu ungestüm in den Zweikampf mit dem besser postierten Yussuf Poulsen, kam zu spät und traf den Leipziger am Fuß. Der verlor daraufhin das Gleichgewicht und ging zu Boden. Der souveräne Stegemann überzeugte darüber hinaus in einer anspruchsvollen Partie mit Konsequenz, Sachlichkeit und einem stimmigen Strafmaß, nicht zuletzt bei den Gesichtstreffern von Robert Lewandowski und Konrad Laimer, die zwar rücksichtslos, aber unbeabsichtigt und nicht brutal waren, weshalb die Gelbe Karte jeweils genügte.
- Der Ball ist bekanntlich nur dann im Seitenaus, wenn er die Seitenlinie am Boden oder in der Luft vollständig überquert hat. Das bedeutet im Umkehrschluss: Sobald auch nur ein winziger Teil auf die Linie ragt, ist der Ball noch im Spiel. Um zweifelsfrei festzustellen, ob das eine oder das andere der Fall ist, "wäre es notwendig, eine Kamera auf oder über den Seitenlinien zu positionieren, ähnlich wie es bei der Torerzielung mittels der Torlinientechnologie erfolgt", wie Jochen Drees sagt. Solche Kameras gibt es in den Stadien der Bundesliga aber nicht. Daher ließ sich nicht mit Bestimmtheit sagen, ob der Ball im Spiel Fortuna Düsseldorf – VfL Wolfsburg (1:1) vor dem Führungstreffer der Hausherren die Seitenlinie vollständig überschritten hatte oder nicht. Und deshalb blieb es zu Recht bei der auf dem Feld getroffenen Entscheidung von Schiedsrichter Manuel Gräfe, dessen Assistent die Fahne nicht gehoben hatte. Die Fernsehkameras haben allenfalls gezeigt, dass der Ball im Aus gewesen sein könnte, es aber nicht bewiesen. Auch wenn die Wolfsburger davon überzeugt waren.
Quelle: ntv.de