Wirtschaft

Wege aus der deutschen Baukrise "Wir haben die erdbebensichersten Gebäude der Welt"

00:00
Diese Audioversion wurde künstlich generiert. Mehr Infos
Frischer Transportbeton muss mit dem Betonmischer flott auf die Baustelle gebracht werden, bevor er fest wird.

Frischer Transportbeton muss mit dem Betonmischer flott auf die Baustelle gebracht werden, bevor er fest wird.

(Foto: picture alliance / Jochen Tack)

Die deutsche Baubranche steckt in einer schweren Krise. Hohe Zinsen und teure Materialkosten belasten die Firmen. Doch Nora Baum sieht Anzeichen der Erholung: "Betonwerke investieren wieder", sagt die Finanzchefin des Cottbuser Beton-Unternehmens Sonocrete im "Klima-Labor" von ntv. "Die gehen davon aus, dass sie bald wieder Neubau erschaffen werden." Neubau, der grüner wäre als bisher und auch günstiger. Denn wenn Beton mit den Ultraschall-Anlagen von Sonocrete hergestellt wird, ist deutlich weniger Zement notwendig. Der ist nicht nur schmutzig (fünf bis acht Prozent der globalen CO2-Emissionen), sondern aufgrund der hohen Temperaturen auch noch teuer. "Deswegen spart man mit unserer Technologie nach ungefähr fünf Jahren Geld", sagt Nora Baum. Was fehlt noch zum deutschen Bauboom? Weniger Vorschriften: "In Deutschland stürzen keine Gebäude wegen eines Erdbebens ein."

ntv.de: Wann ist die Baukrise vorbei?

"Dieser Hochleistungs-Ultraschall hat die erstaunliche Eigenschaft, dass es so gut wie jede chemische Reaktion beschleunigen kann", sagt Nora Baum

"Dieser Hochleistungs-Ultraschall hat die erstaunliche Eigenschaft, dass es so gut wie jede chemische Reaktion beschleunigen kann", sagt Nora Baum

(Foto: Sonocrete)

Nora Baum: Ich habe leider keine Glaskugel, aber zu unseren Kunden gehören hauptsächlich Betonwerke. Bei denen wurden Mitte letzten Jahres die Investitionsbudgets gekürzt. Jetzt kommt langsam wieder Schwung rein, es werden wieder Investitionen getätigt. Das macht mich optimistisch, dass es in der Branche Ende 2024 oder Anfang 2025 bergauf gehen könnte.

Diese Investitionen fließen in den Neubau?

Betonwerke investieren in der Regel in ihre Anlagentechnik. Das macht man nur, wenn man davon ausgeht, dass sich die Umsatzbasis stabilisiert. Die gehen also davon aus, dass sie bald wieder Beton für Neubau liefern werden.

Dann hat die Branche das Tal durchschritten.

Entweder das oder wir sind dabei, es zu durchschreiten. Das hoffen wir natürlich. Bei dieser Einschätzung ist sicherlich eine Portion Optimismus dabei.

Und was genau bekommen Ihre Kunden, wenn sie bei Ihnen investieren?

Unsere Technologie ist eine Hochleistungs-Ultraschall-Vormischanlage. Ein langes Wort (lacht). Darin werden Wasser und Zement gemischt. Das sind die beiden reaktiven Bestandteile, wenn man Beton herstellt. Für die Festigkeit kommen Sand und Steine dazu. Dieser Hochleistungs-Ultraschall hat die erstaunliche Eigenschaft, dass es so gut wie jede chemische Reaktion beschleunigen kann.

Hochleistungs-Ultraschall?

Ultraschall ist wie Schallwellen, nur mit einer anderen Frequenz. Gibt man Schallwellen in eine Flüssigkeit, erzeugt man abwechselnd Überdruck und Unterdruck - wie ein langer Stab, der sich im Nanometerbereich von oben nach unten bewegt. Macht man das in einer Flüssigkeit, in der gerade eine chemische Reaktion stattfindet, wird diese dadurch beschleunigt. Deswegen ist Ultraschall eine gängige Technologie in der Medizintechnik oder in der Abwasserbehandlung. Gibt man Ultraschall in die Wasser- und Zementmischung, wird der Beton schneller fest. Das ist für Betonwerke eigentlich gar nicht so sinnvoll, weil sie beim Gießen und Entschalen von Betonbauteilen einen festen Takt und Zeitplan haben. Aber wir nutzen den Effekt, um weniger Zement in die Mischung zu tun und sparen auf diese Weise CO2 ein.

