Kamele, Kirschtomaten und Rucola Zu Besuch im Westjordanland
26.12.2013, 11:54 Uhr
Straßenschilder im Westjordanland: Die Siedlungen sind auch innerhalb der israelischen Gesellschaft ein Zankapfel.
(Foto: REUTERS)
Die Politik? Uneins. Die Armee? Genervt. Die Bürokratie? Ein Chaos. Und mittendrin richten sich die Siedler bequem ein. Der israelische Autor Assaf Gavron bringt aus dem Westjordanland die absurde, politische, warmherzige Satire "Auf fremdem Land" mit.
Ein Ort, wo er ein bisschen Rucola und Tomaten für den Lieblingssalat seiner Frau Rachel anbauen und eine Ziege für die Kinder halten kann, das ist doch nicht zuviel verlangt. Findet jedenfalls Otniel Asis. Vielleicht auf dem Hügel da drüben. Wenn die Militärverwaltung die Genehmigung nur erteilt, wenn es sich um einen mandatarischen Plan handelt, dann soll es halt mandatarisch sein. Und wenn ein festes Haus auf diesem Gebiet, das teils dem arabischen Dorf gehört, teils in der militärischen Zone liegt, zu kompliziert für diese Bürokraten ist, dann tut es auch ein Wohnwagen.
Und wer ist schon Otniel, das er anderen Juden vorschreibt, wo sie leben sollen? Wie etwa Gabi Kupfer, dem Neuorthodoxen. Oder Gabis Bruder Roni, der verlorenen Seele. Weitere Familien kommen, Babys werden geboren, zwei Hunde und ein Kamel fangen an, sich heimisch zu fühlen und so blüht die illegale Siedlung im Schatten der Militärtürme und der beständigen Räumungsandrohung auf. Bald gibt es einen Kindergarten und eine Synagoge, aus Amerika fließen Spendengelder. Doch irgendwann haben die Behörden und das Militär endgültig genug von diesen selbstherrlichen Siedlern. Ausgerechnet an Purim, dem Maskeradefest, das an die drohende Vernichtung des jüdischen Volkes in Persien erinnert, kommt zu einem aberwitzigen Showdown.
Fremde, beängstigende Welt
Die nach internationalem Völkerrecht illegalen israelischen Siedlungen im Westjordanland sorgen nicht nur für Zwist zwischen der amerikanischen und der israelischen Regierung, für befremdete Schlagzeilen in der westlichen und Wut in der arabischen Welt - das Thema hat auch in Israel selbst zu einem tiefen Graben in der Bevölkerung geführt. Wozu diese Provokation, wozu der hohe militärische Aufwand, wozu immer noch mehr Siedlungen, sind nur einige der Fragen, die erbitterte Gegner an die Regierung und Befürworter aus dem rechten Spektrum haben. Die halten wiederum beharrlich mit den Sicherheitsinteressen des Staates entgegen. Doch so präsent das Thema in den Medien ist, so wenig wissen die meisten über die Lebensweise der Bewohner dieser Orte. Was ist der Antrieb der langbärtigen Männer, der Frauen in Jeansrock und Kopfbedeckung? Sind sie die neuen Pioniere, Nachkommen der legendären Kibbuzbewegung oder nur orthodoxe Spinner, die gerne wie Cowboys mit Waffen rumfuchteln? Einen Einblick in diese unbekannte Welt bietet nun der neue Roman von Assaf Gavron "Auf fremdem Land".

Demonstration jüdischer Siedler: Auch wenn solche Bilder in den Medien allgegenwärtig ist - die abgebildeten Menschen kennt kaum jemand.
(Foto: REUTERS)
"Für die meisten Israelis, so auch für mich, sind die nur wenige Kilometer von der Grenze entfernten Siedlungen fremder als jedes Ausland es sein könnte", sagt Gavron im Gespräch mit n-tv.de. Um sich ein eigenes Bild zu machen, hat sich der 1968 geborene Autor über einen Zeitraum von zwei Jahren immer wieder auf den Weg ins Westjordanland gemacht und dort verschiedene Siedlungen besucht. Ohne zunächst zu wissen, ob er überhaupt empfangen werden würde. "Aber sie waren alle sehr neugierig auf mich, den linken, säkulären Schriftsteller aus Tel Aviv, der nichts mit ihnen gemein hat. Und sie waren sehr offen, aus ihrer Sicht haben sie nichts zu verstecken." Nur in Samaria seien einige Leute einmal feindselig geworden und hätten ihn verjagt. In einer anderen Siedlung hätte man ihm dagegen für seine Aufenthalte sogar einen eigenen Raum gegeben - das Vorbild für Gabis Zimmer, das sich der Neuorthodoxe in der fiktiven Siedlung des Romans "Ma’aleh Chermesch 3" baut.
Länger als ein, zwei Tage am Stück sei er aber niemals im Westjordanland geblieben – zu stark sei seine Anspannung dort gewesen. "Es fühlt sich wirklich an, als ob man eine Grenze überschreitet. Man fährt durch die Dörfer und sieht die Moscheen, die Autokennzeichen ändern sich und viele Wagen haben schusssichere Scheiben." Das sei alles natürlich sehr spannend, aber eben auch beängstigend. Da hätte auch die wunderbare Natur, die Gavrons Romanfiguren unaufhörlich im biblischen Tonfall preisen, nicht geholfen. "Ich habe die Natur beschrieben, wie sie sie sehen. Aber ich glaube nicht an diese Verbundenheit mit ihr, die an diesen Orten beschwört wird. Der Gedanke, das Gott oder das Schicksal die Siedler dorthin geführt hat, ist mir fremd."
