Nachfolgerin von Alitalia "Lufthansa ist einer der besten Partner für die ITA"
25.05.2023, 15:46 Uhr
Alitalia stellte 2021 den Betrieb ein, die Nachfolgegesellschaft operiert unter dem Namen ITA Airways.
(Foto: picture alliance / NurPhoto)
Nun soll also Lufthansa richten, woran KLM, Air France und Ethihad gescheitert sind: am Versuch, aus der nationalen italienischen Fluglinie, die bis 2021 unter dem Namen Alitalia firmierte, ein erfolgreiches Unternehmen zu machen. Der Deal zwischen der Kranich-Linie und der italienischen Regierung, alleinige Eigentümerin von ITA, sieht vor, dass die Deutschen erstmal mit 40 Prozent einsteigen. Dafür bekommt die Regierung von Ministerpräsidentin Giorgia Meloni 320 Millionen Euro überwiesen. Sollte ITA es dann, unter operativer Lufthansa-Leitung, bis 2026 schaffen, aus den roten Zahlen herauszukommen, verpflichtet sich Lufthansa dazu, weitere 50 bis 55 Prozent gegen die Summe von etwa 500 Millionen Euro zu übernehmen.
Für Italien ist das ein guter Deal, denn Alitalia und heute ITA sind seit Jahrzehnten ein reiner Verlustbringer. Seit 2008 versuchten Regierungen aller Couleur immer wieder, die Linie zu verkaufen, aber bis heute verhinderten Widerstand in der Politik und bei Gewerkschaften den Verkauf: In der Politik galt ein Verkauf an "Ausländer" als Verrat an einer "nationalen" Linie, schließlich brauche man als stolzes Land eine eigene Fluglinie. Und bei den Gewerkschaften bangte man um die Arbeitsplätze. So wurde der Verkauf immer wieder blockiert und ausländische Anteilseigner vergrätzt.
Dabei hat die Dauerkrise von Alitalia in Wirklichkeit massiv Arbeitsplätze vernichtet: Von ehemals 21.000 Beschäftigten vor 15 Jahren sind heute gerade noch 3500 übrig, und Italiens "nationale" Fluglinie ist sowohl auf europäischer Ebene als auch in Italien selbst bedeutungslos geworden. In Europa transportierten die Italiener schon vor der Corona-Krise 2019 nur noch 1,9 Prozent aller Passagiere, in Italien betrug der Marktanteil gerade noch 13 Prozent. ITA sei keine große Fluggesellschaft, habe aber gute Wachstumsmöglichkeiten, "auch dank der Integration von Lufthansa", sagt der Verkehrsexperte Andrea Giuricin im Interview mit ntv.de.

Andrea Giuricin lehrt an der Mailänder Universität Bicocca. Er ist Verkehrsexperte und verfolgt das Thema Alitalia seit vielen Jahren.
(Foto: privat)
ntv.de: Warum hat es so lange gedauert mit dem Verkauf?
Andrea Giuricin: Das hat zum einen die Politik zu verantworten, weil sie immer direkt oder indirekt eine Fluggesellschaft kontrollieren will, die seit zu vielen Jahren nicht mehr wettbewerbsfähig ist. Ein Markt, der sich verändert hat und auf dem Alitalia - heute ITA - nie seine Position gefunden hat. Zudem haben die Gewerkschaften dabei eine sehr negative Rolle gespielt, indem sie versucht haben, einen unmöglichen Status quo unter dem Deckmantel des Nationalismus aufrechtzuerhalten.
Aber man hat doch ab 2008 versucht, die Fluglinie zu privatisieren.
Was falsch lief bei den versuchten Privatisierungen, war, dass die Regierung nicht über die Entwicklung des Luftverkehrs nachgedacht hat, sondern glaubte, eine Fluggesellschaft national betreiben zu können, ohne die Kapazitäten dafür zu haben.
Mehrfach haben auch die Gewerkschaften den Verkauf verhindert. Das letzte Mal wollte Lufthansa Alitalia kaufen, als die Linie noch 11.000 Mitarbeiter hatte und man in Frankfurt sagte, lasst uns 7000 bis 8000 behalten. Jetzt ist es nur noch die Hälfte.
Das war sicherlich ein schwerer Fehler. Damals haben Gewerkschaften und Politik geglaubt, man könne im Alleingang weitermachen, ohne einen starken Partner zu suchen. Die Gewerkschaften sind mitschuldig, denn sie haben zusammen mit der Politik de facto eine Fluggesellschaft geführt, die sich nicht am Markt halten konnte. Mit der Covid-19-Krise ist es dann alles abgestürzt.
Was denken die Beschäftigten heute darüber?
Ich glaube, dass diejenigen, die das Wohl der ITA wollen, einen starken Partner wollen, mit dem sie ihr Netz ausbauen und die Strecken mittel- bis langfristig erweitern können. Und Lufthansa ist sicherlich einer der besten Partner, um dies zu tun, auch wenn es sehr komplex sein wird, da die Schwierigkeiten auf dem Luftverkehrsmarkt nach der Covid-19-Krise noch viel größer sind. Ich möchte daran erinnern, dass der italienische Luftverkehrsmarkt im Jahr 2022 etwa 30 Millionen weniger Passagiere als 2019 verzeichnete, wobei der Interkontinentalmarkt am meisten zu kämpfen hatte.
Also entweder Lufthansa oder Untergang?
Allein kann sich die ITA auf dem Markt nicht lange halten. Ich denke, die Realität hat sehr laut an die Tür geklopft.
Oft hieß es in Italien, wenn man die Idee einer "nationalen" Linie verteidigte, dass sie ausländische Touristen nach Italien bringen würde. Welches Gewicht hat die nationale Fluglinie tatsächlich im europäischen Incoming-Verkehr nach Italien?
Der italienische Luftverkehrsmarkt hat sich in den letzten 25 Jahren stark verändert, und der Marktanteil aller anderen Fluggesellschaften im Incoming- und Outbound-Tourismus liegt heute bei über 96 Prozent.
Wie sieht die Zukunft von ITA in der LH-Gruppe aus?
Die Zugehörigkeit zu einer großen Gruppe ist für die ITA-Mitarbeiter positiv, und die Möglichkeit des Wachstums, auch durch den ausgezeichneten Flughafen Rom Fiumicino - der vor einigen Monaten seinen fünften Skytrax-Stern erhielt -, kann bei diesem künftigen Wachstumsprozess hilfreich sein.
Welches sind die wirklich wichtigen Vorteile, die Lufthansa dazu veranlassen, ITA heute zu kaufen?
Lufthansa macht den Deal, weil es echte Wachstumsperspektiven gibt: Die Möglichkeit, vom Drehkreuz Fiumicino aus Langstreckenflüge nach Südamerika und Afrika zu entwickeln, ist zweifellos einer der wichtigsten Pluspunkte in diesem Spiel. ITA ist mit rund zehn Millionen Passagieren im Jahr 2022 kein großer Betreiber, hat aber gute Wachstumsmöglichkeiten im Langstreckenbereich, auch dank der Integration von Lufthansa.
Mit Andrea Giuricin sprach Udo Gümpel
Quelle: ntv.de