Methoden der Eteri Tutberidse Die Königin der Unbarmherzigkeit
19.02.2022, 09:38 Uhr
Eleni Tutberidse ist eine über die Maßen erfolgreiche Eiskunstlauftrainerin. In Peking gewinnen ihre Athletinnen Gold und Silber. In Erinnerung wird die Russin jedoch auch wegen der Bilder bleiben, die sie nach der Tragödie um Kamila Walijewa produziert.
Die Olympischen Winterspiele von Peking gehen ihrem Ende entgegen. Ein Wettkampftag steht noch aus, auch eine erwartbar opulente Abschlussfeier mit weihevollen Worten des IOC-Präsidenten Thomas Bach liegt noch vor der Sportwelt. Bach wird sicher von großartigen, vielleicht von den großartigsten Spielen aller Zeiten sprechen. Das ist Folklore. Auf den letzten Metern wird Bach, der sich seit Monaten, seit Jahren erfolgreich um die drängendsten Fragen zu Autokraten, Menschenrechtsverstößen und sonstigen Ärgernissen, die die umstrittenen Gastgeber seiner Großveranstaltungen mit sich bringen, herumdrückt, das nicht ändern. Einmal aber fiel Bach, der 2014 nach den Olympischen Winterspielen von Sotschi von Wladimir Putin mit dem "Orden der Ehre" bedacht worden war, doch aus der Rolle des bis zur völligen Selbstverleugnung vorgeblich neutralen Funktionärs, der sich alleine dem Fortkommen des Sports in der Welt verpflichtet sieht.
"Sehr verstört" sei er gewesen, sagte Bach über die Momente nach der Kür von Eiskunstläuferin Kamila Walijewa, die unter dem Druck der weltweiten Aufmerksamkeit über ihren Doping-Komplex unter den Augen der Welt in der Kür zusammengebrochen und wegen zahlreicher Fehler und Stürze vom Goldrang noch ganz aus den Edelmetallrängen gefallen war. "Als ich gesehen habe, wie sie von ihrem Umfeld empfangen wurde, mit etwas, was mir wie eine enorme Kälte vorkam - mir lief es kalt über den Rücken, zu sehen, was da geschah", berichtete Bach am Freitag. "Statt sie zu trösten, statt ihr zu helfen, nachdem was geschehen war, konnte man spüren wie eiskalt die Atmosphäre war. Solch eine Distanz zu erleben, wenn man sich nur die Körpersprache dieser Person angeschaut hat, hat sich das nur noch in der Vorstellung verschlimmert."
"Warum hast du aufgehört, zu kämpfen?"
Ausgelöst hatte Bachs sportdiplomatischen Ausfall Eteri Tutberidse, die Trainerin der 15-jährigen Walijewa. Die hatte ihren sichtbar aufgelösten Schützling mit harter Kritik am Rande der Eisfläche empfangen, auf der gerade ein olympischer Traum zerplatzt war. "Warum hast du alles so aus den Händen gegeben? Warum hast du aufgehört, zu kämpfen? Erklär mir das! Nach dem Axel hast du es aus den Händen gegeben", redete Tutberidse Sekunden nach den schlimmen vier Minuten auf dem Eis auf Walijewa ein. Die Bilder des völlig überforderten Teenagers und der auf sie einschimpfenden Eteri Tutberidse werden von diesen Spielen in Erinnerung bleiben. Mehr als die meisten Goldmedaillen, mehr als spektakuläre Stürze und besondere Umarmungen. Denn die Kälte, mit der die Trainerin ihrer Schülerin begegnete, sie hat die Welt erschüttert. Kein Trost, keine Liebe - nur Vorhaltungen.
Nun ist es nicht so, als wäre das nicht alles zu erwarten gewesen. Denn die 47-Jährige genießt in der Szene einen eher zweifelhaften Ruf. Sie ordnet dem Erfolg (den sie auf herausragende Weise hat) alles knallhart unter, sogar das Menschliche. Eine Geschichte über ihre verstörenden Methoden ist besonders erschreckend. Sie wird von einer ehemaligen Schülerin erzählt. Verifiziert ist sie indes nicht. Weil ihr Training schlecht gewesen sei, sagte Polina Shuboderova, sei sie von Tutberidse in eine Mülltonne mit geschlossenem Deckel gesteckt worden. Dort musste bis zum Ende der Einheit bleiben. Die Trainerin habe gesagt: Müll gehört in den Müll.
