Rückkehr eines Phänomens Dead Can Dance sind auferstanden
08.08.2012, 11:32 Uhr
Duo Infernale: Lisa Gerrard und Brendan Perry alias Dead Can Dance.
(Foto: Jay Brooks / PIAS)
Sie sind nicht The Cure, Depeche Mode oder U2. Trotzdem haben Dead Can Dance eine enorm vielfältige Fangemeinde. So enorm, dass ihre bevorstehenden Konzerte in Deutschland ratzfatz ausverkauft waren. Doch erst einmal erscheint mit "Anastasis" ein neues Studioalbum der musikalischen Grenzgänger - das erste seit 16 Jahren.
Es gibt sie mittlerweile seit mehr als 30 Jahren. Ihre Wurzeln liegen tief im Alternative. Weit fernab des Mainstreams sind sie stets geblieben. Und dennoch haben sie eine Anhängerschar, die heterogener kaum sein könnte. Wenn sie demnächst hierzulande auf Tournee gehen werden, wird ihnen ein kunterbunt gemischtes Publikum andächtig lauschen. Auch wenn einige Zuhörer ganz sicher nicht bunt gekleidet sein werden.
Nein, die Rede ist nicht etwa von Depeche Mode, The Cure oder gar U2. Vergleichbare Megastars sind Dead Can Dance nie gewesen oder geworden. Lisa Gerrard und Brendan Perry, die seit jeher das Mastermind-Duo hinter der Formation bilden, gehören zu den stillen Stars - ohne herausragende Charts-Erfolge, ohne größere mediale Beachtung, ohne riesige Marketing-Maschine im Rücken, aber dennoch mit einer beachtlichen und treuen Fangemeinde. Ihre fünf Deutschland-Konzerte, die sie im Oktober in Hallen wie der Kölner Philharmonie oder dem Hamburger Congress Center geben werden, sind pickepacke ausverkauft. Und das seit Monaten.
1981 in Australien gegründet, veröffentlichten Dead Can Dance drei Jahre später ihr selbstbetiteltes Debütalbum. Nicht irgendwo, sondern mit 4AD bei einer Plattenfirma, die Indie-Enthusiasten mit der Zunge schnalzen lässt. Schließlich brachte es das Label auch mit Bands wie Bauhaus, Clan Of Xymox, den Cocteau Twins oder Pixies zu Kultstatus.
Der Tod steht ihnen gut
Es mag am damaligen Zeitgeist gelegen haben. Auch der Name der Formation tat wohl sein Übriges, denn ob Death In June, Play Dead oder Christian Death - der Tod als Marke stand damals in bestimmten Kreisen allen Gruppen gut. Und in der Tat hatte und hat die Musik ja auch ein reichlich dunkles und mystisches Flair. So kam es, dass Dead Can Dance alsbald der Dark-Wave- und Gothic-Szene zugerechnet wurden. Und bis heute wiegen sich Düsterrocker älteren wie jüngeren Semesters noch immer gern zu ihren ätherischen Klängen.
Dabei haben die beiden inzwischen über 50-jährigen Bandleader Gerrard und Perry rein optisch so gar nichts mit ihren schwarz gewandeten Jüngern gemein. Sie, die Blondine in hippiehaften Walle-Walle-Kleidern. Er, der gealterte Herr mit grauem Bart, Glatze und (gelegentlich) Brille, den bei einer Straßenumfrage viele vermutlich eher für den Vorsitzenden einer sozialdemokratischen Partei als für einen Multiinstrumentalisten halten würden.
Doch - aller Mystik und Düsternis zum Trotz - auch musikalisch fielen Dead Can Dance seit jeher durch jedwedes Raster. Statt wie viele andere Bands in den 80ern ihre Inspiration vornehmlich aus Punk und New Wave zu saugen, machten sich Gerrard und Perry weltweit auf die Suche nach zusätzlichen Einflüssen. Sie fanden sie in der Klassik ebenso wie in der mittelalterlichen Choralmusik und dem Folk höchst unterschiedlicher Kulturen - ob in Europa, Afrika oder Asien.
