Wirtschaft

Tech und Luxus treiben KonsumAmerikas Wackelturm-Wirtschaft hängt nur noch an den Reichen

16.11.2025, 08:26 Uhr imageHannes Vogel
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Die Kluft zwischen Arm und Reich ist in den USA groß. (Foto: REUTERS)

Eine kleine Vermögenselite profitiert, aber die Masse der Amerikaner geht in Trumps USA leer aus: Die Tech-Werte steigen immer weiter, Jobs entstehen kaum. Millionen können sich kein Essen leisten. Die Sorge vor dem Abstieg der Mittelklasse - und dem Abschwung - wächst.

Als Rick Wichmann vor einigen Monaten einen Blick auf sein Investmentportfolio warf, kam ihm eine Idee. Warum nicht seinen alten Toyota verkaufen und einen neuen Tesla leasen? Geld hatte er schließlich genug. Die Aktien, in die der Berater im Ruhestand investiert hatte, schienen nur eine Richtung zu kennen: aufwärts. Als dann auch noch ein Lüfter in seinem Haus kaputt ging, tauschte Wichmann kurzerhand die gesamte Heizung aus - für 72.000 Dollar. "Ich bin recht optimistisch in Bezug auf die Wirtschaft", sagte der 67jährige kürzlich dem "Wall Street Journal".

Wie Wichmann geht es vielen US-Gutverdienern. Während der Rest Amerikas Mühe hat, sich über Wasser zu halten, werfen sie mit Geld um sich: für Luxushotels, teure Restaurants und Konsumgüter. Zwei Drittel der US-Wirtschaft hängen vom Konsum ab. Und der wird fast nur noch von den Ausgaben der Superreichen getrieben: Die reichsten zehn Prozent der Amerikaner stehen laut Moody's inzwischen hinter fast der Hälfte der gesamten Konsumausgaben.

Auf dem Papier steht die US-Wirtschaft damit gut da: Mit fast zwei Prozent soll das Wachstum in diesem Jahr robust bleiben. Die Börsenrally geht weiter. Aber bei den meisten Menschen kommt davon kaum etwas an. Jobs werden trotz des historischen KI-Booms kaum geschaffen. Und obwohl sie weit von einer Rezession entfernt sind, leben in den USA, dem reichsten Land der Welt, mehr als 40 Millionen Menschen - vor allem Kinder, Rentner und Veteranen - von staatlichen Essensmarken.

Amerikas Wirtschaft wird damit immer fragiler. Ein Großteil der Menschen kann sich angesichts der Inflation größere Investitionen kaum noch leisten. Sie geben einfach viel weniger Geld aus. Die Sorge vor einem Abschwung wächst. "Vieles deutet darauf hin, dass Haushalte mit unterem und mittlerem Einkommen unter finanziellen Druck geraten", warnt Fed-Gouverneur John Williams in der "Financial Times". Viele Amerikaner würden nur noch "von Lohnzettel zu Lohnzettel leben". "Sollte diese Schieflage den Konsum dämpfen, droht die wirtschaftliche Erholung in den USA ins Stocken zu geraten."

Die Wackelturm-Wirtschaft breitet sich aus

Der Ökonom Peter Atwater hat für das Phänomen inzwischen einen Begriff geprägt: die Wackelturm-Wirtschaft. Sie ähnele immer mehr einem kopflastigen Jenga-Turm, aus dem nach und nach Bausteine herausgezogen würden. Vor allem am Boden in den ärmsten Schichten fehlen schon jede Menge Klötzchen. Und inzwischen gerät selbst die Mittelklasse in den Abwärtssog. Dadurch schwankt der Turm zunehmend. "Es macht die gesamte Wirtschaft stark verwundbar, falls bei den einkommens- und vermögensstarken Haushalten etwas schief geht", zitiert "Bloomberg" Mark Zandi, den Chefökonom von Moody's.

Viele Konzerne bekommen das Problem bereits zu spüren: "Die Ausgaben der verschiedenen Einkommensgruppen laufen weiter auseinander. Vor allem Haushalte mit niedrigen und mittleren Einkommen stehen unter Druck", räumte Coca-Cola-Chef Henrique Braun kürzlich ein. Der Limo-Gigant hat darauf etwa mit der Einführung kleinerer, günstigerer Dosen reagiert. "Die Kluft zwischen den Verbrauchern vertieft sich. Bei Kunden mit niedrigem Einkommen brachen die Käufe im dritten Quartal fast zweistellig ein, während sie bei Besserverdienern fast genauso stark zulegte", bestätigte auch McDonalds-Chef Chris Kempczinski den Trend.

