CO₂-Ausstoß muss runter Autobauer reizen Grenzwert-Fristen bis zuletzt aus


Dichter Verkehr auf einer Autobahn: In Deutschland werden zu viele Autos mit Verbrennermotor zugelassen, um die EU-Klimaziele zu erreichen.
(Foto: picture alliance / pressefoto_korb | Micha Korb)
Statt günstige E-Autos zu entwickeln, setzen deutsche Hersteller jahrelang auf profitable Verbrenner-SUVs. Das hat Folgen: Das zweite Jahr in Folge fällt die Umweltbilanz von Neuwagen in Deutschland schlechter aus als im Vorjahr. Konzernen wie VW bleibt nur wenig Zeit, um Strafen zu entgehen.
In Sachen Klimaschutz scheint es im deutschen Verkehrssektor kaum voranzugehen. Aktuell sieht es sogar nach einem Rückschritt aus: Zulassungsdaten des Kraftfahrt-Bundesamtes zeigen, dass der durchschnittliche CO₂-Ausstoß von neu registrierten PKWs ansteigt - und das nun schon das zweite Jahr in Folge. Spätestens seit dem Wegfall der E-Auto-Prämien sind Fahrzeuge mit Diesel- oder Benzinmotor wieder auf dem Vormarsch.
Für die Autohersteller sei das ein gutes Geschäft, meint Sebastian Bock, Geschäftsführer des europäischen Umwelt- und Verkehrsverbands T&E (Transport and Environment). "VW zum Beispiel verfolgt ganz bewusst eine 'Value over Volume'-Strategie. Das heißt, sie verkaufen lieber weniger Autos, dafür aber welche, die möglichst viel Gewinn einbringen. Da dies häufig große und schwere Verbrenner sind, schlägt sich das in der CO₂-Bilanz nieder", sagt er im Gespräch mit ntv.de.
Die EU hat einen Plan: Null Emissionen bis 2035
Im nächsten Jahr muss sich das dringend ändern. Denn ab 2025 gelten für die Autohersteller erstmals seit fünf Jahren wieder verschärfte CO₂-Flottengrenzwerte. Insgesamt soll der durchschnittliche Ausstoß von neu registrierten Autos dadurch um 15 Prozent sinken auf 93,6 Gramm CO₂ pro Kilometer (g CO₂/km) ab 2025.
Die Vorgaben sind Teil eines 2017 vorgelegten und 2019 verabschiedeten Plans der EU, der eine schrittweise Absenkung der Flottengrenzwerte vorsieht. Das häufig als "Verbrenner-Aus" bezeichnete Ziel lautet genau genommen: Ab dem Jahr 2035 sollen nur noch Autos auf die Straße gebracht werden, die keine klimaschädlichen Gase mehr ausstoßen. Bereits zugelassene Fahrzeuge bleiben von dem Null-Emissionen-Gebot unberührt.
Der Pfad hin zur Klimaneutralität verläuft jedoch alles andere als geradlinig. Zwar ist es seit 2019 immerhin gelungen, den CO₂-Ausstoß neuer Fahrzeuge in der EU um 28 Prozent zu senken. Zuletzt hat sich der Rückgang jedoch stark verlangsamt.
Verschärfte Klimavorgaben sorgen für einen Elektro-Boom
Für die Analysten von T&E kommt das wenig überraschend. Weil sich die CO₂-Vorgaben der EU nur alle fünf Jahre ändern, gebe es für Autohersteller wenig Anreiz, den Verkauf von emissionsarmen Fahrzeugen kontinuierlich voranzutreiben. Stattdessen entwickelt sich der Markt für E-Autos phasenweise: In Zeiten gleichbleibender Grenzwerte stagniert auch der Verkauf. Verschärfte Klimavorgaben sorgen hingegen für einen Boom. "Erfahrungsgemäß erfüllen die Hersteller die Vorgaben immer erst in dem Jahr, in dem die verschärften Grenzwerte tatsächlich greifen, nicht schon vorher", sagt Bock. "Bis dahin wird versucht, so gut es geht vom Verbrennermarkt zu profitieren."
Die Entwicklung in Deutschland als Europas größter und wichtigster Automarkt übt dabei einen entscheidenden Einfluss auf die gesamteuropäische Bilanz aus. In keinem anderen EU-Land werden jedes Jahr mehr Autos zugelassen als hier. "Es wird oft das Narrativ verbreitet, dass der Verkauf von E-Autos in ganz Europa nachgelassen habe", sagt Bock. Tatsächlich gab es im ersten Halbjahr 2024 nur einen Anstieg um schwache 1,3 Prozent gegenüber 2023. "Nimmt man aber Deutschland aus der Rechnung raus, beträgt der Anstieg mehr als neun Prozent", führt der Experte weiter aus. "Deutschland ist für Europa wie ein Klotz am Bein, der die E-Mobilitätswende ausbremst."
