Experte zu hohen Baukosten "Für jede DIN findet sich ein Normenfetischist, der darauf besteht"
17.07.2024, 17:29 Uhr Artikel anhören
Wo kommen wie viele Steckdosen und Schalter hin? Auch das ist in Deutschland per Norm geregelt.
(Foto: IMAGO/blickwinkel)
Der Wohnungsbau steckt in einer tiefen Krise und das liegt auch daran, dass Zehntausende Vorschriften und Normen das Bauen in Deutschland extrem teuer gemacht haben. Ein nun vom Justizministerium vorgelegter Gesetzentwurf für einen neuen "Gebäudetyp E" soll diesen Regelungsdschungel lichten und wieder günstiges Bauen ermöglichen. Der Ökonom und Immobilienexperte Reiner Braun vom Beratungsunternehmen Empirica lobt den Ansatz, bleibt aber skeptisch, was die Umsetzung angeht.
ntv.de: Der Wohnungsbau steckt aus vielen Gründen in der Krise. Welchen Anteil daran hat der Anstieg der Baukosten in den vergangenen Jahren?
Reiner Braun: Grob gesagt kann man die Probleme auf dem Wohnungsmarkt auf drei grundlegende Faktoren zurückführen: Zinsanstieg, Baukosten, fehlendes Bauland. Solange die Zinsen extrem niedrig waren, hat dies das Problem mit den hohen Baukosten und dem knappen und daher teuren Bauland etwas ausgeglichen. Seit die Zinsen sich normalisiert haben, schlagen diese drei Faktoren in Kombination voll zu.
Was heißt das für die Möglichkeiten der Politik?
Über die Zinsen brauchen wir uns hier eigentlich nicht groß zu unterhalten, denn die werden nicht von der deutschen Politik bestimmt, sondern von der EZB. Zwar ruft die Baulobby hier nach einer Art Ausgleich in Form von Subventionen, und das würde auch kurzfristig helfen. Aber zum einen ist es auf Dauer extrem teuer und zum anderen setzen Subventionen an den Symptomen und nicht an den Ursachen an: Die Ursachen für die aktuelle Krise sind tatsächlich die Baukosten und das fehlende Bauland in den Regionen mit angespannten Wohnungsmärkten.
Dann könnte die Initiative für den "Gebäudetyp E", der verschiedene Standards etwa für den Schallschutz im Vergleich zur derzeitigen Praxis herabsetzen soll, tatsächlich einen Durchbruch bringen, damit wieder mehr und vor allem günstigerer Wohnraum geschaffen wird?
Ich bin eher verhalten optimistisch. Die Idee dieses "Gebäudetyps E" ist es, auf gewisse Normen und Standards zu verzichten, die das Bauen unnötig verteuert haben. Dazu muss man wissen, dass das nicht nur staatliche Vorschriften sind - etwa für die Energieeffizienz -, sondern großteils Standards, die Bauträger einhalten aus Sorge, vom Bauherrn verklagt zu werden. Denn der kann immer den "allgemein anerkannten Stand der Technik" verlangen. Dazu gehören jede Menge Normen bis hin zur Zahl der Steckdosen in bestimmten Räumen. Das zu durchforsten und zu lichten, ist sicher sinnvoll. Aber ich erinnere mich an mehrere Baukostenkommissionen in den vergangenen Jahrzehnten, denen es letztlich nie gelungen ist, das auch durchzusetzen. Am Ende findet sich für jede DIN ein Normenfetischist, der weiter darauf besteht. Hinter jeder dieser einzelnen Normen steht ja auch tatsächlich eine gute Idee, gegen die man gar nicht argumentieren kann. Nur zusammen wirken sie kostentreibend und kontraproduktiv.
Nehmen wir an, es sollte diesmal gelingen, die Kosten tatsächlich zu senken: Haben die Bauträger und Vermieter angesichts der großen Wohnungsknappheit in den Ballungsgebieten überhaupt ein Interesse, diesen Kostenvorteil weiterzugeben?
Im Prinzip gilt: Die Marktmiete ergibt sich nicht aus den Kosten, sondern aus Angebot und Nachfrage. Wenn die Nachfrage also sehr groß ist, gibt es für den Anbieter in der Regel keinen Anreiz, gesunkene Kosten als Preisnachlass weiterzugeben. Im Moment aber sind die Kosten für den Wohnungsbau so hoch, dass es kaum noch Nachfrage gibt. Bei den aktuellen Zinsen und Baupreisen müssten die Mieten rund 20 Euro pro Quadratmieter betragen, damit sich ein Neubau rechnet. Das kann sich aber kaum noch jemand leisten, also wird nicht gebaut. Wenn es nun gelänge, die Baukosten so weit zu senken, dass es sich wieder lohnt, Wohnungen für 15 oder 16 Euro pro Quadratmeter anzubieten, würde das sicher dazu führen, dass einige der Häuser, die schon genehmigt, aber nicht gebaut wurden, auch fertiggestellt werden. Hinter der Idee, die Baukosten zu senken, steckt natürlich, dass dann deutlich mehr gebaut und damit das Angebot erhöht werden soll. Was dann zu niedrigeren Preise und günstigeren Mieten führen soll.
Das wiederum funktioniert aber nur, wenn auch ausreichend Bauland zur Verfügung steht.
Ja, es gibt eben nicht die eine Patentlösung für den Wohnungsmarkt, sondern nur viele Puzzlestücke. Eines der schwierigsten davon ist aufgrund der komplexen Zuständigkeiten und teils widersprüchlichen Interessen, ausreichend Bauland an den richtigen Orten auszuweisen.
Mit Reiner Braun sprach Max Borowski
Quelle: ntv.de