
Vielleicht reden Kanzler Scholz und Premier Trudeau ja doch über LNG-Terminals?
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Am Wochenende reisen Kanzler Scholz und Wirtschaftsminister Habeck gemeinsam nach Kanada. Obwohl es eines der erdgasreichsten Länder der Welt ist, wollen sie zumindest nicht öffentlich über den Rohstoff reden.
Während Deutschland über Gasknappheit diskutiert, reisen Bundeskanzler Olaf Scholz und Klimaschutzminister Robert Habeck am Sonntag gemeinsam mit einer Wirtschaftsdelegation nach Kanada. Doch laut der offiziellen Ankündigung wird über vieles gesprochen, etwa Quantencomputer, ein Wasserstoffabkommen oder ein Windkraftwerk in Neufundland - nicht aber über weitere Flüssiggaslieferungen oder LNG-Terminals. Dabei ist das Land der sechstgrößte Gasproduzent der Welt.
Der Energieexperte Malte Küper vom Institut der deutschen Wirtschaft (IW) kann sich im Gespräch mit ntv.de jedoch vorstellen, dass es bei dem Besuch auch um Seltene Erden gehen könnte. "Gerade bei Rohstoffen wie Nickel oder Palladium kann Kanada in Zukunft eine noch größere Rolle für Deutschland spielen", sagt Küper. "Bei der Diskussion um die Abhängigkeit von Russland geht es häufig nur um Kohle, Öl und Gas." Derzeit kommen die Seltenen Erden noch im großen Stil aus Russland, sie sind aber notwendig, um die Energiewende zu schaffen. Schließlich werden sie in Batterien, Solarmodulen und Windturbinen verbaut.
Die Posse um die Turbine
Es hat Gründe, dass bei dem Besuch zumindest nicht öffentlich über Gas gesprochen wird. Einer davon verstaubt derzeit in Mülheim an der Ruhr. Die Posse um die gewartete Gasturbine für die Ostseepipeline Nord Stream 1 hat in Kanada Spuren hinterlassen und belastet seither die deutsch-kanadischen Beziehungen.
Das Bauteil wurde Mitte Juni im kanadischen Montreal gewartet. Zeitgleich hat der Kreml die Gaslieferungen durch Nord Stream 1 nach Deutschland reduziert und dafür das fehlende Bauteil verantwortlich gemacht. Doch wegen der Sanktionen wollte Kanada die Turbine nicht für den Rücktransport nach Russland freigeben. Und tat es erst, nachdem die deutsche Regierung darum gebeten hatte. Denn diese wollte beweisen, dass Moskau ihrer Ansicht nach lügt.
Kanadas Ansehen hat dadurch Schaden genommen. Den Fall um die gewartete Turbine rollt derzeit ein Parlamentsausschuss nochmals auf. Und zusätzlich zur Empörung der ukrainischen Regierung kündigte der Weltkongress der Ukrainer eine Klage an. Um die Wogen zumindest etwas zu glätten, verteidigte Scholz die Freigabe der Turbine in einem Interview mit der kanadischen Zeitung "The Globe and Mail".
Zudem reiste Außenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Besuch nicht etwa in die Hauptstadt nach Ottawa, sondern nach Montreal. Eben dorthin, wo die Turbine gewartet wurde. Sollte Scholz nach dem Debakel um die Turbine nochmals öffentlich um Flüssiggas und LNG-Terminals bitten, würde das den politisch sowieso schon angeschlagenen Premier Trudeau weiter ins Wanken bringen.
Fehlende LNG-Infrastruktur
Denn nicht nur die Turbine sorgt für Unmut in Übersee. Zwar hat Kanada sich ehrgeizige Klimaziele gesteckt, es ist aber dabei, sie zu verpassen. Ein neues großes Gasprojekt käme da ungelegen. Denn anders als Norwegen oder Russland kann das Land den fossilen Brennstoff nicht über eine Pipeline nach Europa liefern. Dafür bräuchte es neue Flüssiggas-Terminals an der Ostküste, um es per Schiff zu transportieren. Bisher gibt es die noch nicht.
Nach Angaben der kanadischen Regierung würde der Bau der LNG-Terminals (Liquid Natural Gas, LNG) an der Ostküste etwa drei Jahre dauern. Das stellt das ganze Projekt infrage. "Deutschland wird natürlich auch in den drei Jahren noch Gas brauchen. Gleichzeitig gibt es einen großen gesellschaftlichen und politischen Konsens, den Ausstieg aus fossilen Energien noch schneller zu schaffen. Das wird auch auf kanadischer Seite wahrgenommen. Damit sich der Bau eines Export-Terminals für die Investoren überhaupt lohnt, müssten langfristige Lieferverträge über 15 bis 20 Jahre abgeschlossen werden", erklärt Energieexperte Küper. Aus ähnlichen zeitlichen Unklarheiten ist zudem wohl der LNG-Deal mit Katar gescheitert.