VW musste schon mal Strafe zahlen
Um die ab 2025 vorgegebenen CO₂-Grenzwerte einzuhalten, werden Hersteller den Verkauf von batteriebetriebenen und emissionsarmen Hybrid-Fahrzeugen deutlich steigern müssen. Schaffen sie es nicht, ihre individuellen Flottenziele zu erreichen, drohen Strafen in Millionenhöhe. Für jedes überschüssige Gramm werden 95 Euro pro Fahrzeug fällig.
Volkswagen hat damit bereits Erfahrung: 2020 verfehlte der Konzern die EU-Klimavorgaben, wenn auch nur knapp. Die Strafe fiel mit etwas mehr als 100 Millionen Euro geringer aus als befürchtet. Zum Vergleich: Der Jahresgewinn von VW betrug im selben Jahr neun Milliarden Euro. "Wir reden hier nicht über eine Branche, die am Hungertuch nagt oder zu wenig Geld hat, um zu investieren", stellt auch der Mobilitätsexperte Bock klar. "In den letzten zwei Jahren haben europäische Autohersteller über 130 Milliarden Euro Gewinn gemacht."
Dennoch sind die Klagen über die nächste anstehende Verschärfung der Grenzwerte erneut groß. Das Ziel sei nicht zu schaffen, man brauche noch mehr Zeit, heißt es aus Teilen der Autoindustrie. Sonst drohe angesichts der schlechten wirtschaftlichen Lage der Verlust von Millionen Arbeitsplätzen. Sogar von Werksschließungen ist die Rede. In einem durchgesickerten internen Positionspapier schlägt der europäische Automobilverband ACEA der EU-Kommission vor, die Flottenziele mithilfe einer Krisenklausel um zwei Jahre zu verschieben.
Dabei hatten die Hersteller jahrelang Zeit, den Übergang zur Elektromobilität vorzubereiten, kritisiert der Verkehrsverband T&E. Tatsächlich sei zumindest ein Teil der Branche kurz vor Inkrafttreten der neuen Regeln gar nicht mal so schlecht aufgestellt, zeigt eine Auswertung.
Daten aus dem 1. Halbjahr 2024 deuten demnach darauf hin, dass die meisten Hersteller die Anforderungen im nächsten Jahr wohl meistern werden. Allerdings gibt es große Unterschiede. Bei Volvo etwa wurden die Vorgaben für 2025 schon in diesem Jahr übererfüllt, so die Schätzung von T&E. Kia und die Opel-Mutter Stellantis stehen kurz davor, ihre Ziele zu erreichen. Auch BMW gibt sich optimistisch und hat aufgrund eines ohnehin schon hohen Flottenanteils mit alternativem Antrieb gute Karten. Die Nachzügler Ford und VW müssen sich hingegen anstrengen, um mögliche Bußgelder abzuwenden. Insbesondere Volkswagen ist stark darauf angewiesen, neben vollelektrischen Autos auch den Verkauf von emissionsarmen Hybrid-Fahrzeugen anzukurbeln.
Andererseits halten die EU-Regeln verschiedene Auswege bereit, um Strafen zu umgehen. So können sich Hersteller zu sogenannten "Pools" zusammenschließen und ihre CO₂-Bilanz verrechnen lassen. Im Jahr 2022 konnten dadurch beispielsweise Honda, Jaguar und Land Rover mit einer überdurchschnittlich guten Flottenbilanz glänzen - diese Marken hatten sich mit Tesla zusammengetan. "Tesla lässt sich das natürlich vergüten", erläutert Bock.
Kurz vor knapp: Hersteller wechseln ihre Strategie
Günstiger ist es natürlich, wenn Unternehmen die Flottengrenzwerte aus eigener Kraft erreichen. Tatsächlich haben viele Hersteller schon damit begonnen, ihre Modell- und Preispolitik an die neuen Klimavorgaben anzupassen, beobachtet der Mobilitätsexperte Bock. Für 2025 sagt der Experte deutliche Preisnachlässe und sogar eine "Art Modellflut" bei E-Autos voraus - darunter auch eine ganze Reihe an erschwinglichen Modellen für unter 25.000 Euro. Dadurch könnte der Anteil elektrischer Fahrzeuge an den Gesamtverkäufen im nächsten Jahr sprunghaft ansteigen. Die T&E-Prognose tippt auf 20 bis 24 Prozent.
Wie unverhältnismäßig lange diese Trendwende auf sich warten ließ, zeigt der Blick nach China. Dort haben sich die Durchschnittspreise für E-Autos seit 2021 halbiert, auch dank purzelnder Batteriekosten. In Europa sind E-Autos im gleichen Zeitraum hingegen um ein Drittel teurer geworden, weil fast ausschließlich das Oberklasse-Segment bedient wurde. Durch die drohenden EU-Klimastrafen wirkt diese Marktstrategie aber mit einem Mal gar nicht mehr so attraktiv. Verbraucherinnen und Verbraucher dürfen schon gespannt sein, zu welchen Preisschlachten das bei E-Mobilen führen wird.
Quelle: ntv.de