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Unfassbare ZuschauerzahlenDer Michael Jordan der Gamer schafft eine Parallelwelt

11.11.2025, 17:08 Uhr WhatsApp-Image-2025-01-14-at-07-23-43Tobias Hauser
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Lee Sang-Hyeok, genannt "Faker". (Foto: Riot Games)

Die "League of Legends"-Weltmeisterschaften sind das wichtigste E-Sport-Turnier des Jahres. In Asien hat die Begeisterung für die Sportart ein vollkommen anderes Level als in Europa. Das zeigt sich besonders bei einem Mann. Es sind Einblicke in eine andere Welt. Könnte sie auch bei uns bald Realität werden?

Basketballer, die von Michael Jordan sprechen, reden oft von seiner Aura. Davon, dass es beinahe wirkt, als würde er schweben. Dass sich alle Blicke auf ihn richten, wenn er den Raum betritt. Es sind Geschichten, die an religiöse Erzählungen erinnern. Jordan, das ist mehr als ein Mensch.

Bei den Gamern haben sie auch so einen. Was Jordan für Basketballer ist, das ist Lee Sang-Hyeok, genannt "Faker", für Fans von "League of Legends", dem größten E-Sport der Welt. Ehrfürchtig sind sie, wenn sie von dem 29-Jährigen aus Südkorea sprechen. Wer mit ihm geredet hat oder gar spielen durfte, berichtet davon oft mit einer gewissen Ungläubigkeit. Es ist, als wäre es schwer zu greifen, dass der äußerlich unscheinbare Mann wirklich nur einer ist wie alle anderen.

Michael Jordan holte während seiner Karriere sechs NBA-Titel. Als "Faker" vor wenigen Wochen mit seinem Team in Peking landete, hatte er die Weltmeisterschaft in "League of Legends" bisher fünfmal gewonnen. Bisher.

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Chengdu jubelt. (Foto: Riot Games)

Das Phänomen "Faker"

Was das Phänomen "Faker" wirklich ausmacht, versteht man erst, wenn man vor Ort ist und sieht, was er den Menschen bedeutet. Es ist die Pressekonferenz, zwei Tage vor dem Finalspiel. Gleich wird der Superstar mit seinem Team "T1" auf die Bühne kommen. Die Stimmung erinnert beinahe an ein Konzert. Alle Handys sind oben, greifbare Anspannung hängt über dem Raum voller Kameras.

Als er und seine vier Mitspieler das Podium betreten, bricht eine Frau beinahe in Tränen aus. Ihr Unglaube ist auch durch die Sprachbarriere klar zu verstehen. Immer wieder wechselt sie den Platz, um besser zu sehen. Gegen Ende der Fragerunde holt sie eine Fahne heraus, auf der der Name des Teams zu lesen ist. Die wenigen, die es schaffen, eine Frage zu stellen, sind sichtlich nervös. Bei dem Presseevent - auf das auch viele Content-Creator und Influencer eingeladen sind - ist von journalistischer Distanz wenig zu spüren.

Die Begeisterung und Liebe für das Spiel und seine Stars, die hier hinter verschlossenen Türen zu sehen ist, zeigt sich auch auf den Straßen. Ist E-Sport in Europa noch eine Nische mit lebendiger und wachsender Fangemeinde, ist er in asiatischen Ländern, besonders China und Südkorea, bereits absoluter Mainstream.

Auf einem der zentralen Plätze in der Finalstadt Chengdu sind das ganze Wochenende über Dutzende gigantische Stände aufgebaut, vor denen sich rund um die Uhr Tausende Menschen versammeln. Die Geschlechterverteilung ist dabei relativ ausgeglichen, weibliche Fans gibt es genau wie männliche. Überall in der Innenstadt verteilt stehen Statuen der Spielfiguren. Es ist wie ein Weihnachtsmarkt, nur für "League of Legends". Wer etwas kaufen oder an den vielen Gewinnspielen teilnehmen will, muss oft stundenlang anstehen.

Was ist "League of Legends"?

