Wirtschaft

Turbulenzen an den Finanzmärkten "Wir haben alle noch die Lehman-Pleite in den Knochen"

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Erinnerungen an 2008 werden wach: Crédit-Suisse-Aktien brachen am 15. März um mehr als 30 Prozent ein. Auch andere europäische Banktitel stürzten ab.

(Foto: picture alliance/KEYSTONE)

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Das Bankenbeben ist in Europa angekommen. Ist das der gefürchteten Lehman-Moment 2.0? Ist das Geld der Bankkunden noch sicher? "Rational brennt nichts an", sagt der Chefanalyst der Baader Bank, Robert Halver, ntv.de. "Emotional" jedoch sei ein Dominoeffekt mit Bank Runs und Bankenpleiten nicht ausgeschlossen. Der "erste Keim des Misstrauens" müsse bekämpft werden. Halver sieht die Notenbanken in der Pflicht. Sie dürften die Zinsen nicht weiter erhöhen. "Den Luxus konsequenter Inflationsbekämpfung können wir uns nicht mehr leisten."

ntv.de: Nach den Bankenpleiten in den USA ist nun in Europa die Crédit Suisse unter Druck geraten. Das schürt noch einmal mehr die Ängste, dass die Bankenkrise aus den USA nach Europa schwappt. Ist das der gefürchtete Lehman-Moment 2.0?

Credit Suisse
Credit Suisse ,80

Robert Halver: Natürlich kann man das Ganze mit einem Dominostein-Effekt vergleichen. Wenn der erste Stein fällt, wie jetzt in den USA geschehen, dann muss man aufpassen, dass die Kette nicht Europa erreicht. Sonst steckt man im schlimmsten Fall in einer Lehman-Krise 2.0. Zwei Dinge sprechen aber dagegen: Erstens sind die europäischen Banken stabiler aufgestellt, deutlich stabiler als es 2008 der Fall gewesen ist. Zweitens, und das ist viel wichtiger: Die Notenbanken, egal ob Fed oder EZB, wären dumm, wenn sie noch einmal eine Liquiditätskrise der Banken zulassen würden. Das heißt, sie werden mit massiver Liquidität die Banken stabilisieren.

Wer oder was hat denn diese heftigen Turbulenzen am Finanzmarkt überhaupt ausgelöst?

Wir haben alle noch die Lehman-Pleite in den Knochen. Wenn irgendwo ein bisschen Rauch ist, ist die Angst groß, dass irgendwo ein Feuer ist. Viele Anleger gehen auf Nummer sicher und raus aus den Banken. Dadurch fehlt den Banken Geld. Diese Liquidität versuchen sie zu ersetzen, indem sie ihre Staatspapiere verkaufen. Das wiederum bläst wegen der deutlichen Kursverluste der Papiere die Verluste der Banken auf. Wenn die Bankbilanzen in eine Schieflage geraten, haben wir genau das, was wir 2008 gesehen haben, als die Lehman-Pleite die Finanzkrise eingeleitet hat. Lässt man ein erstes Bankenproblem, eine erste Banken- oder Liquiditätskrise laufen, dann ist unser Finanzsystem weltweit in Gefahr.


Gibt es überhaupt Parallelen zwischen den US-Banken und europäischen Banken und ihren Problemen, die die Angst vor einem Dominoeffekt rechtfertigen?

Nein, wir haben eine striktere Bankenaufsicht als die Amerikaner. Wir haben nach der Lehman-Pleite 2008 deutlich dazugelernt. Die Banken sind heute in viel besserer Verfassung. Rational brennt hier nichts an. Aber emotional, und das ist der entscheidende Punkt, muss man aufpassen, dass es nicht zu einer Welle von Bank Runs und einer internationalen Liquiditätskrise führt, obwohl die Banken eigentlich gut aufgestellt sind.

Wer trägt denn die Schuld an dieser Situation, haben die Banken und ihre Manager versagt?

Wenn man Schuldige sucht, wird man überall fündig: Die Bankenaufsicht in den USA ist natürlich nicht so strikt wie bei uns. Andererseits ist das Geschäftsmodell der Silicon Valley Bank in Amerika, jungen Unternehmern unter die Arme zu greifen, finanziell attraktiv gewesen. Schuld trifft auch die US-Notenbank. Die Fed hat eine der radikalsten Zinswenden nach oben seit den 70er Jahren vollzogen. So etwas tut weh. So schnell können das die Banken nicht verkraften.

Und die Regulierungsbehörden? Hätten die vielleicht mehr ein Auge auf die Banken in der Zinserhöhungsphase haben müssen?

