IFO-Index sinkt erneut "Durststrecke der Wirtschaft verlängert sich"
25.08.2023, 16:32 Uhr Artikel anhören
Vor allem bei der Baubranche greife "der Pessimismus für die kommenden Monate immer mehr um sich", hießt es vom IFO-Institut.
(Foto: picture alliance / photothek)
Die Stagnation der Wirtschaftsleistung im Frühjahr entpuppt sich immer mehr als kurze Atempause. In beinahe allen Branchen trübt sich die Stimmung ein. Vor allem die Industrie hängt durch. Aufträge bleiben aus. Zarte Hoffnungen ruhen auf dem Konsum. Doch mit einem Wachstum in naher Zukunft rechnet inzwischen kein Experte mehr.
Die deutsche Wirtschaft hat im Frühling nicht zurück in die Erfolgsspur gefunden und steuert direkt auf die nächste, wenn wohl auch nur flache Rezession zu. Das Statistische Bundesamt bestätigte, dass das BIP im zweiten Quartal auf dem Niveau vom Jahresanfang stagnierte, nachdem es zuvor zweimal gesunken war. Dass sich kein Umschwung abzeichnet, verdeutlichte derweil einmal mehr der IFO-Geschäftsklima. Denn die Stimmung in den Chefetagen der deutschen Wirtschaft hat sich im August abermals verschlechtert. Volkswirte sehen Deutschland vor einer Mischung aus zyklischen und strukturellen Problemen, für die sich keine schnellen Lösungen abzeichnen.
Die BIP-Zahlen machen deutlich, wo es derzeit in der Wirtschaft kurzfristig hakt: Der Privatkonsum stagnierte, die privaten Haushalte litten weiter unter den gestiegenen Ausgaben für das tägliche Leben. Immerhin war der Arbeitsmarkt stabil. KfW-Chefvolkswirtin Fritzi Köhler-Geib setzt "für das zweite Halbjahr auf eine Wiederbelebung des Konsums, der nach dem Einbruch im letzten Winter nun von merklich steigenden Löhnen und nachlassendem Inflationsdruck profitiert", wie sie in einem Kommentar schrieb.
Dämmerzustand zwischen Stagnation und Rezession
Für das einstige konjunkturelle Zugpferd, das verarbeitende Gewerbe, mag derzeit aber niemand eine hoffnungsfrohe Prognose ausgeben. Neben den zyklischen Belastungsfaktoren wie der konjunkturellen Schwäche Chinas, der zu befürchtenden US-Rezession und der beispiellosen geldpolitischen Straffung sieht ING-Europa-Chefvolkswirt Carsten Brzeski eine ganze Reihe struktureller Probleme: "Der anhaltende Krieg in der Ukraine, der demografische Wandel, die aktuelle Energiewende sowie das Ausbleiben neuer Investitionen in Digitalisierung, Infrastruktur und Bildung werden die deutsche Wirtschaft in den kommenden Jahren strukturell belasten", schrieb er.
Der Rückgang der Gesamtinflation und der tatsächliche Rückgang der Energie- und Lebensmittelpreise in Verbindung mit höheren Löhnen dürften den privaten Konsum zwar in der zweiten Jahreshälfte stützen. Er sehe die deutsche Wirtschaft aber weiterhin in einem Dämmerzustand zwischen Stagnation und Rezession.
In diese Richtung deutet auch der IFO-Index. Er sank im August auf Monatssicht von 87,4 auf 85,7 Punkte. Es war der vierte Rückgang in Folge. Volkswirte hatten einen geringeren Rückgang prognostiziert. Der Index der Lagebeurteilung verringerte sich ebenso wie der Index der Geschäftserwartungen auf 82,6 Punkte. "Die Durststrecke der deutschen Wirtschaft verlängert sich", kommentierten die Konjunkturforscher das Ergebnis.
Negativstimmung verfestigt sich
Im verarbeitenden Gewerbe waren die Unternehmen insbesondere mit den laufenden Geschäften weniger zufrieden. Der entsprechende Indikator rutschte erstmals seit Oktober 2020 in den negativen Bereich. Damals hatte Deutschland konjunkturell schwer mit der Corona-Krise zu kämpfen. Die Erwartungen blieben merklich pessimistisch. Die Unternehmen klagten über immer weniger Neuaufträge. Die Dienstleister waren deutlich weniger zufrieden mit der Geschäftslage und erwarten eine weitere Eintrübung. "Die Schwäche der Industrie zieht auch Transport und Logistik nach unten", erläuterte IFO-Chef Clemens Fuest. Im Handel und am Bau verschlechterte sich die Stimmung ebenfalls. Vor allem bei der Baubranche greife "der Pessimismus für die kommenden Monate immer mehr um sich."
Der IFO-Index sende ein recht klares Rezessionssignal, sagte Commerzbank-Chefvolkswirt Jörg Krämer. Er rechnet für das zweite Halbjahr mehr denn je mit einem Schrumpfen der deutschen Wirtschaft. Auch andere Fachleute äußerten sich pessimistisch. "Der vierte Rückgang in Folge ist Ausdruck einer sich verfestigenden Negativstimmung", sagte LBBW-Analyst Elmar Völker. Die ohnehin bereits düsteren Erwartungen seien "noch ein Stück schwärzer" geworden. "Immer mehr spricht dafür, dass die Stagnation der Wirtschaftsleistung vom Frühjahr nur eine Atempause vor dem Rückfall in die Rezession gewesen ist." Zuletzt verschärften zudem Daten zum Einkaufsmanagerindex die Sorge, dass die maue Lage der Industrie noch stärker auf die Dienstleisterübergreifen könnte.
Die KfW rechnet nun für 2023 mit einem BIP-Rückgang von 0,4 Prozent, die Commerzbank mit einem BIP-Rückgang im Winterhalbjahr und die liechtensteinische VP Bank mit einer rückläufigen Wirtschaftsleistung im dritten und vierten Quartal.
Quelle: ntv.de, jwu/DJ/rts