Der Beton wird also gar nicht schneller fest, man kann aber mit weniger Material arbeiten und das ist besser für die Umwelt und spart gleichzeitig Geld?

Richtig. Der Beton wird genauso schnell fest wie vorher, der Optimierungsschritt ist die Zementmenge. Daran hängt die hohe CO2-Last der Baubranche. Die Zementproduktion ist für fünf bis acht Prozent der globalen CO2-Emissionen verantwortlich.

Und wie läuft dieser Ultraschall-Prozess in der Praxis ab? Passiert das im Betonmischer?

Das wollten wir anfangs machen, aber im Betonmischer ergibt es keinen Sinn, weil Sand und Steine dort bereits Teil der Mischung sind. Die "schlucken" einen großen Teil der Ultraschallenergie und machen außerdem die sehr teuren Ultraschall-Sonotroden kaputt. Deswegen steht unsere Maschine daneben. Das ist ein riesengroßer Würfel: sechs Meter hoch und drei mal drei Meter breit. Im Inneren befindet sich ein Bottich, in den das Wasser und der Zement kommen. Von unten ragen diese Ultraschall-Sonotroden rein. Nach einer gewissen Zeit wird das Gemisch aus dem Bottich in den Betonmischer gefüllt.

Das passiert vor Ort auf der Baustelle oder noch bei Betonwerken?

Beton hat zwei bekannte Herstellungsarten. Das Erste ist frischer Transportbeton im Betonmischer, der flott auf die Baustelle und dort gegossen werden muss, bevor er fest wird. Wir arbeiten momentan nur im Fertigteil-Bereich. Der Ablauf ist derselbe, nur passiert alles im Werk und am Ende kommt ein fertiges Werkstück heraus: eine Wand, eine Stütze, ein Träger.

Weil man das besser planen kann?

Das hat verschiedene Vorteile: Die Branche leidet stark unter dem Fachkräftemangel. In einer Fabrik ist es immer warm und trocken, dafür findet man leichter Mitarbeiter. Die kann man dort auch besser einplanen und einsetzen als auf wechselnden Baustellen. Die Herstellungsprozesse lassen sich in einer Fabrik auch besser automatisieren. Dadurch ist die Qualität des Betons höher.

Ihr Ultraschall-Beton ist auch "grüner" Beton. Wie viel Zement lässt sich damit einsparen?

Die reaktive Komponente im Zement ist der Zementklinker. Mit unserem Verfahren können wir die benötigte Menge Klinker um ungefähr 30 Prozent reduzieren. Der zusätzliche Energieverbrauch für den Ultraschall ist vernachlässigbar. Wenn man das im Werk macht, können sie die Maschine mit Solarenergie vom Dach betreiben. Das ist eine vollständig grüne Lösung.

Wo finde ich das "Klima-Labor"?

Dieses Interview ist eigentlich ein Podcast, den Sie auch anhören können.

Wo? Sie finden das "Klima-Labor" bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify und als RSS-Feed. Klicken Sie einfach die Links an.

Sie haben eine Frage? Schreiben Sie uns eine E-Mail an klimalabor@ntv.de.

Und Ihr Beton ist gleichzeitig günstiger als herkömmlicher? Das ist häufig das Problem grüner Lösungen und ist auch bei der Wärmepumpe passiert: Die ist nachhaltiger als eine Gasheizung, in vielen Fällen aber auch teurer. Deswegen wurden sie teilweise bewusst gemieden.

Ja. Bei vielen grünen Technologien zahlen sie einen Aufschlag, das sogenannte Green Premium. Diese Technologien sind darauf angewiesen, dass CO2 fair bepreist wird. Die CO2-Bepreisung war aber lange ein Papiertiger, wo man dachte: Meine Güte, was für eine dämliche Regulierung, das bringt gar nichts. Dann ist der CO2-Preis plötzlich auf über 60 Euro gestiegen und bei uns hat das Telefon angefangen zu glühen, weil die Betonwerke diesen hohen CO2-Preis nicht bezahlen wollten. Aber wie gesagt: Unser Vorteil ist, dass wir die benötigte Menge Zementklinker reduzieren. Der ist in der Herstellung eh schon sehr teuer, weil dafür hohe Temperaturen erzeugt werden müssen. Deswegen rentiert sich unsere Technologie schon nach ungefähr fünf Jahren. Ab dann spart man Geld.

