Zwischen Anspruch und Realität Auch Winterverbände bangen
14.08.2012, 16:55 Uhr
Sotschi im Blick: Auch die deutschen Wintersportler werden sich bei den nächsten Spielen an den Zielvereinbarungen messen lassen müssen. Im Moment gilt: Wer viele Medaillen verspricht, bekommt mehr Geld.
(Foto: dpa)
Wer mehr Geld haben will, muss offensichtlich einfach die Ziele ein bisschen höher ansetzen. Nach den Sommerspielen, wo die Athleten mit unrealistischen Forderungen konfrontiert waren, könnte es so auch bei den Wintersportlern 2014 in Sotschi eine deutliche Diskrepanz zwischen Anspruch und Realität geben. Schon jetzt wird gehadert.
Auch für die Wintersportler könnten die kommenden Olympia-Ziele mit 40 Medaillen zu hoch gesteckt sein. "Wenn die Gesellschaft möchte, dass Deutschland dort vorne steht, dann müssen dafür auch die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen geschaffen werden", forderte der Präsident der Deutschen Eisschnelllauf-Gemeinschaft, Gerd Heinze.
Man solle überlegen, ob man den Wert, den der Sport für die Gesellschaft hat, so haben wolle oder nicht. "Wenn uns einer sagt, dass er das nicht mehr haben will, muss man sich nicht mehr am Leistungssport orientieren, dann kann man Breitensport machen." Sein Kollege Udo Dönsdorf von der Deutschen Eislauf-Union stellt fest: "Für den Spitzensport braucht man Geld." Ähnlich hatte sich der Sportphilosoph Gunter Gebauer vor den Londoner Spielen im Gespräch mit n-tv.de geäußert und beklagt, dass Spitzensport in Deutschland für viele Athleten ein Lebensrisiko bedeute.
Die Messlatte liegt hoch
Doch nicht die Gesellschaft, sondern Sportfachverbände zusammen mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) haben die Messlatte für die Winterspiele in anderthalb Jahren in Sotschi wieder hochgelegt: Bei den angestrebten 40 Medaillen soll 2014 gleich 17 Mal Gold dabei 2014 sein. Zehn Goldene waren es 2010 in Vancouver und schon damals vier weniger als zuvor als Ziel vereinbart. Ende September wollen Spitzenvertreter der Wintersportverbände bei einem Treffen die Probleme erörtern.
"Wenn ich mehr Förderung will, dann muss ich bei der Zielvereinbarung eher ein Ziel aufstellen, dass sehr ambitioniert ist", erklärte der Generalsekretär des stets medaillenträchtigen Bob- und Schlittenverbandes, Thomas Schwab. Wenn es gelinge, ein solches Ziel einigermaßen zu verfolgen, "genieße ich eine höhere Sportförderung". Für Rainer Nittel vom Curling-Verband geht dagegen darum, das Stück des Kuchens aufrechtzuerhalten.
Die anderen rüsten auf
Damit für die Sportler optimale Rahmenbedingungen geschaffen werden, "brauche ich ein bestimmtes Geld, das die kleinen Verbände nicht selbst erwirtschaften können", sagt DESG-Präsident Heinze. "Es gibt eine riesige Dankbarkeit auch gegenüber dem Bund, ohne dessen Unterstützung die bisherigen Erfolge überhaupt nicht möglich gewesen wären. Andererseits wächst der Wettbewerb. Wir sehen Vollzeitprogramme in China, in Korea und in anderen Ländern", sagt Curling-Leistungssport-Direktor Nittel.
Die Damen sorgten 2010 mit dem Gewinn des Weltmeister-Titels für Furore. In Sotschi sollen deshalb zwei Medaillen her, sogar einmal Gold soll dabei sein. "Das ist ein sehr ambitioniertes Ziel. Da ist ein größerer Kraftakt zu stemmen, aber das ist in der aktuellen Fördersituation nicht möglich. Die Erreichbarkeit ist nur bedingt gegeben", sagt Nittel.
"Der Verteilungsschlüssel passt nicht"
Schwab, dem vor allem die immensen Transportkosten für das sperrige Material Kopfzerbrechen bereiten, hat einen anderen Systemfehler ausgemacht. "Ich sage, der Verteilungsschlüssel passt im Moment nicht. Ich bin nur noch am rumknapsen. Ich schaue, wen ich zu Hause lassen kann." Seine einst gesetzten Ziele müsse er eigentlich sogar zurückkorrigieren. "Weil ich fördertechnisch nicht in dem Rahmen bin, den ich mir vorgestellt habe." Schwarz auf Weiß kann er es aber in den Zielvereinbarungen nachlesen: Für den Bob- und Schlittensport sind sechsmal Gold und insgesamt zwölf Medaillen ausgegeben.
"Es handelt sich hierbei um Ziele, auf die sich jeder einzelne Sportfachverband mit dem DOSB zu Beginn des olympischen Zyklus vor vier Jahren verständigt hat", hatte DOSB-Generalsekretär Michael Vesper nach Veröffentlichung der Ziel-Angaben vergangene Woche betont. "Dies als konkrete Medaillenplanwirtschaft zu interpretieren, wäre naiv und ginge an der Sachlage vorbei. Jeder, der sich im Sport auskennt, weiß, dass sich erfahrungsgemäß nur ein Teil der Jahre zuvor identifizieren Medaillenchancen realisieren lässt."
Bemerkenswert: Die Hauptbeteiligten, nämlich die Sportler, in deren Erfolg sich ja auch gut glänzen lässt, werden offensichtlich gar nicht gefragt. "Bis jetzt geht das ohne Athletensprecher", sagte DESG-Chef Heinze.
Quelle: ntv.de, dpa