Vor allem der Börsenboom verstellt den Blick auf die Realität. Denn nur die Top-Verdiener können sich Aktien überhaupt leisten: Den reichsten 10 Prozent der Amerikaner gehören laut US-Notenbank 87 Prozent aller Aktien. Die ärmste Hälfte bringt es dagegen auf gerade mal 1 Prozent. Dividenden und Kursgewinne der Tech-Riesen fließen also fast ausschließlich nach oben. Die gigantische KI-Rally macht die Reichen noch reicher und ermutigt sie, mehr Geld auszugeben. Aber Millionen Menschen am unteren Ende nützt das nichts. Sie sind vom Wachstum abgehängt.

Aufwärts für wenige, abwärts für viele

Kritiker halten dagegen, dass das Problem nicht neu ist: "In Bezug auf Wohlstand oder Nettovermögen waren die USA schon immer extrem ungleich. Daran hat sich in den letzten Jahren kaum etwas geändert", konstatiert etwa der "Financial Times"-Kommentator Robert Armstrong. Also ließen sich damit nun kaum nachlassender Konsum oder ein drohender Abschwung erklären.

Gleichzeitig würden die Menschen aber sehen, wie die Preise für Aktien, Häuser und Lebensmittel extrem durch die Decke gingen, räumt Armstrong ein. Dadurch würden sie sich massiv ärmer fühlen. Weniger ihre tatsächlichen Vermögensverhältnisse haben sich also verschlechtert. Sondern ihre Wahrnehmung hat sich spürbar eingetrübt - und damit auch das Verbrauchervertrauen. Der Pessimismus weiter Teile der US-Bevölkerung wird so zur selbsterfüllenden Prophezeiung.

Ökonom Atwater hatte dieses Phänomen zuerst 2020 beschrieben: die K-förmige Spaltung der Wirtschaft ("the K-shaped economy"). Für die einen geht es darin gefühlt immer weiter nach oben, für die anderen nur noch steil abwärts. Amerika ist damit nicht nur politisch polarisiert. Sondern zerfällt auch wirtschaftlich immer stärker in zwei Gruppen mit völlig konträrer Wahrnehmung: "Die Menschen an der Spitze haben das Gefühl, ihr Leben völlig im Griff zu haben während am unteren Ende tiefe Verunsicherung und Ohnmacht herrschen", schreibt Atwater.

Die Superreichen "fühlen sich unbesiegbar und sind blind für Risiken." Entsprechend leben sie, als gäbe es kein Morgen. Den Ärmsten geht es genau umgedreht. Sie fühlen die zunehmende Last dessen, was Atwater "systemische Verwundbarkeiten" nennt: "All die Dinge, von denen sie nicht genug haben und nie haben werden: Geld, medizinische Versorgung, gut bezahlte Jobs, Qualifikation, Respekt, eine Stimme." Ihnen erscheint die Zukunft immer düsterer. "Sie sehen das System als gegen sie gerichtet."

Tod des amerikanischen Traums

Für weite Teile der US-Gesellschaft ist der amerikanische Traum damit tot. Von Amerikas Versprechen, mit harter, ehrlicher Arbeit Wohlstand zu erlangen, haben sie sich verabschiedet: Angesichts einer extremen "Chancen-Lücke" zwischen Arm und Reich sehen sie keine Möglichkeit auf sozialen Aufstieg mehr: "Die gesellschaftliche Messlatte für Erfolg ist so extrem geworden, dass sie für die unteren Schichten unerreichbar scheint".

Abgesehen von der Frage, ob es das Wachstum gefährdet: Was nützt eine Wirtschaft, die auf dem Papier wächst, aber von der die Masse der Menschen nichts hat? Sie birgt enormen sozialen Sprengstoff: "Amerika gleicht einem Passagierflugzeug mit zwei oder drei First-Class-Sitzen vorne und tausenden, wenn nicht hunderttausenden Holzklasse-Plätzen dahinter. Und die Menschen hinten im Flieger sind sich sicher, dass sie niemals vorn sitzen werden", meint Atwater. Ihnen blieben nur Verzweiflungstaten - "hochimpulsives und emotionales 'Jetzt-bin-ich-dran'-Verhalten: Kampf, Flucht, Schockstarre, Untertänigkeit oder Gleichgültigkeit. Oft in Kombination."

Amerika gerät in immer mehr Bereichen zur Wackelturm-Wirtschaft: Kinderbetreuungskosten, Lebensmittelpreise, Immobilien. Die Probleme vermengen sich zu einem Cocktail der Lebensbedrohlichkeit, der mit "Erschwinglichkeitskrise" betitelt wird. Donald Trump ist bislang erfolglos darin geblieben, sie zu lösen. Bei ihren überraschenden Wahlsiegen haben die Demokraten das kürzlich erfolgreich ausgeschlachtet.Die Kluft zwischen Arm und Reich ist längst kein Wirtschaftsproblem mehr. Sie ist nun der Schlüssel im Kampf um das Weiße Haus.

Quelle: ntv.de

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