Interview zur Gropiusstadt So können finanzschwache Kommunen energetisch sanieren
07.05.2023, 17:35 Uhr
Die Gropiusstadt in Berlin-Neukölln muss saniert werden - doch wer soll das bezahlen?
(Foto: picture alliance / Jochen Eckel)
Heizungsaustausch, Sanierung, Modernisierung - die Klimaanpassung wird vor allem für finanziell schwache Regionen in Deutschland schwierig. Doch eine Wohnsiedlung in Berlin-Neukölln zeigt, wie auch einkommensschwache Kommunen ihren Beitrag leisten könnten. Im Interview mit ntv.de erklärt Bezirksstadtrat Jochen Biedermann, wie ein Gesamtkonzept die Lösung für Sanierungen in finanzschwachen Regionen sein kann.
ntv.de: Sie haben gerade ein Sanierungskonzept für die Gropiusstadt entwickelt, einen Ortsteil von Berlin-Neukölln, in dem überwiegend eher finanzschwache Haushalte leben. Droht das nicht zur Überforderung für die Bewohner zu werden?
Jochen Biedermann: Das ist ein zentrales Problem. Die Bewohner der Gropiusstadt sind finanziell nicht wirklich in der Lage, große Sanierungen zu stemmen. Andererseits ist es hier dringend notwendig, die Gebäude zu erneuern. Denn die Schwankungen der Energiepreise im vergangenen Winter haben genau diese finanzschwachen Haushalte besonders hart getroffen.
Wie gehen Sie mit diesem Widerspruch um?
Sanierungspläne müssen maßgeschneidert sein. Wir müssen die Gesamtbilanz der Maßnahmen betrachten. Wenn wir auf Teufel komm raus eine emissionsintensive Dämmung an die Wände kleben und schon jetzt wissen, dass sie in 20 Jahren als Sondermüll entsorgt wird, spart das am Ende nicht viel Energie - aber es kostet viel Geld. Wir müssen immer im Einzelfall schauen, welche Maßnahmen für bestimmte Gruppen und Regionen geeignet sind. Deshalb haben wir uns für das Quartierskonzept entschieden.
Was genau ist ein Quartierskonzept?
Wenn wir an eine energetische Sanierung denken, denken wir meist an ein einzelnes Haus. Es wird gedämmt, die Fenster werden ausgetauscht, vielleicht wird noch eine Wärmepumpe eingebaut. Aber sobald es um Mietwohnungen geht, müssen wir das Thema Sanierung anders angehen - gerade in einem Bezirk wie Neukölln, wo viele Menschen mit wenig Geld zur Miete wohnen. Auf der einen Seite müssen wir wichtige energetische Modernisierungen durchführen - aber auf der anderen Seite müssen die Mieten bezahlbar bleiben. Das Quartierskonzept betrachtet aber auch nicht nur die Wohngebäude, sondern auch die öffentlichen Gebäude, die Grünflächen – eben das gesamte Quartier.
Wieso überlassen Sie die Sanierung nicht den Vermietern?
Es macht keinen Sinn, dass sich jeder einzelne Eigentümer hinsetzt und überlegt, was für sein Haus das Richtige ist. Wenn wir das gesamte Quartier betrachten, können wir uns die Potenziale mit dem besten Kosten-Nutzen-Effekt herauspicken - also die besten Maßnahmen mit dem geringsten Aufwand, die individuell zu diesem Quartier passen und auf einer größeren Ebene umsetzbar sind.
Wie haben Sie die Bürger und Bürgerinnen der Gropiusstadt in die Entwicklung dieses Konzepts einbezogen?
Das war nicht immer einfach. Viele Menschen können sich unter einem Quartierskonzept nichts vorstellen. Und dazu: Es ist deutlich schwieriger, Menschen zum Mitmachen zu bewegen, wenn es zunächst keinen direkten Einfluss auf ihren Alltag hat. Dennoch haben wir immer den Kontakt gesucht, denn diese Bürgerbeteiligung ist entscheidend für die Energiewende.
Wie haben die Bewohner und Bewohnerinnen auf Ihre Ideen reagiert?
Das Thema Modernisierung und die damit verbundene Umlage sind große Angstthemen. Der Wohnungsbestand in der Gropiusstadt ist in die Jahre gekommen - die meisten Gebäude sind mittlerweile 50 Jahre alt und müssen grundlegend saniert werden. Die Notwendigkeit dieser Sanierungen bestreitet niemand. Die Frage ist nur, welche Maßnahmen den größtmöglichen Nutzen bringen und gleichzeitig sozialverträglich sind.
Welche Maßnahmen zum Beispiel?
Wir sehen in der Gropiusstadt ein hohes Potenzial für die Photovoltaik, weil wir durch die Flachdächer und Hochhäuser gute Voraussetzungen für Solaranlagen haben. Theoretisch könnten 40 Prozent des Energiebedarfs vor Ort durch Photovoltaik erzeugt werden.
Das Ganze kostet auch Geld. Für eine einzelne Schule sind Sie auf Kosten von rund 4,7 Millionen Euro für eine Vollsanierung gekommen. Konnten Sie eine Gesamtkalkulation für das Quartierskonzept aufstellen?
Nein, eine Gesamtberechnung haben wir nicht gemacht, weil das am Ende eine schwindelerregende Zahl werden würde. Da gruselt es jeden, aber es hilft niemandem wirklich weiter. Wir müssen irgendwo anfangen - wir müssen in der Umsetzung vorankommen. Es würde zu lange dauern, erst alle Gebäude im Detail zu betrachten und nicht gleich loszulegen.
Aber 4,7 Millionen Euro für die Sanierung einer einzigen Schule sind schon viel. Ab wann lohnt sich eine so kostspielige Sanierung?
Das ist schwer zu sagen, denn es gibt viele Unsicherheiten. Zum Beispiel: Die Entwicklung der Strom- und Heizungspreise macht einen großen Unterschied in der Kosten-Nutzen-Rechnung. Wir haben im letzten Winter gesehen, wie schnell sich das ändern kann. Deshalb möchte ich auch keinen Zeitpunkt nennen, an dem sich die Investition amortisiert. Das ist letztlich auch nicht der richtige Ansatz, gerade weil die Klimafrage dafür einfach viel zu drängend ist.
Trotzdem muss das irgendwie finanziert werden. Wie stellen Sie sich das vor?
Der nächste Schritt ist die Einrichtung eines Sanierungsmanagements, wofür wie auf eine Finanzierung durch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hoffen. Darüber sollen Eigentümer beraten und Maßnahmen angeschoben werden. Ein wichtiger Aspekt wird dabei sein, wo passende Fördermittel beantragt werden können.
Die Gropiusstadt steht teilweise unter Milieuschutz. Inwieweit beeinflusst das die Sanierungspläne?
Das bedeutet eine besondere soziale Verantwortung, dafür zu sorgen, dass die Mieten nicht übermäßig steigen. Wir müssen das miteinander ausbalancieren und dürfen nicht nur hoffen, dass die Wohnungswirtschaft das von alleine regelt. Es muss am Ende sowohl für die Wohnungswirtschaft als auch für die Bewohner funktionieren.
Mit Jochen Biedermann sprach Clara Suchy
Quelle: ntv.de