DB Cargo spielt den Klimaretter "Wollen wir Autobahnen für mehr LKW ausbauen?"
09.06.2022, 18:44 Uhr
"Unser Konsumverhalten trägt leider dazu bei, dass wir eher mehr als weniger Verkehr auf den Straßen und auf der Schiene haben", sagt Sigrid Nikutta.
(Foto: IMAGO/Gottfried Czepluch)
Güter gehören auf die Schiene - sagen Politik, Wirtschaft, Verkehrsplaner und vor allem die Deutsche Bahn. Nicht zum ersten Mal, denn die Argumente liegen auf der Hand: Volle Schienen und leere Straßen sind gut für die Verkehrswende, den CO2-Ausstoß, die Klimaziele und die Nerven. Dennoch geht es nicht voran, seit vielen Jahren stagniert der Anteil der Schiene am Warentransport, bestätigt auch Sigrid Nikutta: Der gesamte Verkehrsmarkt wachse durch unseren Konsum, über lange Jahre sei es einfacher gewesen, auf LKW statt auf Züge zu setzen, erklärt die Vorstandsvorsitzende der DB Cargo im "Klima-Labor" von ntv. In naher Zukunft erwartet sie dennoch eine Trendwende - dank einer Gesellschaft, die ihren CO2-Fußabdruck nachhaltig reduzieren will.
ntv: Sie wollen als Vorstandschefin der DB Cargo den Güterverkehr auf der Schiene ausbauen. In den vergangenen Jahren ist der Anteil allerdings leicht zurückgegangen. Wie wollen Sie die Wende schaffen?
Sigrid Nikutta: Wenn wir über den Klimawandel reden, sind sich alle Expertinnen und Experten einig, dass der größte Hebel zur CO2-Reduktion im Verkehrsbereich der Transport von Waren ist. Wenn ich diesen Hebel bewegen möchte, gibt es eine Menge Themen, an denen noch geforscht wird, wie Wasserstoff-LKW, Elektromobilität und Ähnliches. Es gibt mit dem Schienengüterverkehr aber auch einen Hebel, der bereits seit mehr als 100 Jahren eingesetzt wird: Waren auf der umweltfreundlichen Schiene transportieren. Nach dem Zweiten Weltkrieg war das für 80 Prozent aller Waren der Fall. Dieser Wert ist über viele Jahre hinweg kontinuierlich gesunken auf einen Modal Split - das ist der Anteil der Schiene am Warentransport - von 18 bis 19 Prozent. Aber politisch ist das Ziel klar: 25 Prozent der Waren in Deutschland sollen auf der Schiene transportiert werden.
Zuletzt ging dieser Anteil aber wieder zurück. Zwischenzeitlich waren es nur noch 17,9 Prozent.
Der Anteil ist rund und eckig in den letzten zwei bis drei Jahren gleich geblieben, es sind immer diese 18 bis 19 Prozent - eine Herausforderung, weil wir trotz aller gesellschaftlichen Diskussionen immer mehr Waren transportieren und die Transportketten länger werden. Wenn wir diesen Anteil halten wollen, muss die Schiene also automatisch mitwachsen. Und zwar im Güter- und im Personenverkehr.
Die DB Cargo transportiert also schon deutlich mehr Güter auf der Schiene, aber unterm Strich wird es prozentual nicht mehr?
Genau, unterm Strich bleibt es prozentual gleich, weil der gesamte Kuchen wächst, der gesamte Verkehrsmarkt. Auch wenn wir uns alle eine lokale Produktion und kürzere Transportketten wünschen, trägt unser Konsumverhalten leider dazu bei, dass wir eher mehr als weniger Verkehr auf den Straßen und auf der Schiene haben.
Überraschend kommt diese Entwicklung aber nicht. Es ist ja deutlich einfacher, LKW auf die Straße zu bringen, als neue Züge zu bauen und neue Gleise zu verlegen. Wie wollen Sie das umkehren?
Das ist richtig. Es war über lange Jahre einfacher, auf LKW zu setzen. Die brauchen keine eigene Infrastruktur, sondern fahren auf den Straßen mit, auch wenn uns das alle ärgert und sie Staus verursachen. Aber bei dieser Entwicklung spielte die Belastung der Umwelt überhaupt keine Rolle, die Verschmutzung der Umwelt kostete über Jahrzehnte gar nichts. Von dieser Entwicklung wissen wir heute, dass sie - gelinde gesagt - suboptimal war. Jetzt steuern wir als Gesellschaft gegen. Das wird dazu führen, dass sich alle Unternehmen überlegen: Wie kann ich meinen CO2-Fußabdruck reduzieren? Die Transportkette ist einer der großen CO2-Emittenten.