Das Kernproblem, der steigende Baubedarf, wird damit aber nicht gelöst, oder? Es gibt 43,1 Millionen Wohnungen in Deutschland. Der Bestand hat sich von 1950 bis 2021 fast verdreifacht, weil immer mehr Menschen in Deutschland leben und auch immer mehr allein. Haben Sie dafür auch eine Idee?

Es wäre kein Problem, Häuser länger zu nutzen. Aus Beton-Perspektive ergibt es keinen Sinn, ein Haus nach 30 oder 50 Jahren abzureißen und ein neues zu bauen, denn der Beton wird immer besser. Diese chemische Reaktion, die darin zwischen Zement und Wasser stattfindet, findet jeden Tag statt. Jedes Haus, das wir sehen, wird immer fester.

Das Haus lebt?

Und es wird besser. Manche alten Häuser sind vielleicht nach unserer Vorstellung hässlich, aber das ist letztlich nur eine Frage der Ästhetik. Der Beton könnte locker weitermachen. Das wäre überhaupt kein Problem. Aber am Ende kommt es durch Startups wie uns hoffentlich gar nicht mehr darauf an, wie viel man baut, weil das Bauen durch unsere und viele andere Lösungen so klimafreundlich wie möglich ist.

Welche anderen Lösungen könnten das sein?

Das ist eine unbefriedigende Antwort, aber im Prinzip muss die gesamte Wertschöpfungskette des Baus mitmachen. Bisher war das Ziel immer, dass Bauen möglichst sicher sein muss.

Das klingt gar nicht so verkehrt.

Nein, aber wir haben in Deutschland den erdbebensichersten Bestand an Wohnhäusern der Welt. So viele Erdbeben habe ich hier aber noch nicht erlebt. Diese Anforderungen muss man abwägen, denn gerade bei der Sicherheit gibt es kein Limit. Man kann immer noch sicherer und noch sicherer und noch sicherer bauen. Deswegen wird teilweise viel zu viel Baustoff eingesetzt. Das gilt nicht nur für Beton, sondern auch für Holz.

Weniger Regulierung wäre sinnvoll? Diese Forderung hört man häufiger aus der Branche.

Ja. Diese Regulierung ist nicht aus schlechtem Willen gewachsen oder weil die Leute zu doof sind. Es wurde einfach das Ziel "Sicherheit" verfolgt, deswegen hat man sich im Zweifelsfall für die höhere Expositionsklasse entschieden. Die legt fest, was ein Bauteil aushalten muss. Die krasseste Expositionsklasse haben Betonbauteile, die regelmäßig von Wasser überflutet werden und dann wieder trocknen: Landungsbrücken an der Ostsee oder die Seitenelemente einer Autobahn, wo regelmäßig Tausalz ran spritzt. Das sind krasse Anforderungen. Stützen in Wohnhäusern haben auch eine hohe Expositionsklasse, weil sie die Last tragen. Wände dagegen hängen nur zwischen diesen Stützen. Die halten fast gar nichts.

Und könnten dünner sein?

Oder mit einem Beton gefertigt werden, der wie unserer weniger Zement enthält und klimafreundlicher ist. Diese Komponente sollte man in den Regelungen ergänzen, denn in Deutschland stürzen keine Gebäude wegen eines Erdbebens ein.

Mit Nora Baum sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast "Klima-Labor" anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Funktioniert Klimaschutz auch ohne Job-Abbau und wütende Bevölkerung? Das "Klima-Labor" ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen der unterschiedlichsten Akteure auf Herz und Nieren prüfen.

Ist Deutschland ein Strombettler? Rechnen wir uns die Energiewende schön? Vernichten erneuerbare Energien Arbeitsplätze oder schaffen sie welche? Warum wählen Städte wie Gartz die AfD - und gleichzeitig einen jungen Windkraft-Bürgermeister?

Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an klimalabor@ntv.de.

Quelle: ntv.de

Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen