Eiszeit zwischen Moskau und der EU "Wir wollen die Russen nicht belehren"
28.01.2014, 12:47 Uhr
Auf der Suche nach der richtigen Tonart: Kanzlerin Merkel mit Russlands Präsident Putin.
(Foto: REUTERS)
Es gäbe so viel zu besprechen, aber aufgrund der Spannungen wurde der EU-Russland-Gipfel auf drei Stunden gekürzt. Gernot Erler, der designierte Russland-Beauftragte der Bundesregierung, warnt im Interview mit n-tv.de davor, den Dialog mit Moskau abzubrechen.
n-tv.de: Herr Erler, Sie sollen noch in diesem Monat zum neuen Russland-Beauftragten der Bundesregierung ernannt werden. Ist das nicht ein denkbar ungünstiger Zeitpunkt, um gerade dieses Amt zu übernehmen?

Gernot Erler ist 69 Jahre alt und sitzt seit 1987 für die SPD im Bundestag.
(Foto: picture alliance / dpa)
Gernot Erler: Man kann sich das ja nicht aussuchen. Es ist eine schwierige Zeit. Aber ich werde ja nicht nur eine Zuständigkeit für Russland, sondern auch für Zentralasien und die Länder der östlichen Partnerschaft inklusive Ukraine haben.
Die Atmosphäre zwischen Russland und der EU wird in diesen Tagen häufig als vergiftet beschrieben. Beim EU-Russland-Gipfel wurde das Programm gekürzt, es gibt noch nicht mal ein gemeinsames Abendessen. Was für Signale sind das in der Sprache der Diplomaten?
In der EU gibt es zurzeit keine gute Stimmung gegenüber Russland. Das liegt vor allem an der Situation in Kiew. Zunächst gab es den politischen Druck, das EU-Assoziierungsabkommen nicht zu unterschreiben. Inzwischen kritisieren die Russen die EU für ihre Einmischung. Stattdessen sollten die die eigenen Möglichkeiten nutzen, um auf die ukrainische Führung einzuwirken, die ich in der Verantwortung für die Eskalation sehe.
Der Gipfel ist nur für eine Dauer von drei Stunden ausgelegt. Das ist nicht gerade viel Zeit, um die Meinungsunterschiede auszuräumen.
Das ist ja nur der Gipfel, unabhängig davon gibt es auch Konsultationen zwischen Russland und der EU, aber auch bilateral. Es gibt viele Möglichkeiten, mit der russischen Politik ins Gespräch zu kommen. Auf so einem Gipfel sollten eigentlich immer nur Ergebnisse besprochen und umgesetzt werden. Aber wegen der aktuellen Lage gibt es diesmal eben nicht so viele gipfelwürdige Punkte auf der Tagesordnung.
Ist es diplomatisch nicht an der Zeit für eine neue Russland-Politik?
Die Frage ist, in welche Richtung das gehen sollte. Es gibt das Bemühen Wladimir Putins, im Vorfeld der Olympischen Spiele in Sotschi sein Prestige zu verbessern. Das hat er gemacht durch die Amnestie für Michael Chodorkowski, die Pussy-Riot-Frauen und die 30 Greenpeace-Aktivisten. Aber jetzt hören wir von den Problemen bei der Bezahlung der Wanderarbeiter. Das ist ein Rückschlag und ich hoffe, die russische Führung merkt, dass es da Handlungsbedarf gibt.
Welche Tonart gegenüber der russischen Führung halten Sie für angemessen?
Meine Erfahrung in der Politik ist: Die Tonart hängt immer davon ab, was man erreichen will. Wenn man dauerhafte Dialogbrücken für richtig hält, dann muss man den Ton so wählen, dass diese Brücken nicht abgebrochen werden. Wenn man das riskieren möchte, ist es denkbar und vielleicht auch mal nützlich, die Tonart zu verschärfen. Aber ich denke sowohl in der Kiew-Frage als auch in anderen wie Syrien oder Iran ist es sinnvoll, eine Wortwahl zu finden, um den Dialog mit Russland aufrechtzuerhalten.
Ist "Wandel durch Annäherung", der klassische Slogan der SPD-Russlandpolitik, immer noch der zeitgemäß?
