Kaum Handel in Moskau "Russische Unternehmen werden wie Aussätzige behandelt"
23.03.2022, 19:26 Uhr
Nachdem bisher letzten Öffnungstag hatten Anteilsscheine russischer Unternehmen massiv an Wert verloren.
(Foto: picture alliance / dpa)
Deutsche Anleger haben in der Vergangenheit gerne in lukrative russische Werte investiert. Inzwischen ist die Moskauer Börse fast vier Wochen geschlossen. Diejenigen, die russische Papiere im Depot haben, müssen laut dem Leiter Kapitalmarktanalyse der Baader Bank, Halver, einen Totalverlust einkalkulieren.
ntv.de: Die Börse in Moskau ist jetzt seit knapp vier Wochen geschlossen. Welche Auswirkungen hat das für russische Unternehmen?
Robert Halver: Russische Unternehmen werden an den Finanzmärkten momentan wie Aussätzige behandelt – und das nicht nur international, sondern auch zu Hause in Moskau. Wir haben in der Vergangenheit gesehen, dass gerade westliche Investoren gerne Rüstungs- und Energiekonzerne unterstützt haben, denn ihre fundamentalen Aussichten waren in Friedenszeiten grundsätzlich lukrativ. Dieses wichtige und üppige ausländische Geld fällt jetzt weg. Russische Unternehmen müssen nun darauf hoffen, dass inländische Investoren in einer nationalen Kraftanstrengung in diese Lücke springen. Ganz nach dem Motto: Wir lassen uns von dem Westen nicht unterkriegen und kaufen unsere eigenen Aktien. Doch geht es denen jetzt zunächst um die Sicherung des täglichen Lebensunterhalts.
Im russischen Fernsehen stieß ein Börsenhändler bereits mit den Worten "Lieber Aktienmarkt, Ruhe in Frieden" auf den Tod der Moskauer Börse an. Ist das übertrieben?
Die Moskauer Börse ist nie ein Handelsplatz gewesen, der auf einer Stufe mit etwa London oder Frankfurt gestanden hat. De facto war es eine Micky-Mouse-Börse. Und sollten in Zukunft hauptsächliche russische Investoren handeln, verliert Moskau noch weiter an Sexappeal. Internationale Anleger werden so lange einen Bogen um den russischen Markt machen, bis sich die geopolitischen Wogen geglättet haben. Das wird dauern. Niemand geht das Risiko ein, nicht mehr an sein Geld zu kommen. Insofern hat der russische Kollege nicht übertrieben. Angeln ist spannender.
Nach dem bisher letzten Öffnungstag hatten Anteilsscheine russischer Unternehmen massiv an Wert verloren. Wie attraktiv sind russische Werte überhaupt noch?
Zurzeit überhaupt nicht. Wir müssen das Fundamentale von dem Politischen unterscheiden. Wir können zwar davon ausgehen, dass Europa und Deutschland immer noch russisches Gas beziehen wird, weil die Energiealternativen fehlen. Gazprom zum Beispiel verdient weiter Geld. Aber: Wenn man nicht weiß, ob man jemals noch aus diesen Werten wieder rauskommt, wollen sich die großen Vermögensverwalter ihre Finger nicht verbrennen.
Welche Gefahren haben russische Werte für deutsche Anleger, die derzeit nicht handelbare Papiere im Depot haben?
Die Gefahr ist, dass diejenigen, die russische Papiere im Depot haben, auf unverkäuflichem und damit totem Kapital sitzen. Das käme einem Totalverlust gleich. Selbst wenn die Aktien in Rubel zurückgezahlt würden, wäre die Sache nicht besser. Denn aktuell hat der Rubel die Bedeutung von Spielgeld bei Monopoly.
Auch etliche börsengehandelte Indexfonds mit russischen Werten werden derzeit nicht gehandelt. Zudem wollen einige globale Indexanbieter wie MSCI russische Titel aus ihren Indizes verbannen. Welche Folgen hat das?
Russische Aktien sind damit toxische Werte, die niemand aus politischen Gründen in seinem Portfolio haben will. Sie werden aus den Indices entfernt, wie abgelaufene Ware im Supermarkt. Die Wertentwicklung der Indices findet ohne sie statt. Und rein russische Indices sind klinisch tot. Das wird sich erst dann wieder ändern, wenn wir nachhaltiges geopolitisches Tauwetter bekommen.
Inzwischen hat die russische Zentralbank die Beschränkungen wieder etwas gelockert. Ist das ein erster Schritt zurück in die Normalität?
Die russische Zentralbank möchte auf Geheiß von Putin zumindest wieder den Handel mit russischen Anleihen ermöglichen. Aus patriotischer Pflichterfüllung sollen wohl die Russen die Anleihekurse stützen. Ein Schritt zurück zur Normalität ist das nur auf nationaler Ebene. Im Übrigen bleibt der Aktienhandel weiter ausgesetzt.
Wie lange kann die Börse in Moskau geschlossen bleiben, bevor es wirklich richtig ernst wird?
De facto haben wir den Ernstfall. Was nützt denn eine offene Börse, wenn man nur herauswill, da die Rahmenbedingungen nicht für Kurserholungen sprechen. Das ist russisches Roulette. Erst müssen die westlichen Wirtschafts- und Finanzsanktionen gelockert werden. Doch es gibt ja noch nicht einmal Aussicht auf Frieden. Überhaupt werden die Sanktionen nicht alle sofort fallen. Auf absehbare Zeit sehe ich keine Möglichkeiten in Russland überhaupt technisch, geschweige denn renditeorientiert zu investieren.
Womit rechnen Sie, sobald der Handel wieder aufgenommen wird?
Ist irgendwann politisch und finanzwirtschaftlich wieder alles im Lot und die Moskauer Börse wieder offen, müsste man eigentlich jeden verfügbaren Kredit in Anspruch nehmen und kaufen. Denn dann geht es gewaltig nach oben. So schnell, so reich werden, kann man nur selten.
Mit Robert Halver sprach Juliane Kipper
Quelle: ntv.de