Das bedeutet aber, dass Sie viel mehr Schienen, Züge, Waggons und Lokführer brauchen, um Ihren Anteil am Güterverkehr wirklich zu steigern.

Sigrid Nikutta steuert die DB Cargo seit Januar 2020. Zuvor war die Managerin von 2010 bis 2019 erste Chefin der Berliner Verkehrsbetriebe (BVG).
(Foto: picture alliance/dpa)
Selbstverständlich. Grundsätzlich haben wir in Deutschland aber schon ein gigantisches Schienennetz mit rund 35.000 Kilometern Länge und einer Infrastruktur, die in die Jahre gekommen, aber leistungsfähig ist. Derzeit wird das Schienennetz bereits modernisiert und erneuert. Der Ausbau ist ein längerfristiges Thema. Lokomotiven, Güterwagen und Ähnliches sind ebenfalls eine große Maßnahme, aber natürlich auch normales Business. Genau wie Kolleginnen und Kollegen zu finden, die diese Maschinen bedienen. Im Übrigen spielt uns dabei extrem in die Hände, dass die Deutsche Bahn AG eine gute Arbeitgeberin ist.
Diese Maßnahmen verfolgt die Deutsche Bahn aber schon seit vielen Jahren. Auch politisch gibt es diese Bekenntnisse schon sehr lange. Was stimmt Sie denn optimistisch, dass diese Vision jetzt tatsächlich in die Realität umgesetzt werden könnte? Vor allem bis 2030, das sind ja nur noch acht Jahre.
Wir sind in Deutschland an dem Punkt abgekommen, wo wir entscheiden müssen: Was wollen wir? Wollen wir die Autobahnen ausbauen, damit mehr LKW darauf fahren können?
Sie werden viele Menschen finden, die Ja sagen.
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Sie werden aber mehr Menschen finden, die sagen: Nein, lasst uns die bestehende Infrastruktur effizienter nutzen. Lasst uns das System Schiene effizienter nutzen. Das ist machbar, wenn man die Systeme kombiniert: Ein LKW holt einen Container in der Fabrik ab, fährt eine kleine Strecke, dann wird der Container auf die umweltfreundliche Schiene verladen. Das ist etwas anderes, als wenn ein LKW durchfährt. Und ein Zug kann bis zu 52 LKW ersetzen. Das heißt, auf der Schiene habe ich einen enormen Effekt sowohl für die Umwelt als auch beim Raumsparen und beim Stausparen.
Seit vielen Jahren liegt der Marktanteil der Schiene am Güterverkehr nahezu konstant bei 18 Prozent. Die Politik verlangt mehr: 2030 soll der Anteil bei 25 Prozent liegen - eine Steigerung um 40 Prozent. Ein realistisches Ziel? Interessenten sind vorhanden, Kapazitäten oftmals aber schon jetzt erschöpft. Die Bahn und ihre privaten Konkurrenten können viele Aufträge kaum abarbeiten. Neben einem Personal- und Fahrzeugmangel bei der DB Cargo wird dafür vor allem die DB Netz und das Baustellen-Management der Bahn verantwortlich gemacht. Fehlplanungen, die dazu führen, dass Güter teilweise von der umweltfreundlichen Bahn wieder auf den LKW wechseln müssen und der Anteil der DB Cargo am Güterverkehr seit vielen Jahren sinkt: von 79 Prozent im Jahr 2008 auf zuletzt weniger als 50 Prozent. Die Gütersparte der Bahn fährt seit Jahren Verluste ein.
Das macht das aber System auch sehr anfällig. Wenn ein LKW ausfällt, fällt ein LKW aus. Wenn ein Güterzug ausfällt, fallen 52 LKW aus.
Das macht aber auch gerade den grenzüberschreitenden Verkehr sehr viel widerstandsfähiger und Logistikströme sind nun mal international. Auf der Schiene brauche ich für einen Zug nur eine Lokführerin oder einen Lokführer, der oder die Pandemiebestimmungen oder was auch immer einhalten muss. Für 52 LKW brauche ich auch 52 Fahrerinnen oder Fahrer. Mein Lieblingsbeispiel ist gerade die Ukraine: Wir fahren mit unseren Zügen täglich bis tief in den Osten hinein. Vollkommen resilient, während die Situation an den Grenzen auf der Straße eher herausfordernd ist.
Ist der grenzüberschreitende Güterverkehr wirklich ein Vorteil? Manch einer sagt, es ist eher ein Nachteil, weil die Schienennetze innerhalb Europas nicht aufeinander abgestimmt sind und es auch immer wieder zu Schwierigkeiten an den Grenzen kommt. Gibt es da Pläne, die Zusammenarbeit zu verbessern?
