Analyse von Walross-Elfenbein Wikinger-Nachfahren segelten bis in die Arktis
29.09.2024, 14:50 Uhr Artikel anhören
Nachgebautes Boot, wie es vermutlich von den Nordmännern auf Grönland für Walross-Elfenbein aus dem Nordwasser genutzt wurde.
(Foto: Greer Jarrett)
Walross-Elfenbein war im Mittelalter ein begehrtes Handelsgut. Bisher war unklar, woher die Händler das Material bezogen. Eine neue Analyse zeigt nun, dass nordische Siedler wohl bis in die nordamerikanische Arktis segelten, um die Tiere zu jagen.
Die Analyse von Gegenständen aus Walross-Elfenbein deutet darauf hin, dass mittelalterliche europäische Jäger weit hinein in arktische Gewässer segelten. Handel mit Inuit-Völkern betrieben die grönländischen Wikinger-Nachfahren zunächst wohl höchstens sporadisch, später womöglich regelmäßig, schließt ein Forschungsteam im Fachjournal "Science Advances".
Die frühen Handelsbeziehungen könnten eine Grundlage für spätere, umfassendere Netzwerke zwischen verschiedenen Kulturen und Regionen des arktischen Raums gewesen sein, vermuten die Forschenden um Emily Ruiz-Puerta von den Universitäten in Kopenhagen und Groningen. Zudem stelle die Begegnung zwischen europäischen Nordmännern und nordamerikanischen Ureinwohnern die erste Wiederverbindung der beiden großen Zweige nach der Ausbreitung des Menschen aus Afrika heraus im Pleistozän dar.
Als Erik der Rote kam
Die sogenannten Grænlendingar (isländisch für Grönländer) waren nordische Siedler, die sich ab dem Jahr 986 unter Führung von Erik dem Roten auf Grönland niederließen. Sie stammten von Island und hatten wikingische Vorfahren. Ihre Siedlungen bestanden rund 500 Jahre; im 15. Jahrhundert wurden sie aufgegeben.
Walross-Elfenbein war im mittelalterlichen Europa ein sehr begehrtes Handelsgut, wie es in der Studie heißt. Aus den Hauern der Tiere wurden Kunstschnitzereien und Verzierungen, aber auch edle Alltagsgegenstände wie Haarbürsten gefertigt. Die genauen Quellen für die Walross-Zähne seien aber bisher unklar gewesen, so das Team.
Die neue Analyse zeigt nun, dass während der mittelalterlichen Warmzeit von etwa 950 bis 1250 nach Christus nordische Siedler tief in die nordamerikanische Arktis gesegelt sein könnten, um Walrosse zu jagen. Grund war demnach, dass die ursprünglich genutzten regionalen Bestände etwa vor Norwegen und Island dezimiert wurden, teils bis zum Aussterben.
Wo lebten die erlegten Tiere?
Um die mittelalterliche "arktische Elfenbeinstraße" zu rekonstruieren, ordnete das Team 31 kulturelle Stücke aus Walross-Hauern chronologisch und analysierte sie genetisch. Die Daten wurden mit genetischen Profilen von Atlantischen Walrossen (Odobenus rosmarus rosmarus) verglichen, von denen bekannt ist, dass sie in der Zeit zwischen 900 und 1500 nach Christus in bestimmten Gebieten lebten.
Die Tiere hatten demnach in verschiedenen arktischen Jagdgebieten gelebt. Die Chronologie der Fundstücke weist laut dem Forschungsteam darauf hin, dass die Elfenbeinjäger weiter im Norden nach Walrossen suchten, als die europäische Nachfrage nach Elfenbein zunahm und nicht mehr durch regionale Populationen gedeckt werden konnte.
Etwa die Hälfte der Stücke stammt demnach aus einer Nordwasser (grönländisch: Pikialasorsuaq) genannten Region in der kanadischen Arktis, einer offenen Wasserfläche in der Davisstraße weit im Norden und Westen von Grönland. Walrosse sind dort ebenso wie Ringelrobben und bestimmte Walarten ganzjährig anzutreffen.
Monopol auf Elfenbein
Witterungsbedingungen sowie der Stand der Seefahrerfähigkeiten und Bootstechnik hätten es den grönländischen Siedlern wohl möglich gemacht, diese weit entfernten Bestände selbst auszubeuten, nehmen die Forschenden an. Darauf weise auch die Tatsache hin, dass genutzte Zwischenlager für Walross-Häute und -Zähne weit von bekannten Inuit-Siedlungsgebieten jener Zeit entfernt lagen.
Mehr Handel mit Inuit habe es aber womöglich in der Spätphase der Grönland-Siedler gegeben, als sich die Klimabedingungen wieder verschlechterten. Zwischen dem frühen 12. und der Mitte des 14. Jahrhunderts hätten die Nordmänner auf Grönland jedenfalls praktisch ein Monopol auf Elfenbeinlieferungen nach Europa gehabt.
Quelle: ntv.de, Annett Stein, dpa