Wirtschaft

Gefangen in der CO2-Falle Deutschen Autobauern drohen Milliardenverluste

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Thema EU-Flottengrenzwerte: VW drohen milliardenschwere Strafzahlungen.

Thema EU-Flottengrenzwerte: VW drohen milliardenschwere Strafzahlungen.

(Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS)

Absatzprobleme in China, gekappte Gewinnziele, drohende Entlassungen und Werksschließungen: Den deutschen Autobauern steht das Wasser bis zum Hals. Aber es könnte noch schlimmer kommen - ab 2025.

Erstens kommt es anders und zweitens als man denkt. Nie war diese Erkenntnis zutreffender als gegenwärtig in der deutschen Autoindustrie, allen voran beim Branchenprimus Volkswagen in Wolfsburg. Die EU verordnete im April 2019 sogenannte CO2-Flottengrenzwerte für PKW und leichte Nutzfahrzeuge, die ab 2025 beziehungsweise 2030 greifen. Diese legen einen Grenzwert für den CO2-Ausstoß von Autos fest. Dabei muss jeder Hersteller eigene Ziele erreichen, die sich nach der Art der Fahrzeugflotte richten.

Im Durchschnitt aller in der EU in einem Jahr zugelassenen Fahrzeuge eines Herstellers darf dieser Grenzwert nicht überschritten werden. Tut er es doch, werden für den Hersteller hohe Strafzahlungen fällig. Das Grundprinzip: je mehr batterieelektrische Autos (BEV), desto weniger CO2-Ausstoß, desto geringere Strafzahlungen - oder auch gar keine. Die EU-Kommission wollte so eine Transformation der Verbrennertechnologie in Elektroantriebe vorantreiben.

Im Februar 2023 wurden diese Grenzwerte nochmals verschärft und sehen nunmehr verbindlich vor: 95 Gramm pro Kilometer (g/km) ab 2025; 50 g/km ab 2030 und 0 g/km ab 2035. Ab dann völlige Emissionsfreiheit, was einem faktischen Verbrennerverbot gleichkam.

Rosige Aussichten

Die deutschen Autohersteller stimmten dieser sukzessiven Abschaffung ihres 100-jährigen Verbrenner-basierten Geschäftsmodells ohne erkennbaren Widerstand zu. Denn die Politik in Brüssel und Berlin verhieß allen Beteiligten mit dem Übergang zur BEV-Elektromobilität eine goldene Zukunft: sauberere Luft, günstigere Autos, technologische Führungsrolle bei der Elektromobilität.

Hohe staatliche Kaufprämien und Steuervergünstigungen für Konsumenten bei der Anschaffung von Elektroautos, ein ungeahnter Höhenflug des Elektropioniers und Weltmarktführers Tesla sowie rosige Absatzaussichten taten ihre Wirkung: Die deutschen Autohersteller investierten heftig in die neue Elektro-Technologie, immer den Vorwurf der Öffentlichkeit im Nacken, gegenüber Tesla die Zukunft verschlafen zu haben.

In der Folge wurden Werke komplett umgebaut oder stillgelegt, Modellpaletten mit Hochdruck "elektrifiziert", von Branchen-Leuchttürmen öffentliche Bekundungen abgegeben, ab 2030 nur noch Elektroautos zu bauen, Batteriefabriken sollten aus dem Boden gestampft werden.

Alle Hersteller vertrauten in ihrer BEV-Euphorie darauf, dass das Kleingedruckte in den EU-CO2-Emissionsziel-Vorgaben nie greifen würde: nämlich hohe Strafzahlungen bei Nichterreichen der Emissions- Flottengrenzwerte. Vereinbart wurde für 2025 ein Grenzwert von rund 95 Gramm, bislang liegt dieser Wert im Flottendurchschnitt der EU bei 115,1 Gramm CO2 pro Kilometer. Beim Überschreiten des CO2-Ziels drohen hohe Strafen. Für jedes Gramm über dem Ziel müssen pro verkauftes Fahrzeug 95 Euro Bußgeld entrichtet werden. Bei Millionen-Absatzzahlen läppert sich einiges zusammen …

