
Bei Kraft Heinz lösen sich Milliardenwerte plötzlich in Luft auf. Der Kurs bricht um fast ein Drittel ein.
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Beim fünftgrößten Lebensmittelkonzern der Welt verpuffen mal eben 16 Milliarden Dollar Markenwert. Die riesige Abschreibung schlägt die Anleger in die Flucht und weckt Zweifel an den fragwürdigen Bilanztricks der Branche: Droht Ansteckungsgefahr?
Als Kraft Foods und Heinz 2015 zu einer Firma verschmolzen, wurde die Megafusion als Leckerbissen für Investoren gefeiert. Schließlich sprach Einiges für den Deal: Es entstand der fünftgrößte Lebensmittelriese der Welt mit einem Umsatz von mehr als 26 Milliarden Dollar und einem "einzigartigen Portfolio mächtiger und ikonischer Marken" wie Heinz-Ketchup, Philadelphia-Käse und Capri-Sonne.
Investorenlegende Warren Buffet und die brasilianische Private-Equity-Firma 3G, die den Ketchup-Deal gemeinsam eingefädelt hatten und denen bis heute rund die Hälfte von Kraft Heinz gehört, machten kräftig Kasse. Doch drei Jahre später verdirbt die Firma Anlegern nun gehörig den Appetit. Für 2018 meldete Kraft Heinz unterm Strich einen Verlust von mehr als zehn Milliarden Dollar - nach einem Gewinn von knapp 11 Milliarden Dollar im Vorjahr. Der Konzern kürzt die Dividende um mehr als ein Drittel. Die Aktie rauscht nachbörslich um rund 21 Prozent ab. Und zur Eröffnung an der Wall Street geht es sogar um mehr als 27 Prozent runter.
Es sind weniger die Horrorzahlen an sich, als ihre Ursachen, die die Anleger in die Flucht schlagen. Bei Kraft geht es - im wahrsten Sinne des Wortes - ans Eingemachte: die "ikonischen" Markenwerte der Firma. Einige dieser vermeintlichen Filetstücke sind offenbar verdorben. Jedenfalls räumt der Konzern ein, dass sie auf einmal viel weniger wert sein sollen, als er bisher behauptet hat: fast 16 Milliarden Dollar. Gleichzeitig hat eine Untersuchung der US-Börsenaufsicht Unregelmäßigkeiten bei der Rechnungslegung im Einkauf und lasche interne Kontrollen aufgedeckt.
Auch wenn die Verstöße offenbar nichts mit den plötzlichen Abschreibungen auf Kernmarken von Kraft Heinz zu tun haben: Dass sich Ermittler für die Buchhaltung des Konzerns und seine Bewertungen interessieren, wirkt nicht gerade vertrauensbildend. Und dass sich bei Kraft Heinz milliardenschwere Firmenwerte einfach so in Luft auflösen können, weckt nicht nur Zweifel daran, ob der Konzern weitere Verluste verheimlicht. Es wirft auch ein Schlaglicht auf die Bilanztricks der Lebensmittelbranche.
Bei Kraft Heinz geht's ans Eingemachte
Denn wie bei vielen Konsumgüterfirmen sind nicht etwa Ketchup-Werke, Wurstfabriken oder Getränkemaschinen das Wertvollste, das Kraft Heinz gehört. Mehr als 80 Prozent des Firmenvermögens besteht nur aus Firmen- und Markenwerten und anderen immateriellen Gütern. Die Gretchenfrage lautet also: Was ist es wirklich wert, wenn auf Frischkäse "Philadelphia", auf Ketchup "Heinz" oder auf Wurstpackungen "Oscar Mayer" steht?