Geschrieben hat der Autor das Buch schließlich überwiegend während seines einjährigen Berlin-Aufenthaltes als DAAD-Stipendiat im Jahr 2010. "Das war ein glücklicher Zufall", freut sich Gavron noch immer. Der anstehende Ortswechsel habe ihn gezwungen, die Recherchen im Westjordanland abzuschließen, zudem könne nichts weiter entfernt von diesen Orten sein als Berlin, und dieser Abstand habe ihm sehr geholfen. Und nicht zuletzt sei es ein sehr intensives Jahr für seine ganze Familie gewesen: "Ich habe geschrieben und wir haben ein Berliner Baby gekriegt", lächelt der Autor.
Die Absurdität des Lebens

Assaf Gavron ist in Israel Bestsellerautor. Im Dezember bringt Gavron zudem als Sänger und Songwriter der israelischen Kultband "The Mouth and Foot" sein fünftes Album heraus.
(Foto: Philippe Matsas / Agence Opale)
Herausgekommen ist ein Buch, das nicht nur bemerkenswert unparteiisch, sondern auch besonders humorvoll ist. "Humor ist meine Waffe", meint der Autor schlicht dazu. Und setzt sie meisterhaft ein, etwa wenn eine linke Demonstrantin durch das Schwenken eines Transparentes mit der Aufschrift "Siedler nach Hause – Schluss mit der Gesetzlosigkeit der Stützpunkte" ihre Brüste so gut zur Geltung bringt, dass das nicht nur dem Gast der Siedlung, Roni, ins Auge fällt, sondern auch einem der älteren arabischen Dorfbewohner. Vom anerkennenden, verschwörerischen Zunicken bis zur geschäftlichen Kooperation in Sachen Olivenöl ist es da nur noch ein kleiner Schritt. In seiner Novelle habe er auch die vielen Schichten des Zusammenlebens zwischen Juden und Palästinensern im Westjordanland zeigen wollen, erklärt Gavron. "Es ist nicht alles falsch, was in den Nachrichten gezeigt wird, es gibt die Feindseligkeiten, die Gewalt. Aber Juden kaufen bei Palästinensern ein, es werden Geschäfte gemacht und Freundschaften geschlossen."
Wie in seinem Erfolgsroman "Ein schönes Attentat", der Geschichte eines palästinensischen Selbstmordattentäters, gelingt Assaf Gavron das Kunststück, mit jeder Menge Empathie hinter die Feindbilder zu schauen. Seine Siedler sind sympathisch, ihre Alltagssorgen gar nicht so weit entfernt von den eigenen. "Ich bin an Menschen interessiert", erklärt Gavron seinen Ansatz. "Auch wenn sie furchtbare Dinge tun, sagen oder denken, will ich immer wissen, woher das kommt, was sie bewegt." Er verteidige aber niemanden, ganz im Gegenteil, er lache über alle. Über Siedler, die Armee, die Politiker, die Orthodoxen, die Säkulären, die Shalom-Achschavniks (umgangsprachliches Hebräisch für Friedensaktivisten, Anm. der Redaktion). "Eigentlich kommt keiner gut davon. Vielleicht am ehesten noch die Palästinenser. Die stellen in diesem Buch eigentlich überhaupt kein Problem dar." In der Tat dreht sich "Auf fremdem Land" nicht um den israelisch-palästinensischen Konflikt, wie der Titel vermuten lässt, sondern zieht mit spitzer Feder die inner-israelischen Streitlinien nach.
Dass der Titel des Buches in Deutschland von übersetzt "Die Hügelspitze" in "Auf fremdem Land" geändert wurde, damit ist Gavron einverstanden. "In Israel weiß man, wer ich bin, man kennt meine politischen Einstellungen. Und die haben sich auch durch meine Aufenthalte im Westjordanland nicht geändert. Im Ausland könnte man das Buch jedoch ohne den einordnenden Titel als Verteidigungsschrift für die Siedlungen missverstehen." Zudem habe das Wort "Hagiv’a", die Hügelspitze, in Israel bereits eine doppelte Bedeutung, da damit allgemein die kleinen, illegalen Siedlungen bezeichnet würden. Ohne diesen Doppelsinn fände er den Titel eigentlich zu harmlos, auch wenn die englische Übersetzung nun doch "The Hilltop" hieße.
Das Buch wurde in Israel von den Rechten und Siedlern überrascht aufgenommen, das hatten sie nicht von ihm, dem bekennenden Linken und Gegner der Siedlungen erwartet, verrät Gavron. Nur die extreme Linke und die extremen Rechten hätten das Buch verurteilt, oft, ohne es gelesen zu haben. "Das Thema ist einfach ein rotes Tuch", meint der Autor dazu. "Ich treffe nicht nur in Israel auf eine Leserschaft, die schon eine Meinung zu dem Thema hat."
Gavron hat für "Auf fremdem Land" bereits den israelischen Bernsteinpreis gewonnen und steht auf der Longlist für den renommierten Sapir-Preis. Verdient. Denn er hat eine Arbeit übernommen, die eigentlich die Aufgabe der Journalisten und der Medien sein sollte. Er stellt seine eigene Meinung zurück und betrachtet wertfrei einen fremden Kosmos. Gleichzeitig funktioniert "Auf fremdem Land" auch abseits der politischen Ebene als Roman. Seine Romanfiguren sind spannend, man will ihre Vorgeschichte erfahren, um zu verstehen, wie sie auf dem Hügel gelandet sind. Gavron nimmt die Leser nicht nur in die Welt der Siedlungen, sondern auch in das Kibbuzleben der späten 70er Jahre, das turbulente Barleben Tel Avivs der 90er Jahre und den Börsenwahnsinn in New York der vergangenen fünf Jahre mit. Ein Ausflug, der sich lohnt.
Quelle: ntv.de