"League of Legends" ist ein Videospiel, in dem je fünf Spieler in zwei Teams gegeneinander antreten. Es gehört zum Genre Multiplayer Online Battle Arena (Moba). Das Team, das zuerst das Hauptgebäude der Gegner, den "Nexus" zerstört, gewinnt. Dazu wählt jeder Spieler vor der Partie seine Figur, den sogenannten "Champion", mit dem er das Spiel bestreitet. Im Verlauf eines Spiels, das im Regelfall zwischen 20 und 60 Minuten dauert, sammelt jeder Spieler Gold und Erfahrungspunkte, bekämpft zusammen mit seinen Mitspielern die gegnerischen Champions, kauft Items und zerstört erst die gegnerischen Türme und danach die Basis. Wichtig sind neben taktischen Fähigkeiten und Spielintelligenz auch schnelle Reflexe und genaue Mechaniken.

Asiatische Länder enteilen "dem Westen"

Eine breite Begeisterung, die man sich in Europa nicht vorstellen kann - oder vielleicht nur noch nicht? Auch hier gibt es große Events und ein treues Publikum. Doch auf dieselbe Weise in der Kultur verankert ist E-Sport noch nicht.

Das Finale vergangenes Jahr hatte in der Spitze über 50 Millionen Live-Zuschauer, der größte Teil davon chinesisches Publikum. Doch auch in westlichen Ländern wächst die Begeisterung. Vergleicht man die Zuschauerzahlen aus diesem Jahr mit denen der Weltmeisterschaft 2020, die in derselben Zeitzone gespielt wurde, sind klare Anstiege zu erkennen. Sahen im Halbfinale damals durchschnittlich rund 2,5 Millionen Menschen aus westlichen Ländern zu, waren es dieses Jahr über 3 Millionen. Im Vergleich zu den chinesischen Zuschauern sind es dennoch geringfügige Zahlen. Die europäische Liga, die das ganze Jahr über läuft, erreichte ihren Höchststand dieses Jahr bei rund 800.000 Live-Zuschauern.

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Fünf Stühle für "T1". (Foto: Riot Games)

Was aus der niedrigeren Popularität folgt, ist auch Erfolglosigkeit auf der internationalen Bühne. Meistens ist für Teams aus Europa und Amerika spätestens im Viertelfinale Schluss. Ausnahmen waren die Jahre 2018 und 2019, als europäische Teams es sensationell ins Finale schafften. Seitdem machten den Titel jedoch immer chinesische und koreanische Teams untereinander aus.

"In Korea ist es bereits seit 20 bis 25 Jahren nicht mehr seltsam, Profispieler zu sein. Es ist sogar so etwas wie eine Berufung. Gaming ist kulturell sehr akzeptiert", sagt John Greeley, "Head of E-Sport" bei Riot Games, dem Entwickler von "League of Legends" im Gespräch mit ntv. "Wenn der nächste 'Faker' in Nordamerika geboren wurde, kann es sein, dass er gerade etwas ganz anderes macht. Vielleicht spielt er irgendwo Basketball statt League of Legends."

Vorbilder wie "Faker" inspirieren junge Menschen in China und Südkorea, bewusst den Weg zum Profispieler zu verfolgen, so Greeley. "In anderen Ländern läuft es eher andersrum. Jemand ist wirklich gut in einem Spiel und denkt sich dann: Vielleicht könnte ich Profi werden." Die Konsequenz: "The Gap", eine geläufige Bezeichnung für die Lücke in Können zwischen den westlichen und den asiatischen Teams.

Fabian "Grabbz" Lohmann, Coach des europäischen Teams "Fnatic", das in der Gruppenphase der Weltmeisterschaft ohne einen einzigen Sieg ausschied, sieht einen klaren Grund für das Ungleichgewicht. In einem Stream nach dem Ausscheiden, sagt er: "Spieler in Europa sagen oft, sie wollen gewinnen. Dann sagt man ihnen, was sie dafür tun müssen, und sie sagen: 'Oh, das ist aber etwas zu viel.'"

Was sie dafür tun müssen, das ist vor allem sehr viel spielen. Als der chinesische Spieler "Doinb" 2019 die Weltmeisterschaft gewann, spielte und schaute er eigenen Angaben zufolge im Durchschnitt über 14 Stunden "League of Legends" pro Tag und schlief zwischen 5 und 6. "Meine Gesundheit? Das ist mir egal. Das spielt keine Rolle. Nur das Spielergebnis zählt", sagte der damals 23-Jährige. "Mich interessiert nur, wie wir gewinnen können. Ich muss weniger schlafen und mehr trainieren."