Die Buchprüfer des Konzerns haben dabei reichlich Spielraum für Luftbuchungen. Denn in die Bewertung fließen viele Faktoren ein, die sich naturgemäß kaum schätzen, geschweige denn messen lassen: die Geschmäcker der Kunden etwa. Die sind bekanntlich nicht nur verschieden, sondern ändern sich. Ein Problem für Lebensmittelriesen wie Kraft: Immer mehr Leute wollen lieber Öko-Food statt Makkaroni aus der Mikrowelle. Das drückt die Werte ihrer Marken.
Offenbar so sehr, dass der Konzern nun handeln musste. Im Rahmen der normalen Berichterstattung habe die Firma "basierend auf verschiedenen Faktoren, die sich im vierten Quartal entwickelt haben, festgestellt, dass der Zeitwert bestimmter Firmenwerte und immaterieller Vermögenswerte unter dem Buchwert liegt", heißt es von Kraft Heinz. Folglich habe man rund 16 Milliarden Dollar abschreiben müssen, vor allem auf das US-Tiefkühlgeschäft sowie die Marken Kraft und Oscar Mayer. Genaue Erklärungen bleibt der Konzern schuldig.
Hat Warren Buffett Kraft Heinz kaputtgespart?
Die Fragen, die sich sofort aufdrängen, lauten deshalb: Hat der Lebensmittelgigant seine Marken in der Vergangenheit realistisch bewertet? Und verbirgt er womöglich weitere drohende Verluste? "Firmen nehmen in der Regel keine Abschreibungen vor, weil die Geschäfte schlecht laufen und weil die Abzinsraten gestiegen sind", zitiert die britische "Financial Times" (FT) den Analysten Kenneth Goldman von JPMorgan. Womöglich sei das Problem "größer und langfristiger".
Die Aktie befindet sich schon seit geraumer Zeit im Sinkflug. Seit Anfang 2017, als das Papier fast 100 Dollar gekostet hatte, ging es stetig nach unten. Bis heute hat die Firma rund zwei Drittel ihres Marktwerts verloren. Womöglich ist all das eine Spätfolge der Megafusion, die Warren Buffet und 3G eingefädelt hatten.
Ihr Übernahmeziel Kraft war damals hochprofitabel: Von jedem Euro Umsatz blieben rund 20 Cent operativer Gewinn in der Firma hängen. Doch Buffett und der brasilianischen Investmentfirma war das nicht genug: Sie setzten Kraft Heinz nach der Fusion auf Diät, um noch mehr Rendite herauszuquetschen. Das rächt sich nun womöglich: "Wenn Investoren fragen, ob der von 3G verordnete Sparkurs zu weit geht und Marken beschädigt, deutet nicht zumindest Einiges zunehmend auf Ja?", fragt Analyst Goldman in der "FT". "Wir waren übermäßig optimistisch, Einsparungen zu erzielen, die sich nicht materialisiert haben", räumt auch Kraft-Heinz-Chef Bernardo Hees inzwischen ein.
Der Markencrash bei Kraft Heinz könnte Folgen für die gesamte Branche und den Aktienmarkt haben. Denn mit einem Marktwert von fast 60 Milliarden Dollar war Kraft Heinz bisher ein Schwergewicht der Technologiebörse Nasdaq und ein Basiswert vieler Aktienfonds. An der Börse wird nach dem Kursmassaker nun mit Umschichtungen gerechnet: "Wenn etwas so schief läuft, kann das für einen Strukturbruch in der Branche sorgen", sagt ein Händler.
UBS und JPMorgan haben Kraft Heinz bereits herabgestuft. Kurzfristig könnte die Konkurrenz zwar profitieren, wenn die Anleger zu Nestlé und Unilever flüchten. Langfristig geht von der Krise aber eine Ansteckungsgefahr für die Branche aus. Bei den künftigen Gewinnschätzungen müsse nun mit höheren Sicherheitsabschlägen gerechnet werden, die die Aktienbewertung senken könnten, sagte der Händler. "Die Bewertungen der Branche dürften nicht mehr so hoch wie früher werden."
Quelle: ntv.de