Keine Gnade kennt die gebürtige Moskauerin auch bei Verletzungen. Gebrochene Zehen? Kein Grund für eine Pause. Das klingt absurd. Auf den Füßen der Athleten und Athletinnen lastet so ungemein großer Druck beim Absprung oder den Landungen. Für die ehemalige Sportlerin Tutberidse, die nach schweren Verletzung an den Wirbeln vom Eiskunstlauf zum Eistanz wechseln musste, ist das offenbar egal. In ihrer eigenen Laufbahn reichte es übrigens trotz renommierter Trainer wie Natalja Linitschuk und Tatjana Tarassowa nicht mal für die nationale Spitze. Und auch ihre eigene Tochter Diana Davis konnte sie nicht an die Spitze führen. Wie ihre Mutter wich sie zum Eistanz aus, in Peking kam sie mit Partner Gleb Slomkin auf Rang 14. Indiskutabel für Mama Tutberidse.
"Ewig kannst du das nicht durchhalten"
Eine andere, die über die Methoden der Eiskalt-Trainerin berichtet, ist Alina Sagitowa, die Olympiasiegerin von 2018 und Weltmeisterin von 2019. Im russischen "Sport Express" sagte sie: "Man musste einfach nur die Klappe halten und nichts essen! Oder zumindest nur wenig." Sagitowa tritt im Alter von 19 Jahren nicht mehr an. Auch sie gehört zu der Generation der "Wegwerfmädchen". Polina Shuboderova sagte einmal: "Ewig kannst du das nicht durchhalten." Sie ging in die USA - und dort blickte man verwundert auf das unmenschliche Pensum der Athletin, die teilweise bis zu zwölf Stunden am Tag trainieren musste.
Doch der Erfolg gibt Tutberidse zumindest sportlich recht. Die Liste der Top-Läuferinnen ist lang. Der russische Trainer Alexander Schulin schrieb in einem offenen Brief an Thomas Bach, den IOC-Präsidenten, Tutberidse habe seit 2014 sechs Medaillengewinnerinnen bei Olympia und vier Olympiasiegerinnen trainiert. "Sie weiß wahrscheinlich, wie und was sie ihren Schülerinnen nach ihren Auftritten sagen muss", schrieb Schulin. In Peking führte Tutberidse Anna Schtscherbakowa zur Goldmedaille und Alexandra Trussowa (beide 17) zu Silber. Noch jüngere Läuferinnen scharren schon in der russischen Hauptstadt ungeduldig mit den Kufen. Mit noch mehr Tempo, mit noch mehr Vierfach-Sprüngen. Tutberidses "Quad Squad" hat kein Nachwuchsproblem.
Und in Russland auch kein Anerkennungsproblem. Auf die überraschend scharfe Kritik von IOC-Boss Thomas Bach, ihn hatte die Härte der Trainerin "verstört" hieß aus dem Kreml: "Ihm gefällt die Härte unserer Trainer nicht, aber alle wissen, dass im Spitzensport die Rigidität des Trainers der Schlüssel zum Sieg seiner Schützlinge ist", sagte Sprecher Dmitri Peskow. Und Tutberidse steht eben für Erfolg, die Liste der Olympia-, WM- und EM-Medaillen ihrer Schützlinge ist schier endlos. Sie hat das "Who is who" der vergangenen Jahre ausgebildet. Und ihre Anziehungskraft ist trotz Härte Unbarmherzigkeit offenbar riesengroß. Silbermedaillengewinnerin Alexandra Trussowa war für die Olympia-Vorbereitung zu ihrer einstigen Trainerin Tutberidse zurückgekehrt. Gnadenloses Training, gnadenloser Erfolg. So die verdichtete Formel.
Und an der lassen sie in der Heimat keine Kritik zu. Russlands Vize-Ministerpräsident Dimitri Tschernischenko hatte die Äußerungen von Bach ebenfalls scharf zurückgewiesen. "Wir sind zutiefst enttäuscht darüber, einen IOC-Präsidenten zu erleben, der sein eigenes fiktives Narrativ zu den Gefühlen unserer Athleten spinnt und diese dann öffentlich als Stimme des IOC präsentiert", sagte Tschernischenko. Der Organisationschef der Spiele von Sotschi 2014 bezeichnete Bachs Worte als "unangemessen und falsch". Olympische Spiele seien für alle Athleten der "Höhepunkt des Profisports" verbunden mit "Hoffnungen und Träumen einer gesamten Nation". Dies sei für die Sportler ein "bekannter Druck, und das ist es, was sie mit ihrem Kampfgeist antreibt", so Tschernischenko. Tutberidse selbst äußerte sich auch. Sie sei "immer noch ratlos über die Bewertung unserer Arbeit durch den geschätzten Herrn Bach", kommentierte sie bei Instagram.
Quelle: ntv.de, tno