Gefühlte Benachteiligung bleibt Lohnlücke zwischen Ost und West schließt sich langsam
07.08.2024, 08:44 Uhr Artikel anhören
Frauen haben in Ostdeutschland deutliche bessere Bedingungen als in Westdeutschland.
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Produktivität, Beschäftigungsquote, Lohnniveau - vieles bessert sich in den letzten Jahren in Ostdeutschland. Es bleibt aber Nachholbedarf zum Rest der Bundesrepublik. Und der führt noch immer zu einem Gefühl von Benachteiligung, wie eine Bertelsmann-Studie belegt.
Auf dem Arbeitsmarkt hat der Osten in Deutschland in den vergangenen Jahren immer weiter aufgeholt. Beim Lohn- und Produktivitätsniveau aber hat der Westen noch immer einen Vorsprung. Laut einem in Gütersloh vorgestellten Papier der Bertelsmann Stiftung sei es deshalb nicht überraschend, dass mehr Ost- als Westdeutsche den Eindruck haben, auch beim Lebensstandard benachteiligt zu sein. Die Rahmenbedingungen für Frauen sind demnach jedoch in den östlichen Bundesländern besser als im Westen.
So liegt der mittlere Lohn im Osten bei 3157 Euro, während dieser Wert im Westen bei 3752 Euro liegt. Dabei hat sich das Lohnniveau in den vergangenen Jahrzehnten immer weiter angenähert. Nach der Wiedervereinigung in den 1990er Jahren lag die Lücke noch bei 26 Prozent. Heute bekommen die Menschen in den Ost-Bundesländern 15,9 Prozent weniger für ihren Arbeitseinsatz als im Westen.
Grund ist laut den Autoren der Bertelsmann Stiftung das unterschiedliche Produktivitätsniveau. Im Bau, Handel und bei den Dienstleistungen habe sich das zwar stark angenähert. Aber im verarbeitenden Gewerbe liegt der Osten laut der Auswertung auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung immer noch nur bei 76 Prozent des Westniveaus.
Geringere Gehaltsunterschiede
Um das Problem zu lösen, fordern die Autoren die Ansiedlung namhafter Unternehmen. Ansiedlungen von Großunternehmen, wie dem taiwanischen Chiphersteller TSMC und dem US-Unternehmen Intel "machen den Osten attraktiver", erklärten die Forschenden. Diese würden die Wirtschaft nicht nur produktiver machen, "sie bieten auch besser bezahlte Arbeitsplätze in zukunftsträchtigen Berufe".
"Deutliche Vorteile bietet der Osten dagegen bei den Beschäftigungsbedingungen für Frauen", so die Studienautoren. Der Gender Pay Gap, also der Gehaltsunterschied zwischen Frauen und Männern, ist demnach in den östlichen Bundesländern erheblich kleiner als in den westdeutschen Ländern. 2023 lag der durchschnittliche Stundenverdienst einer Frau in Westdeutschland 19 Prozent unter dem eines Mannes. In Ostdeutschland betrage der Unterschied nur sieben Prozent.
Das liegt laut der Untersuchung auch an der besseren Kinderbetreuung in den östlichen Ländern, wo 50 Prozent der Kinder unter drei Jahren betreut werden. Im Westen sind es lediglich 30 Prozent. "Die Folge: Mütter in den ehemals neuen Ländern können ihre Arbeitszeitwünsche besser in die Tat umsetzen. So arbeiten im Osten 67 Prozent der Frauen in Vollzeit - im Westen dagegen nur 52 Prozent", so die Stiftung.
Kinderbetreuung ein Trumpf Ostdeutschlands
Bei den Zahlen für den Arbeitsmarkt in Ost und West gibt es nahezu Gleichstand beziehungsweise fast eine Annäherung. So liegt die Erwerbstätigenquote im Osten bei 76,7 und im Westen bei 77,3 Prozent. Die Quote der Arbeitslosen im Osten liegt heute bei 7,2 Prozent.
In den Jahren nach den 2000er Jahren lag dieser Wert noch mit knapp 19 Prozent deutlich höher. Die Quote im Westen liegt aktuell bei 5,3 Prozent und damit weiterhin unter dem Wert im Osten. Beim Anteil der Langzeitarbeitslosen liegen Ost und West mit 34 Prozent gleichauf.
Die hohe Arbeitslosigkeit und der Exodus der jungen Leute nach der Wende 1989 haben sich laut Bertelsmann Stiftung tief ins kollektive Bewusstsein eingebrannt. "Die Auswirkungen sind auch heute noch spürbar, wenn die öffentliche Daseinsvorsorge in ländlichen Regionen weiter ausdünnt und viele Arbeitslose von damals nun der Altersarmut entgegensehen. Das trägt zur Wahrnehmung bei, weiterhin benachteiligt zu sein - auch wenn der ostdeutsche Arbeitsmarkt heute wesentlich besser dasteht als vor 30 Jahren", sagt Eric Thode, Arbeitsmarktexperte der Bertelsmann Stiftung.
Quelle: ntv.de, als/dpa/AFP