E-Absatzeinbruch

Die aktuelle Situation für alle europäischen/deutschen Autohersteller ist fatal: Alle Autobauer schreiben in ihren Elektroautosparten hohe Verluste. Allen drohen aber auch noch zusätzlich hohe Verluste aus den Strafzahlungen nach Brüssel, weil keiner die individuellen Flottengrenzwerte von 95 g/km einhalten kann. Denn der Markt für BEV ist in Deutschland wie auch in Europa im bisherigen Jahresverlauf regelrecht eingebrochen, während Verbrenner im Marktanteil eher zulegen. In Deutschland lag der BEV-Absatz im August um 68,8 Prozent unter Vorjahresniveau, der Anteil der Batterie-Elektroautos am Gesamtmarkt schrumpfte binnen eines Jahres auf 12,7 von 18,6 Prozent. In der EU sanken die Zulassungen von BEV im August um 43,9 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat. Der Gesamtmarktanteil brach auf 12,6 von 21 Prozent ein.

Bei den ab 2025 fällig werdenden Strafzahlungen schießt VW unter den deutschen Herstellern den Vogel ab: Analysten von Dataforce hatten errechnet, dass allein Volkswagen beim aktuellen Stand seiner BEV- und Plug-in-Hybrid-Verkäufe auf Strafzahlungen von vier bis fünf Milliarden Euro käme. Auch Ford drohten saftige Bußgelder. Die deutschen Premium-Hersteller liegen jeweils mehr oder weniger knapp unter einer halben Milliarde Euro CO2-Buße. Für die europäische Autoindustrie insgesamt beziffert ACEA-Präsident Luca De Meo die Strafen auf insgesamt 15 Milliarden Euro.

Mut ist gefragt

Und nun? Die Hersteller haben zwei Optionen, keine von ihnen kann Verluste vermeiden, lediglich mildern - wenn überhaupt. Zum einen: drastische Einschränkung der Verbrenner-Produktion im Massensegment und kräftige Verteuerung in den weniger preissensiblen gehobenen Modellpaletten.

Und zum anderen: drastische Verbilligung von BEV zur Absatzankurbelung. Ergebnis: Preiskrieg gewiss, Absatzsteigerung ungewiss, eher negativ, da Konsumenten bisher auch billige oder kleine BEV wie Fiat 500e, Dacia Spring, Mini, Tesla Model 3 oder einzelne China-Modelle trotz hoher Rabatte verschmähten.

Im Ergebnis sitzen die Autohersteller in der CO2-Falle. Die Verbrenner-Verknappungs- und Verteuerungsstrategie lässt bei der absehbaren Marktschwäche den Schluss zu, dass die Verluste am Gesamtabsatz-Volumen größer sind als die Gewinne am Stück. Die BEV-Verbilligungsstrategie mag im Einzelfall zur Absatzsteigerung führen, der Markt als Ganzes wächst dadurch kaum. Sicher ist nur, dass die Verluste aller am Ende wachsen werden, sprich, der Kuchen wird nicht größer.

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Verluste bleiben so oder so. Die sicherste Variante der Verlust-Minimierung wäre eine Verschiebung der CO2 Grenzwerte in die Zukunft, Rücknahme des absoluten Verbrennerverbots und Ersetzen durch Klimaneutralität. Das wäre ohne Gesichtsverlust machbar, denn die Geschäftsgrundlage am Elektromarkt hat sich zwischenzeitlich total geändert: Der Massenmarkt kann mit Batterie-Elektroautos nichts anfangen.

Zu diesem Kurswechsel gehört Mut. Der Mut zum Eingeständnis, dass man sich bei der Verordnung der verschärften Emissionsgrenzwerte 2019 und 2023 geirrt hat, geirrt in Brüssel wie in Berlin: Absehbar ist, dass die CO2-Problematik der Verbrennerflotten allein über die Lenkungsfunktion höherer Preise aus sozialen Gesichtspunkten nicht zu stemmen ist.

Quelle: ntv.de

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