Hinzu kommen weitere innenpolitische Bedenken. Kanada fördert sein Erdgas fast vollständig im Westen des Landes, in Alberta und British Columbia. Um Flüssiggas nach Europa verschiffen zu können, müssten die quer durchs Land verlaufenden Pipelines zumindest modernisiert werden. Doch das ist ein heikles Thema. Beispielsweise warnte Sylvain Gaudreault, ein Abgeordneter aus Quebec, davor, dass der Bundesstaat das eigentlich gar nicht möchte. Und zusätzlich zur Energiewende würde die geplante Infrastruktur Gebiete der indigenen Bevölkerung durchqueren und gefährden.
Das Fracking-Problem
Eine weitere Frage ist die Art der Gasförderung. Denn Kanada fördert sein Erdgas größtenteils durch Fracking. In Deutschland ist die Methode seit 2017 verboten, in Kanada sind es nach Angaben der Internationalen Energiebehörde (IEA) rund 71 Prozent des Erdgases, das "unkonventionell" - also per Fracking - gefördert werden.
Der Energieexperte Werner Zittel von der Ludwig-Bölkow-Stiftung schätzt gegenüber ntv.de, dass es sich bei etwa 8 bis 10 Prozent der insgesamt geförderten Menge in Kanada um Schiefergas handele. Es aus den Gesteinsschichten zu lösen, brauche besonders viel "Fracking-Aufwand". Damit steigt die Gefahr, dass es Schäden für die Umwelt geben könnte.
In den USA, aus denen Deutschland ebenfalls Flüssiggas bezieht, wird der Energieträger nicht konventionell gefördert. Laut Zittel sind es etwa 80 Prozent, die gefrackt werden. "In den USA und Kanada wurde in den vergangenen Jahren immer mehr Gas aus dem Fracking von Schiefer- und Tight-Gas gewonnen", stimmt Energieexperte Küper Zittel zu. "Die konventionelle Gasförderung ist dort rückläufig." Das Gas zu verflüssigen und über den Atlantik zu verschiffen, ist nochmal energieaufwändiger.
Wasserstoff statt Erdgas?
Während Gas in den kommenden Monaten in Deutschland knapp werden könnte, wäre der künftige Bedarf wohl auch ohne das kanadische Flüssiggas gedeckt. "Die gute Nachricht ist, dass die Belieferungen der ersten beiden Flüssiggasterminals in Brunsbüttel und Wilhelmshaven bis Anfang 2024 bereits gesichert ist", sagt Küper. Weitere LNG-Abkommen werden folgen, doch dies sei für die Bundesrepublik gar nicht so einfach, so der Energieexperte. "Deutschland braucht Flüssiggas, um so schnell wie möglich unabhängig von russischem Gas zu werden. Die üblichen Vertragsdauern bei Flüssiggas-Deals von bis zu 20 Jahren stehen aber im Gegensatz zu Deutschlands Klimazielen und könnten mögliche Partnerländer abschrecken."
Denn langfristig geht es darum, unabhängig von fossilen Energieträgern zu werden. Zwar wird Gas als Brückentechnologie betrachtet, es ist deswegen aber nicht weniger klimaschädlich. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Technischen Universität Berlin wiesen zuletzt darauf hin, dass Gas eine vergleichbar schlechte Klimabilanz wie Kohle und Öl hätte. In der gesamten Gas-Wertschöpfungskette trete auch Methan aus, das noch klimaschädlicher als CO2 ist.
Das erklärt, weshalb Scholz und Habeck ihren Kanada-Besuch in einem Windkraftwerk in Neufundland beenden. Dort soll künftig emissionsfrei Wasserstoff entstehen, das Erdgas in Deutschland irgendwann ersetzen soll.
"Die festen LNG-Terminals können langfristig auch für den Import von Wasserstoff genutzt werden, das sollte aber von Beginn an mitgeplant werden", erklärt Energieexperte Küper. Für die deutschen Importterminals in Stade und Wilhelmshaven wird das bereits gemacht. Einen ähnlichen Gedanken deutete Scholz in dem Interview mit der "The Globe and Mail" für Kanada bereits an. "Flüssigerdgas und die entsprechende Infrastruktur sind jetzt wichtig, müssen aber auch zukunftsfähig sein", sagte er da. Vielleicht werden sie also doch über LNG-Terminals sprechen.
Quelle: ntv.de