Wirtschaft

"Spiel mit dem Feuer"Der Warren-Buffett-Index zeigt, wie krass die KI-Rally ist

12.11.2025, 13:56 Uhr imageHannes Vogel
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Wohin geht die Reise? (Foto: REUTERS)

Das "Orakel von Omaha" wusste schon vor mehr als 25 Jahren: Wenn sich Börsenwerte völlig von der Realität entkoppeln, droht Crashgefahr. Der KI-Hype bricht alle historischen Rekorde. Noch nie waren US-Aktien so überbewertet wie heute - ein Alarmsignal.

Die Tech-Rally in den USA geht ungebrochen weiter. Trotz vorübergehender Rücksetzer überfahren Anleger dabei alle Warnsignale: Seit US-Präsident Donald Trump im April seinen globalen Zollkrieg vom Zaun brach, haben die US-Börsen eine fast nahtlose Aufwärtsbewegung hingelegt. Der S&P 500 ist seit dem von Trumps ersten Zolldrohungen ausgelösten Markteinbruch um sagenhafte 36 Prozent gestiegen.

Der S&P bildet 500 den Marktwert der 500 größten US-Konzerne ab. Doch der wird inzwischen fast nur noch von Tech-Riesen dominiert: Ein Drittel der Marktkapitalisierung hängt an den sieben größten Tech-Giganten - Nvidia, Microsoft, Apple, Amazon, Meta, Broadcom und Alphabet. Die von der KI-Revolution getriebene Börseneuphorie sprengt inzwischen alle historischen Grenzen - und Maßstäbe für die Blasenbildung an den Finanzmärkten. Einer davon ist der sogenannte Buffett-Index, benannt nach Warren Buffett, der Investmentlegende aus Omaha. Er zeigt, wie enorm die KI-Rally inzwischen geworden ist.

"Spiel mit dem Feuer"

Der Buffett-Index setzt den aktuellen Marktwert aller US-Aktien ins Verhältnis zur tatsächlichen Größe der US-Wirtschaft. Wie jeder Index ist er angreifbar und bildet nicht alle Faktoren ab. Aber er sei "wohl der beste Indikator dafür, wo die Bewertungen zu einer beliebigen Zeit gerade stehen", argumentierte Buffett in einem Artikel für "Fortune" erstmals vor mehr als 25 Jahren.

Denn der Index misst im Prinzip, wie stark sich die Kurse an der Börse von der realen Wirtschaftskraft eines Landes entkoppelt haben, die theoretisch das Gewinnpotential von Firmen und damit ihre Kursentwicklung bestimmen sollte. Er zeigt damit, wie stark von Spekulation getrieben die Börsenwerte sind. "Wenn das Verhältnis sich 200 Prozent nähert, spielt man mit dem Feuer", warnt Buffett.

Daran gemessen müssten die Alarmglocken heute noch viel lauter schrillen als 1999, kurz vor dem Dotcom-Crash, als Buffett seine Beobachtungen erstmals öffentlich machte und sich der Index in die Höhe geschraubt hatte. Denn inzwischen liegt er nicht nur bei fast 140 Prozent wie damals. Seit dem Beginn der KI-Revolution Ende 2022 ist er mit den aufgeblähten US-Aktienkursen geradezu explodiert - auf sagenhafte 220 Prozent.

Das bedeutet: Der gesamte Börsenwert aller US-Konzerne, der von der Kursexplosion der Tech-Riesen gepusht wird, ist damit nun mehr als doppelt so groß wie die reale US-Wirtschaft. Das gab es noch nie: weder vor dem Dotcom-Crash, noch zu Beginn der US-Finanzkrise 2007 oder sonst irgendwann in der Geschichte der US-Aktienmärkte. "Das aktuelle Verhältnis signalisiert klar Überbewertung bei Aktien und verstärkt die Befürchtungen einer Blasenbildung", analysiert die britische Barclays-Bank.

Blick in den Rückspiegel

Es ist ein rotblinkendes Warnsignal. Denn historisch gesehen sind extrem von der wirtschaftlichen Realität entkoppelte Börsenwerte ein zuverlässiger Vorbote für Finanzcrashs. Buffett warnte vor solch verrückten Aktienkursen erstmals nur Monate bevor der Internetboom der 90er Jahre spektakulär in sich zusammenklappte. Der Buffet-Index stieg damals auf "ein nie dagewesenes Level. Das hätte ein unübersehbares Warnsignal sein sollen". Doch die Investoren juckte es nicht. Ähnlich wie heute.

Dabei sind die Zusammenhänge evident: Buffett fiel auf, dass sich die US-Aktienkurse zwischen 1964 und 1981 faktisch seitwärts bewegt hatten - obwohl sich die reale Wirtschaft in der gleichen Zeit nahezu vervierfachte. Von 1981 bis 1998 verzehnfachten sich die Börsenwerte dann - obwohl die reale Wirtschaft nur knapp halb so viel wuchs wie im vorherigen Zeitraum. Für Buffet gab es dafür - neben der dramatischen Veränderung der Zinsen und der Profitabilität der US-Firmen - nur eine Erklärung: Spekulation. Er nannte sie eine "gefährliche und chronisch wiederkehrende Krankheit".

Sie lässt sich laut Buffett damit erklären, dass Investoren notorisch "kurzsichtig" sind: "Menschen lassen sich gewohnheitsmäßig vom Rückspiegel leiten - und meist nur von dem, was sie gerade hinter sich sehen." Sie richten sich immer nach der letzten Krise, die sie noch im Kopf haben. Oder nach dem Boom, der gerade läuft. Deshalb kaufen sie Aktien, wenn sie steigen, und verkaufen sie, wenn sie fallen - obwohl es ein wertorientierter Anleger eigentlich genau umgedreht machen müsste. Das Muster zieht sich durch alle Jahrzehnte. Sobald Rallys einmal laufen, setzt der Herdentrieb ein: "Was wenige 1925 aus dem richtigen Grund kauften, kauften viele 1929 aus dem falschen Grund", schreibt Buffett.

"In regelmäßigen Abständen verliert der Markt völlig den Verstand", konstatierte Buffett. Als groben Indikator dafür entwickelte er den Buffett-Index. Er zeigt, wann Aktien massiv über- oder unterbewertet sind. Heute wie damals gilt demnach die Warnung, die Buffett kurz vor dem Dotcom-Crash aussprach: "Damit der Markt weiter dramatisch hätte steigen können, hätten die langfristigen Zinsen deutlich fallen oder die Unternehmensgewinne drastisch zulegen müssen." Beides ist möglich: KI verspricht beispiellose Produktivitätsgewinne und somit astronomische Gewinnsteigerungen.

Die Aktienmärkte befinden sich nun auf völlig unbekanntem Terrain. Die Ungewissheit, wie es weitergeht, brachte kürzlich der Analyst Stacy Rasgon von Bernstein Research auf den Punkt. KI-Pionier Sam Altman "hat die Macht, die Weltwirtschaft für ein Jahrzehnt ins Chaos zu stürzen oder uns alle ins gelobte Land zu führen. Wir wissen bloß noch nicht, wie die Karten liegen."

Quelle: ntv.de

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