60 Prozent meiner Güterzüge überqueren schon heute mindestens eine Grenze und das reibungslos. Auch die Schienenbreite ist im überwiegenden Teil von Europa identisch. Die Ukraine ist eine Ausnahme, weil wir dort Breitspurbahnen haben, aber auch dafür gibt es Lösungen. Wofür wir politisch eintreten, ist natürlich eine gewisse Harmonisierung und Vereinfachung der Regelwerke. Zum Beispiel muss eine Lokführerin, die nach Polen fährt, auf einem sehr ordentlichen Level Polnisch sprechen können. Das ist in anderen Branchen nicht so. Davon abgesehen haben wir auf der Schiene wirklich ein Europa.
Gemeint ist eine Recherche der Plattform "Investigate Europe" aus dem vergangenen November. Die hat den Titel: Entgleist - Wie EU Staaten den europäischen Bahnverkehr sabotieren. Darin wird zum Beispiel ein "Europa Express" erwähnt, der vergangenes Jahr als Werbe-Zug für das "Jahr der Schiene" alle EU-Staaten passieren sollte. Für diese Reise wurden 55 Lokomotiven verwendet, weil Gleise oder Signalsysteme nicht kompatibel waren. Jeder EU-Staat koche sein eigenes Süppchen und behindere die anderen, ist mehr oder der Vorwurf. Deswegen kommt man nicht voran.
Wie so oft bei solchen Recherchen gilt: Es ist was dran, aber es ist auch nicht richtig.
Was davon ist nicht richtig?
Natürlich wollte jedes Land, dass bei diesem Eurotrain die jeweilige Landeslok den Zug zieht, wenn er die eigene Grenze passiert. Auch wir haben gesagt: Wenn der Zug durch Deutschland fährt, wollen wir eine DB-Lok vorne haben.
Das spricht schon für ein großes Ego der einzelnen EU-Staaten bei diesem Thema.
Das war eine Demonstration, ein Symbol: Wir sind ein Europa und die DB ist ein Teil davon. Das finde ich auch sehr richtig. Wenn ein Symbolzug durch Europa fährt, gehört es dazu, dass jedes Land, durch das er fährt, seine Lok davorsetzen kann.
Sie sind also zuversichtlich, dass das funktionieren wird?
Im realen Leben funktioniert es ja schon.
Wie sieht es denn mit dem Ökostrom aus. Die Deutsche Bahn ist Deutschlands größter Stromverbraucher, aber gerade im Güterverkehr gibt es noch Nachholbedarf. Gibt es Pläne, selbst Ökostrom herzustellen?
Der ICE fährt mit 100 Prozent Ökostrom, das ist ein Kundenversprechen. Im Güterverkehr nutzen wir den Strom, der in dem Moment im Energiemix erhältlich ist. Aktuell sind es zu 61 Prozent Ökostrom. Unsere Kundinnen und Kunden haben aber die Möglichkeit, 100 Prozent Ökostrom einzukaufen, also eine komplett CO2-freie Transportkette zu erhalten. Das Ziel ist natürlich, den Anteil der Erneuerbaren zunehmend zu erhöhen. Dafür beteiligen wir uns an Windparks und Ähnlichem. Im Übrigen sind diese 61 Prozent Ökostrom, die wir im Schnitt verwenden, doppelt so viel, wie die deutschen Haushalte beziehen.
Aber selbst wollen Sie sich nicht an der Stromproduktion beteiligen?
Wir wollen unsere Beteiligungen ausbauen, aber wir sind kein Stromerzeuger, das muss man klar sagen.
Und langfristig kann die DB Cargo dann endlich profitabel sein?
Langfristig muss jedes Unternehmen profitabel sein. Wie schnell das geht, hängt davon ab, wie groß der Auftrag ist, Unternehmen auf die Schiene zu holen und Transporte auf der Schiene stattfinden zu lassen.
Mit Sigrid Nikutta sprachen sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch ist zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet worden.
Was hilft gegen den Klimawandel? "Klima-Labor "ist der Podcast, in dem ntv Ideen, Lösungen und Behauptungen auf Herz und Nieren prüft. Ist Deutschland ein Strombettler? Nein. Ist die Wärmepumpe zu teuer? Keinesfalls. Lohnt sich die energetische Sanierung? Unbedingt. CO2-Preise für Verbraucher? Unausweichlich. Klimakiller Kuh? Irreführend. Aufforsten im Süden? Verschärft Probleme.
Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed
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Quelle: ntv.de