In dieser Frage geht es nicht um die SPD. Das ist eine Strategie, die erst eine deutsche war und dann eine europäische wurde. Es ging und geht darum, bestimmte Angebote an Russland zu machen, das gilt zum Beispiel für das große Paket der Modernisierungspartnerschaft. Nach unserer Beobachtung wird diese jedoch nicht so genutzt, wie das möglich wäre. Der Grundgedanke ist, gesellschaftlich dafür zu werben, europäische und deutsche Erfahrungen zu nutzen, etwa bei den Belangen einer aktiven und sich engagierenden Zivilgesellschaft. Die wichtigste Botschaft ist, dass es im russischen Interesse wäre, diese Modernisierung unter starker Mithilfe der europäischen Länder durchzuführen. Das gilt natürlich möglichst immer im Dialog, wir wollen die Russen nicht belehren.
Zu Ihrer Nominierung gab es viele skeptische Stimmen. Im Mittelpunkt steht der alte Vorwurf an die SPD, sie sei zu kremlfreundlich.
Ich habe das auch gelesen, aber diese Einteilung in Russlandkritiker und -versteher halte ich für überzogen. Es sollte darum gehen, die Motive der anderen Seite nachzuvollziehen. Das ist keine schlechte Grundlage, um festzulegen, in welchen Punkten man sich kritisch verhalten könnte und in welchen eher nicht. Deshalb sehe ich Kombinationsmöglichkeiten zwischen russlandfreundlich und -kritisch, und so werde ich mich auch verhalten.
Sie haben im vergangenen Jahr in der "Zeit" einen Aufsatz geschrieben mit dem Titel "Schluss mit dem Russland-Bashing". Geschieht Russland in der europäischen Wahrnehmung häufig Unrecht?
Ich habe in dem Text darauf hingewiesen, wie die russische Wahrnehmung ist. Das muss man nicht übernehmen, aber es gibt sie und sie ist politikrelevant. Es ist sinnvoll, zu verstehen, woher gewisse Einflüsse auf die russische Politik kommen. Aus der Sicht vieler Russen wurde die Schwäche des Landes von der Jelzin-Zeit bis heute häufig ausgenutzt. Dazu hat es gegen die Verabredung eine unbegrenzte Ausdehnung von EU und Nato Richtung Osten gegeben. Auch einige weltpolitische Entwicklungen wie die Selbstständigkeit des Kosovo oder die Raketenabwehr wurden gegen den Willen der russischen Regierung betrieben. Diese Punkte sind eine weitverbreitete Quelle für Frustration in der politischen Klasse in Russland, aber auch in Teilen der Öffentlichkeit.
Umfragen in Deutschland belegen eine stark ausgeprägte Russland-Skepsis. Wie angemessen ist das im Anbetracht dessen, was in Russland seit 2011 passiert ist?
Es gibt ganz objektiv Entwicklungen, die uns Sorgen machen und die wir auch bilateral ansprechen. Das gilt etwa für den Umgang mit der kritischen Zivilgesellschaft und der Opposition. Dass man dort versucht, Personen rechtlich ins Abseits zu drängen. Das sind Dinge, die ich mir anders erhofft habe. Es hätte ja nach der großen Protestbewegung von 2011 auch die Möglichkeit gegeben, einen geordneten und strukturierten Dialog mit der Opposition zu führen. Dass das nicht zustande kommt, liegt zum Teil aber auch an Verhältnissen in dieser Opposition. Nachdem sich der Kooperationsrat aufgelöst hat, ist es nicht so einfach, dort Gesprächspartner zu finden. Es gibt jedoch die Hoffnung, dass sich die Situation ändert. Dafür müssen wir abwarten, ob diese Geschichten mit Chodorkowski und Pussy Riot Eintagsfliegen sind oder ob dort vielleicht eine andere Politik möglich ist. Auf der anderen Seite muss man aber auch fair mit Russland umgehen.
Wie meinen Sie das?
Ich stelle fest, dass in der Berichterstattung zu Sotschi inzwischen nur noch vier ausschließlich kritische Themen vorkommen - nämlich Umweltzerstörung, Korruption, der Umgang mit Schwulen und die historische Frage des Schicksals der Tscherkessen? Das sind alles wichtige Punkte, aber ich finde, dass so ein Ereignis wie die Olympischen Spiele auch dazu führen sollte, dass man sich umfassend mit allen Facetten mit dem Leben eines solchen Gastlandes beschäftigt, und das geht natürlich über diese vier Punkte hinaus. In Russland wird es als unfair empfunden, dass immer nur die kritischen Themen angesprochen werden.
Mit Gernot Erler sprach Christian Rothenberg
Quelle: ntv.de