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Kosten runter, Absatz rauf Wie VW den Karren aus dem Dreck ziehen kann

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Aus einem sinkenden Stern soll wieder ein strahlender werden.

Aus einem sinkenden Stern soll wieder ein strahlender werden.

(Foto: dpa)

Die deutsche Autoindustrie, insbesondere Volkswagen, steckt in einer tiefen Krise. Die Gründe sind zu großen Teilen hausgemacht, befeuert durch zahlreiche externe Faktoren. Doch noch lassen sich die Probleme lösen. Wenn es jetzt schnell geht.

Der Tarifstreit bei VW muss schnell zu einem Ende kommen, fordern Branchenexperten. Das wäre "endlich mal ein positives Signal", sagte Jürgen Pieper im Interview mit ntv. Der selbstständige Autoanalyst erwartet, dass die Tarifverhandlungen letztlich mit einer Nullrunde enden und der kriselnde Hersteller zwei kleine Werke verkauft. Mit einem Abschluss noch vor Weihnachten sei allerdings nicht zu rechnen. Dabei drängt die Zeit. Volkswagen steckt in der größten Krise seit den 1990er Jahren, wie Stefan Bratzel im Interview mit ntv sagte. 2024 war Pieper zufolge für die gesamte Branche das härteste der vergangenen 15 Jahre - von der Dieselkrise mal abgesehen, die allein VW seit Bekanntwerden des Abgas-Betrugs im Jahr 2015 mehr als 32 Milliarden Euro gekostet hat.

Die vielen Probleme und ihre Ursachen

Zum ersten Mal seit langer Zeit schrumpften die Gewinne im Jahr 2024 heftig. Im dritten Quartal brach der operative Gewinn der deutschen Autokonzerne Volkswagen, Mercedes-Benz und BMW nach Berechnungen der Beratungsgesellschaft EY im Vergleich zum Vorjahreszeitraum um die Hälfte ein. Der Umsatz sank um sechs Prozent, der PKW-Absatz um neun Prozent, die Marge halbierte sich beinahe von 9,1 auf 4,9 Prozent.

Die Autobauer wurden dabei "auf dem falschen Fuß" erwischt, so Pieper: "Das haben auch die Unternehmen so nicht kommen sehen." Grund sei eine "sehr ungute Mischung", eine Ballung von Problemen: Rezession in Deutschland, ein Nachfrageeinbruch über längere Zeit, global ein schleppender Hochlauf der Elektromobilität, zunehmender Wettbewerb aus China und obendrein eine große politische Unsicherheit in entscheidenden Weltregionen. Branchenexpertin Beatrix Keim sieht in Deutschland ein weiteres zentrales Problem in der Unwissenheit von Kunden in Bezug auf die Kosten, Reichweite, Ladeinfrastruktur und Lebensdauer von Elektroautos, wie sie im Interview mit ntv erläuterte.

Bei VW spielen beim Gewinneinbruch und bei der schwächelnden Nachfrage die eigenen Kosten eine schmerzhafte Rolle. Der Konzerngewinn nach Steuern brach im dritten Quartal um fast zwei Drittel auf 1,58 Milliarden Euro ein. Der Umsatz lag dabei nur knapp unter dem Vorjahresniveau und die operative Marge der Kernmarke VW über die ersten neun Monate nur noch bei zwei Prozent. Nach Ansicht der Branchenbeobachter müssen die Ausgaben spätestens jetzt runter. Die Standortkosten in Deutschland seien 50 Prozent - oder noch mehr - höher als an anderen europäischen Standorten, monierte Bratzel. "Hier muss etwas passieren." Der Leiter des Center of Automotive Management an der Fachhochschule der Wirtschaft in Bergisch Gladbach betont immer wieder: "Volkswagen muss mindestens so viel innovativer sein, wie sie teurer sind." Das sei aktuell nicht der Fall.

VW Vorzüge
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Branchenkenner Ferdinand Dudenhöffer wurde im Interview mit ntv noch deutlicher: VW habe zu große Werke, zu viele Beschäftigte - und Kosten "jenseits von Gut und Böse". Im Gegensatz dazu würden beispielsweise im tschechischen Stammwerk der Konzerntochter Skoda "große Gewinne geschrieben, einfach weil die Kosten stimmen", erläuterte der Leiter des privaten Bochumer Instituts Center Automotive Research (CAR).

Mehr als die Hälfte der Probleme der deutschen Autobauer ist hausgemacht, meint Pieper. "Man hat eben doch viele Dinge schleifen lassen, ist zu erfolgsverwöhnt gewesen, zu bequem geworden - und wird jetzt zum Aufwachen gezwungen." Volkswagens Probleme sind nach Einschätzung von Bratzel sogar zu zwei Dritteln hausgemacht, wie er im Gespräch mit ntv.de sagte. Allerdings habe der Hochlauf der Elektromobilität auch ein Jahr verloren, weil die staatlichen Kaufprämien quasi über Nacht gestoppt wurden.

Die Lösung: mehr Innovation, weniger Ausgaben

Die Zeit des Aussitzens sei jetzt vorbei, stellte Pieper klar. Neben den nötigen Kostensenkungen müssen die Autobauer laut den Experten nun schleunigst innovativere Modelle entwickeln, und zwar mit Elektromotor. Bratzel attestiert Volkswagen, insbesondere in China zu langsam unterwegs gewesen zu sein. An dem größten und wichtigsten Standort habe VW deshalb große Marktanteile verloren. "Auch weil man nicht so schnell in die Elektromobilität gestartet ist wie die Wettbewerber und die Wettbewerber tatsächlich sehr viel besser geworden sind." Das sei unterschätzt worden. Die Konkurrenten hätten eine bessere Performance in der gesamten Wertschöpfungskette, besonders bei der entscheidenden Batteriezelle.

