Forscher sehen "Polarisierung" Mietkosten belasten Stadtbewohner stark
15.06.2021, 10:31 Uhr
In Großstädten wie Berlin gibt es viele Haushalte, die überdurchschnittlich viel für ihre Mietwohnung zahlen.
(Foto: dpa)
Bezahlbarer Wohnraum ist in Großstädten wie Berlin, Hamburg oder München knapp. Forscher der Berliner Humboldt-Uni beziffern nun, wie viele Menschen besonders viel ihres Nettoeinkommens für ihre Miete berappen müssen. Sie sprechen sich für einen mehrgleisigen Ansatz aus, um die Lage zu verbessern.
Bei der Miete müssen viele Haushalte in Großstädten einer Studie zufolge so viel Geld aufbringen, dass sie dabei oberhalb der Marke von 30 Prozent des Nettoeinkommens liegen. Wie aus der von der Hans-Böckler-Stiftung veröffentlichten Untersuchung hervorgeht, liegen 49,2 Prozent der rund 8,4 Millionen Haushalte, die in Deutschlands Großstädten zur Miete wohnen, oberhalb dieser Schwelle, um ihre Bruttowarmmiete zu bezahlen.
Das entspricht demnach mehr als 4,1 Millionen Haushalten, in denen etwa 6,5 Millionen Menschen leben. Dabei sind nach Angaben der gewerkschaftsnahen Stiftung eventuelle Sozialtransfers und Wohngeld bereits berücksichtigt. "Bei Sozialwissenschaftlern wie bei Immobilienexperten gilt eine Mietbelastungsquote oberhalb von 30 Prozent des Haushaltseinkommens insbesondere bei Haushalten mit niedrigerem Einkommen als problematisch, weil dann nur noch relativ wenig Geld zur sonstigen Lebensführung bleibt", erklärte die Stiftung.
Auch viele Vermieter zögen hier eine Grenze, weil sie zweifelten, dass Mieter sich mit weniger Einkommen ihre Wohnung dauerhaft leisten können. Gut ein Viertel (25,9 Prozent) der Haushalte in den 77 deutschen Großstädten müssen demnach sogar mindestens 40 Prozent ihres Einkommens für Warmmiete und Nebenkosten aufwenden - das entspricht knapp 2,2 Millionen Haushalten mit rund 3,1 Millionen Bewohnerinnen und Bewohnern; knapp zwölf Prozent oder fast eine Million Haushalte müssen gar mehr als die Hälfte ihres Einkommens aufbringen.
Für die Studie wertete ein Forschungsteam um den Stadtsoziologen Andrej Holm von der Berliner Humboldt-Universität die jüngsten verfügbaren Daten des Mikrozensus aus. Die Untersuchung liefert demnach für 2018 auch detaillierte Zahlen für jede einzelne Großstadt in der Bundesrepublik.
Bautätigkeit schafft nur bedingt Abhilfe
Demzufolge stiegen zwar in den vergangenen Jahren auch bei Großstadtbewohnern die Einkommen im Mittel stärker als die Wohnkosten. Dabei zeigten sich aber große soziale Unterschiede: So habe die Belastung in Haushalten an der Armutsgrenze, die beim Einkommen maximal 60 Prozent des Medians haben, rund 46 Prozent betragen. Median bedeutet, dass 50 Prozent darüber liegen und 50 Prozent darunter. Dagegen müssen Mieterhaushalte mit einem hohen Einkommen von mehr als 140 Prozent des Medians laut der Studie im Mittel lediglich knapp 20 Prozent für die Warmmiete ausgeben.
Die Autoren sehen deshalb eine weitere "Polarisierung" der Wohnungssituation. Auch im zeitlichen Vergleich von 2006 bis 2018 zeige sich, "dass sich die sozialen Ungleichheiten im Bereich des Wohnens verschärft und hohe Mietkostenbelastungen verfestigt haben". Die Wohnungsnot in Großstädten sei trotz verstärkter Bautätigkeit "allenfalls geringfügig gelindert" worden.
Holm sprach sich für einen mehrgleisigen Ansatz aus, um die Situation zu verbessern. Neben Instrumenten zum Schutz der bestehenden Mietpreise solle unter anderem der soziale und gemeinnützige Wohnungsbau "mit möglichst dauerhaften Mietbindungen erheblich gestärkt werden", riet er. Selbst unter Annahme einer optimalen Verteilung des vorhandenen Wohnraumes könnten 1,5 Millionen Haushalte nicht mit bezahlbaren und angemessenen Wohnungen versorgt werden. Dieser "harte Kern" der Wohnungsnot betreffe über 18 Prozent aller Mieterhaushalte in den Großstädten. Das Angebot an Wohnungen, die mehr als 15 Euro brutto warm pro Quadratmeter kosteten, sei seit 2006 dagegen deutlich um über 535.000 gestiegen.
Ein weiterer entscheidender Schlüssel zu einer sozialen Wohnversorgung sei jedoch die Einkommenssituation der Mieterinnen und Mieter. Ohne wirksame Maßnahmen zur Auflösung des weit verbreiteten Niedriglohnsektors sei eine soziale Wohnversorgung in den Großstädten nicht zu gewährleisten, so Holm.
Überbelastungsquote leicht gesunken
Eine Überlastung durch hohe Mieten ist der Studie zufolge nicht auf bestimmte Städtetypen begrenzt. So fänden sich unter den Städten mit der höchsten Belastungsquote bei der Warmmiete im Verhältnis zum Einkommen vergleichsweise wohlhabende und "teure" Großstädte wie Düsseldorf, Wiesbaden oder Darmstadt ebenso wie das wirtschaftlich eher schwache Bremerhaven, Recklinghausen oder Mönchengladbach. Dort seien zwar die Mieten, aber auch die Einkommen niedriger.
Auch das Statistische Bundesamt hatte die Belastung der Haushalte mit den Wohnkosten analysiert. Nach seinen Daten lebten im Jahr 2019 knapp 14 Prozent der Bevölkerung (rund 11,4 Millionen Personen) in Haushalten, die von hohen Wohnkosten finanziell überlastet waren. Eine Überbelastung bei Wohnkosten sieht die Behörde, wenn ein Haushalt mehr als 40 Prozent des verfügbaren Einkommens für das Wohnen ausgibt - unabhängig davon, ob die Betroffenen zur Miete oder in den eigenen vier Wänden leben und etwa einen Kredit abzahlen. Laut Destatis ist die Überbelastungsquote seit 2014 leicht gesunken.
Quelle: ntv.de, fzö/AFP/dpa