In Südkorea und China gibt es genügend talentierte und ehrgeizige Spieler, die nachrücken können, wenn die Stammspieler nicht bereit sind, die Arbeit zu investieren, die es braucht, um auf dem absoluten Top-Niveau zu spielen. In Europa ist der Traum des Profispielers kulturell und finanziell nicht im gleichen Maße erstrebenswert, weshalb auch weniger Anwärter auf die Startplätze in den Teams existieren.

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Rund 70 Tänzerinnen und Tänzer sind bei der 15-minütigen Show mit Chinas populärstem Popstar G.E.M. vor dem Finale auf der Bühne. (Foto: Riot Games)

Doch wirklich nachhaltig kann Erfolg nicht sein, wenn er auf einem ungesunden Lebensstil basiert. Eine Erkenntnis, die auch bei den Verantwortlichen angekommen ist. "Die meisten Teams haben einen Ernährungsberater und einen Koch und die meisten Spieler haben auch irgendeine Art von körperlichem Training in ihren streng regulierten Tagesplan eingebaut", sagt Greeley.

Nerds, die wie Gladiatoren inszeniert werden

Genau wie die Teams ist auch der E-Sport selbst in den vergangenen zwanzig Jahren immer erwachsener und professioneller geworden. Die Inszenierung ist mit ihm gewachsen. Die Kosten für die vierwöchige Weltmeisterschaft sind "weit im achtstelligen Bereich", sagt Greeley. Wie in anderen Sportarten gibt es Kommentatoren, Übertragungen, Blitzlichter, Presse und jede Menge Show. Nach der Fragerunde bei der Pressekonferenz müssen die Teams für Fotos vor der Trophäe posieren. Verschränkte Arme, Faust in der Luft, das selbstbewusste Blickduell mit dem Gegenspieler - es ist alles dabei.

Es sind Männer, die 12 Stunden täglich professionell ein Computerspiel spielen und die für das Publikum inszeniert werden wie Gladiatoren - eine Rolle, die sie mit spürbarer Unsicherheit ausfüllen. Das Publikum liebt die Inszenierung, die sich selbst damit entlarvt, wie wenig sie zu ihren Objekten passt. Müssen die Spieler bei den Posen lachen, lacht auch das Publikum. "Soo cute", sagt eine Frau im Presseraum, und zieht das O ganz lang.

Vielleicht kommen die Spieler gerade deswegen so gut an. Weil sie nicht die schillernden Helden aus dem Fußball sind, Medienprofis und Selbstdarsteller, sondern zu großen Teilen schüchterne Nerds mit jeder Menge Talent. Stars sind sie auf jeden Fall. Als der Spieler "Peanut" nach seiner Viertelfinalniederlage seine Karriere beendet, weil er zum Militärdienst in Südkorea eingezogen wird, schluchzen weibliche Fans im Publikum wie beim Ende einer Boyband. "Faker", erzählt einer der anderen Journalisten, sei in Südkorea der drittbekannteste Mensch. Berühmter seien nur Fußballer Heung-Min Son - und der Präsident.

Auch in China lieben sie ihn, obwohl er nicht von hier kommt. Als er beim Finale im Dong'an Sports Park in Chengdu die Bühne betritt, ist der Applaus ohrenbetäubend. Fünf Spiele werden er und seine Teamkollegen heute spielen. Ihnen gegenüber steht KT Rolster, ebenfalls ein koreanisches Team. Es ist eine E-Sport-Rivalität, die bereits zwanzig Jahre alt ist und hier vermutlich ihren vorläufigen Höhepunkt findet.

"Je wichtiger das Spiel, desto besser ist Faker", hatte sein Gegenspieler BDD vor dem Finale gesagt. Im Basketball spricht man von Spielern, die dann am besten sind, wenn die Lichter am hellsten leuchten. Michael Jordan war so einer. "Faker" ist auch so einer. In einem Finale, das seiner historischen Bedeutung gerecht wird, siegt das Team des Rekordweltmeisters mit 3:2, nachdem es nach drei Spielen noch mit 1:2 hinten gelegen hatte. Es ist "Fakers" sechster Sieg bei der Weltmeisterschaft und sein dritter in Folge. "Ich mache all das nicht für die Titel", hatte der Ausnahmespieler auf der Pressekonferenz ntv gegenüber gesagt. "Ich liebe es einfach, zu gewinnen."

Quelle: ntv.de

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