Die gesamte deutsche Autoindustrie müsse die Elektromobilität beschleunigen, fordert Pieper. "Nicht etwa darauf warten, dass man noch 10, 15 Jahre so weitermachen kann." Die oft in den Vordergrund gestellte Technologieoffenheit habe den Nachteil, dass man immer noch glaubt, "so weitermachen zu können wie bisher - mit 'alles so ein bisschen und nichts mehr so richtig', wie man das gewohnt war".

Auch bei den Kosten in Deutschland werden die Autobauer allein deshalb nicht so weitermachen wie bisher. Die für attraktive Modelle nötige Technologie wird in den nächsten Jahren viel Geld kosten. VW selbst denkt laut über Werksschließungen und sogar Entlassungen nach. Die Arbeitnehmer legten daraufhin einen eigenen Sparplan vor, der alle Fabriken erhalten und betriebsbedingte Kündigungen verhindern soll. Keim, die das ebenfalls privatwirtschaftliche Duisburger CAR-Institut leitet, warnte nun allerdings davor, unrentable Werke weiterzubetreiben. "Denn auch ein Werk, das nur zu 50 Prozent ausgelastet ist, muss unterhalten werden - das schlägt sich einfach auf die Kosten pro produziertem Fahrzeug nieder." Wirtschaftlich sinnvoller sei es deshalb, Werke oder Produktion zusammenzulegen.

Bratzel verlangt "einen Zukunftsplan von Volkswagen, wie es gelingen kann, wieder an die Innovationsspitze in allen Feldern zu kommen". Dudenhöffer sieht bei den Zukunftsplänen nicht nur das Unternehmen und die Gewerkschaft IG Metall in der Pflicht, sondern auch den wichtigen VW-Eigner Niedersachsen, der ein Fünftel der Stimmrechte hält. "Wenn Niedersachsen diese Aktien am Markt verkaufen würde, würde man mehr als fünf Milliarden Euro einnehmen", rechnete er vor.

Nach dem Vorbild von Bochum, wo vor zehn Jahren das Opel-Werk geschlossen wurde und ein Aufbauplan folgte, könnte Niedersachsen für "blühende Landschaften" sorgen, meint Dudenhöffer. Ministerpräsident Stephan Weil von der SPD hätte so die Möglichkeit, "sein Land aufzubauen und nicht mit Streiks und gegensätzlichen Meinungen immer wieder in größere Konflikte laufen zu lassen". Die Landesregierung unterstützt die Forderung der Arbeitnehmer, Werksschließungen und betriebsbedingte Kündigungen zu verhindern. Wie in der Vergangenheit will Niedersachsen möglichst viele Arbeitsplätze erhalten, ganze Regionen hängen am Tropf von Volkswagen.

Wie es jetzt weitergeht

Auch Bratzel mahnte, Niedersachsen müsse an die Profitabilität des gesamten Konzerns denken - habe VW in den nächsten Jahren noch größere Probleme, würden noch mehr Arbeitsplätze verloren. Der Branchenkenner hält Entlassungen nicht mehr für unwahrscheinlich. In den vergangenen Jahren habe das Management versucht, ohne Kündigungen Arbeitsplätze abzubauen - "am Ende hat es nicht wirklich funktioniert". Eine entscheidende Rolle dürfte dabei spielen, dass die wenigsten Beschäftigten in ihrer Region einen anderen so gut bezahlten Arbeitsplatz finden würden. VW hat vor Kurzem seine Beschäftigungssicherung gekündigt, wodurch ab dem kommenden Sommer betriebsbedingte Kündigungen möglich wären.

Dudenhöffer prophezeit "sehr, sehr schwere" kommende Jahre für die Autohersteller und ihre Zulieferer. Der chinesische Markt - wo in der Vergangenheit das große Geld verdient wurde - breche wegen fehlender Elektromodelle immer mehr weg. Europa stecke eher in der Rezession, und die USA schotten sich zunehmend ab. "Nach meiner Einschätzung wird man nie mehr auf das Niveau zurückkommen, auf dem man heute sitzt", sagt der Branchenbeobachter.

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Es gibt aber auch Hoffnung für die Autoindustrie. Pieper erwartet für das kommende Jahr eine bessere Konjunktur sowohl in Europa als auch in China. Gleichzeitig würden die geplanten Sparmaßnahmen zu wirken beginnen. Neue staatliche Kaufprämien für E-Autos hält er ebenfalls für möglich. Darauf ruht auch die Hoffnung der Branche sowie der von ihr geprägten Bundesländer. Bratzel plädiert daneben für einen günstigeren Ladestrompreis.

Die hausgemachten Schwierigkeiten müssen die Autobauer jedoch selbst angehen. Der Branchenexperte mahnt: "Es reicht nicht, immer wieder ein bisschen zu sanieren, ohne die Probleme wirklich zu lösen." Dabei ist vor allem in Wolfsburg Tempo gefragt: "Es geht um die nächsten zwei, drei Jahre, VW hat nicht mehr viel Zeit."

Quelle: ntv.de

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