Wirtschaft

Jobschwund in der Autobranche Arbeitsmarktexperte: "Transformation heißt Umbruch, nicht Einbruch"

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Allein bei VW stehen mehrere Zehntausend Jobs auf dem Spiel. Drei Werke sollen geschlossen werden.  Fährt der wichtigste Wirtschaftszweig Deutschland gerade mit Karacho gegen die Wand?

Allein bei VW stehen mehrere Zehntausend Jobs auf dem Spiel. Drei Werke sollen geschlossen werden. Fährt der wichtigste Wirtschaftszweig Deutschland gerade mit Karacho gegen die Wand?

(Foto: Julian Stratenschulte/dpa)

Sichere Jobs in der Autoindustrie? Diese Zeiten sind lange vorbei. Laut Verbandsangaben braucht die Branche in den kommenden zehn Jahren rund 140.000 Beschäftigte weniger. Das wäre jeder fünfte Job in der Branche, der noch einmal zusätzlich verloren geht. Seit 2019 hat die Autoindustrie bereits 75.000 Beschäftigte verloren, lediglich 29.000 Stellen sind in dieser Zeit dazugekommen. Wie steht es um die Branche und den Standort Deutschland? Welche Chancen haben Beschäftigte, die um ihre berufliche Existenz bangen? ntv.de fragt Enzo Weber vom Institut für Arbeitsmarkt und Berufsforschung (IAB). Für ihn sind nicht die Entlassungen oder Werksschließungen in Deutschland das Hauptproblem. "Unser Problem liegt woanders: Wir generieren zu wenig Neues."

ntv.de: Der VDA hat heute Schätzungen veröffentlicht, wie viele Stellen noch der Transformation zur E-Mobilität zum Opfer fallen werden. Wie ernst ist die Lage?

Enzo Weber: Dass man für E-Autos deutlich weniger Arbeitskapazität braucht, ist an sich keine Überraschung. Verschiedene Studien haben das bereits gezeigt. Wenn man die Zulieferer zur Autobranche hinzuzählt, ist klar: Der Beschäftigtenstand in der Branche wird sinken. Aber die Autoindustrie stellt ja nur einen Teil der Industrie dar. Insgesamt verlieren wir zurzeit 7000 Stellen im Monat! Entscheidend ist, dass es sich hier um eine Transformation handelt. Und Transformation heißt Umbruch, nicht Einbruch. Es gibt auch Chancen bei einer neuen Wertschöpfung, bei grünen Technologien, Mobilität, Speichertechnologien. Davon wird im Moment aber noch zu wenig realisiert.

Welche Berufe trifft die Transformation in der Autoindustrie am härtesten?

Betroffen sind sicherlich typische Fertigungsberufe. Aber technische Berufe werden auch für die Dekarbonisierung gebraucht. Wenn wir uns die Infrastruktur, die Heizungs-, Wasserstoff- oder Windenergietechnik anschauen, gibt es überall Nachfrage bei grundständigen technischen Berufen. Das heißt, Deutschland kann Transformation. Wir haben die Kompetenzen, aber wir müssen die Beschäftigten gezielt weiterentwickeln, für andere Anwendungsfelder. Wir dürfen nicht Arbeitslosigkeit aufbauen und goldene Handschläge verteilen. Arbeitskräfte sind immer noch knapp.

Hat die Autoindustrie hinsichtlich Umschulungen und Weiterentwicklung etwas versäumt?

Momentan wird viel investiert und stark umgesteuert. Vorwerfen muss man sich, dass man in den 2010er Jahren zu zögerlich war. Das hat Deutschland gebremst, politisch und wirtschaftlich. Das bekommen wir jetzt zu spüren, weil jetzt vieles sehr schnell und auf einmal gehen muss. Jetzt brauchen wir einen transformativen Aufschwung mit Innovationen, Investitionen, neuen Geschäftsmodellen und am Arbeitsmarkt Weiterentwicklung in aufstrebende Bereiche. Das können wir immer noch schaffen.

Was muss passieren, damit die Transformation erfolgreich ist und möglichst viele Beschäftigte auf dem Weg dorthin mitgenommen werden?

Die Politik muss den Transformationswettbewerb in Gang setzen. Der Staat kann es aber nicht alleine richten. Wir brauchen Wettbewerb, in den neuen Geschäftsfeldern haben wir im Moment zu wenig Dynamik. Das Hauptproblem ist nicht unbedingt ein Einbruch beim Bestehenden. Die Entlassungen zum Beispiel sind immer noch niedriger als vor der Corona-Pandemie. Auch die Zahl der Betriebsschließungen war - abgesehen von den Corona-Jahren - noch nie so niedrig wie jetzt. Unser Problem liegt woanders: Wir generieren zu wenig Neues.

Was heißt das konkret?

Wir haben zu wenige Betriebsgründungen. Wir haben zu wenige neue Stellenmeldungen. Die Investitionen sinken seit Jahren. Wir brauchen eine antizipierbare und verlässliche Wirtschaftspolitik. Wir müssen auf neue Förderung statt alter Subventionen setzen, in die Infrastruktur investieren, und Technologie zum Beispiel auch über staatliche Aufträge fördern. Die dürfen auch ruhig mal an Startups gehen. Wenn man das alles macht, dann hat Deutschland gute technologische Grundlagen, um wieder vorn mitzuspielen. Aber bisher passiert zu wenig.

Enzo Weber ist Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung.

Enzo Weber ist Leiter des Forschungsbereichs "Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen" am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung und Inhaber des Lehrstuhls für Empirische Wirtschaftsforschung.

(Foto: Michael Bode)

Das ist ein großes Projekt, das sich ganz offensichtlich nicht mal eben so umsetzen lässt. Die Autoindustrie ist eine Schlüsselindustrie mit knapp einer Million Beschäftigten in Deutschland. Sollte die Branche in dem Prozess deshalb speziell unterstützt werden?

Die Industrie ist insgesamt in der Krise, nicht nur die Autoindustrie. Ich würde deshalb empfehlen, eine Strategie für die gesamte Industrie zu verfolgen.

Also keine Sonderlocke für die Autoindustrie?

Was ich aufgezählt habe, ist, wenn man es entschieden angeht, schon eine ganz gehörige Locke - auch für die Autoindustrie.

Was raten Sie den Beschäftigten, die um ihre Jobs bangen?

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Die deutsche Wirtschaftsgeschichte hat gezeigt, dass Firmen es schon oft geschafft haben, bei Umbrüchen Beschäftigung zu sichern und ihre Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen weiterzuentwickeln. Darauf müssen wir diesmal wieder setzen. Wichtig ist die Beschäftigungssicherung plus Qualifizierung und Weiterentwicklung. Darauf müssen Beschäftigte und Betriebsräte drängen. Interne Maßnahmen alleine werden dabei aber nicht ausreichen. Jeder sollte sich die Frage nach seinen Kompetenzen stellen. Was kann ich, das ich auch für andere Anwendungen einsetzen kann? Zum Beispiel im Elektrobereich, im Energiebereich, im Maschinenbau-, Metall- oder Chemiebereich. Das sind Fähigkeiten, die wir auch in Zukunft dringend brauchen.

Mit Enzo Weber sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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