Nein, überhaupt nicht. Banken sind dafür da, Risiken zu übernehmen. Überlegen Sie mal, wenn eine Baufinanzierung ansteht. Die wenigsten haben das komplette Eigenkapital dafür. Dafür muss die Bank bereitstehen und ins Risiko gehen, dass der Kreditnehmer möglicherweise ausfällt. Auch, wenn es um die Finanzierung von Unternehmen geht. Wir alle wollen Infrastrukturverbesserung, Klimaschutz. Hier lauern überall Risiken. Man kann Banken nicht kaputt regulieren. Wenn deutsche Banken nicht mehr ins Risiko gehen, dann gehen eben amerikanische Banken ins Risiko, die im Zweifelsfalle laxer reguliert werden.

Laut IFO-Chef Fuest birgt die Pleite der Silicon Valley Bank in den USA "auf jeden Fall" Gefahren für die Stabilität des globalen Finanzsystems. Es besteht also immer noch die Möglichkeit, dass die Situation eskaliert?

Grundsätzlich könnte sich 2008 wiederholen. Aber die Notenbanken werden das keinesfalls zulassen. Wenn Kunden Bargeld abheben wollen, werden die Währungshüter dafür sorgen, dass sie das machen können. Mich rufen Freunde, Bekannte und Familienmitglieder an, um mich zu fragen: "Ist mein Geld noch sicher?" So etwas muss frühzeitig bekämpft werden, weil das der erste Keim des Misstrauens ist, der gepflanzt wird und der nachher wie Unkraut wuchert. Die Notenbanken werden das zum einen mit ihrer schnellen Eingreiftruppe, mit ihrer Feuerwehr machen, also mit einem ganzen Löschzug ausrücken, um ein brennendes Streichholz zu löschen. Und zum anderen werden sie ihre Geldpolitik anpassen. Die Bekämpfung der Inflation durch starke Zinserhöhungen, die die Probleme ja noch verschlimmert haben, darf so nicht mehr stattfinden.

Sie haben die Emotionalität in der Situation angesprochen. Wie groß ist die Gefahr einer selbsterfüllenden Prophezeiung? In dem Fall würde statt einer Banken- eine Vertrauenskrise über die Finanzmärkte rollen. In der Konsequenz wäre es dasselbe, wenn wir Bank Runs und Pleiten sehen.

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Robert Halver, Leiter Kapitalmarktanalyse bei der Baader Bank

Wenn wir das zulassen, dass aus dieser kleinen Krise, einer kleinen Mücke ein riesiger Elefant wird, der die Konjunktur, Europa, die Finanzstabilität und das Vertrauen zertrampelt, dann hätten wir ein Problem. Aber genau das werden die Notenbanken nicht zulassen.

Was machen die Finanzmärkte aus dieser Gemengelage? Wir haben diese Woche extreme Ausreißer gesehen. Jetzt scheint sich die Lage beruhigt zu haben. Haben wir das Schlimmste hinter uns?

Ich gehe davon aus, dass die Notenbanken alle Möglichkeiten ergreifen, um das Ganze zu stabilisieren. Die Nervosität wird noch längere Zeit anhalten. Aber die Währungshüter werden das Schlimmste verhindern, weil es verhindert werden muss. Sonst sind unser Wirtschaftswachstum und unser Wohlstand kaputt.

Die Zinsentscheidungen der großen Notenbanken stehen gerade wieder an. Die Finanzmarktturbulenzen schüren Wetten auf eine Zinspause, vor allem in den USA. Die Fed hat noch eine Woche Zeit, über die Lage zu beraten. Werden die Währungshüter auf die Bremse treten bei ihren geplanten Zinserhöhungen?

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Wahrscheinlich wird die EZB die Zinsen zunächst weiter erhöhen, aber mit weniger Inbrunst, als das noch vor Kurzem geplant war. Sonst haben wir ein echtes Problem. Die Kunst wird darin bestehen, den Bürgern zu erklären, wie das jetzt alles zusammenpasst: vor Kurzem noch martialische Zinserhöhungen zur Inflationsbekämpfung angedroht und jetzt der kontrollierte Rückzug. Aber das kriegen die hin. Die Notenbanken können nicht mehr eine strikte Inflationsbekämpfungspolitik verfolgen, weil die Kollateralschäden zu groß sind. Das gilt auch für die Fed. Ich erwarte noch eine Zinserhöhung und dann wird man mit Blick auf eine sinkende Inflation - die ausdrücklich nicht befriedigend ist - sagen, wir sind auf dem richtigen Weg. Den Luxus konsequenter Inflationsbekämpfung können wir uns nicht mehr leisten.

Mit Robert Halver sprach Diana Dittmer

Quelle: ntv.de

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