Kein Wunder also, dass viele der Gruppe inzwischen auch das Etikett "Weltmusik" umhängen. Das passt zwar in der landläufigen Lesart genauso wenig wie die Gothic-Rock-Schublade, lässt allerdings auch so manchen Liebhaber andersartiger Klänge im Ethno-Look zu Dead Can Dance pilgern. Kommen dann noch die grau melierten Klassik-Freunde sowie die stinknormalen Liebhaber anspruchsvoller Popmusik hinzu, ist das Fan-Sammelsurium der Gruppe perfekt.
Zurück in die Zukunft
Worauf sich die, die eine Karte für eines der Konzerte im Oktober ergattert haben, freuen dürfen, sind Songs aus dem neuen Album "Anastasis". Das erscheint am 10. August 2012 und ist das erste Studiowerk der Formation seit sage und schreibe 16 Jahren. Es sei "ein klassisches Dead Can Dance-Album" geworden, urteilt die Plattenfirma, "das aber nicht in die Nostalgiefalle tappt, sondern modern und zeitlos klingt, als hätte sich die Band gerade erst formiert".
Ganz falsch ist das nicht. Zumindest solange man den Begriff "modern" bei den von Dead Can Dance erschaffenen Klanggebilden für angebracht hält. Das Wörtchen "klassisch" trifft es aber schon besser. Auch und gerade, weil "Anastasis" eher den Bogen zurück zu früheren Werken des Duos schlägt, als an den bis dato letzten gemeinsamen Longplayer "Spiritchaser" von 1996 anzuknüpfen. Damals unternahmen Gerrard und Perry nach ihrer langen musikalischen Reise quer über die Kontinente einen doch ziemlich ausgiebigen Aufenthalt in Afrika. Gleichwohl klangen sie auf "Spiritchaser" auch poppiger als je zuvor.
Die lediglich acht Songs auf "Anastasis" bauen hingegen wieder eher auf arabisch-orientalischen, keltischen und choralen Klängen auf. Sie sind elegisch, finster und bombastisch. Vom Aufmacher "Children Of The Sun" bis zu "Kiko" in der Album-Mitte lullt einen jedes Stück auf seine ganz eigene Art und Weise fast schon bis in Trance ein. Erst mit "Opium" und "Return Of The She-King" klart das Werk ein wenig auf, ehe "All In A Good Time" einen sanft hinausgeleitet.
Das große Netz
Wenn man "lediglich acht Songs" sagt, führt das womöglich zu der irrigen Annahme, der CD-Käufer und Hörer bekäme für sein Geld und seine Aufmerksamkeit nicht viel geboten. Deshalb sollte man anstatt von Songs vielleicht eher von Symphonien sprechen, die entweder von der sonoren Stimme Perrys oder dem lautmalerischen Fantasiegesang Gerrards begleitet werden. Nur bei "Return Of The She-King" treten die beiden gemeinsam ans Mikrofon - Sinnbild für die Klimax, die dieses Stück auf dem Album bildet. Hier verbindet sich so ziemlich alles, was Dead Can Dance ausmacht. Dudelsack-Klänge und Marsch-Trommeln verweben sich mit Streichern und Chorgesang zu einem Epos von cineastischer Größe. Dass sich Gerrard in den vergangenen Jahren vielfach auch mit dem Schreiben von Filmmusik beschäftigt hat und für ihre Mitarbeit am Soundtrack zu "Gladiator" sogar einen Golden Globe erhielt, kann da kaum noch verwundern.
Doch egal, um welches Stück des neuen Albums von Dead Can Dance es sich dreht: Auf ihre unnachahmliche Art spinnen Gerrard und Perry jedes einzelne von ihnen zu einem unglaublich intensiven, dichten und einnehmenden Klanggeflecht zusammen. Am Ende entsteht daraus das große Netz, das sich "Anastasis" nennt und in dem man sich als Zuhörer zwangsläufig verfangen muss.
Obwohl - es soll tatsächlich auch Menschen geben, die mit dem Klang-Kosmos von Dead Can Dance so gar nichts anfangen können. Ob Sie dazugehören, lässt sich leicht testen: Versuchen Sie mal das Album nebenbei zu hören - beim Putzen, Kochen oder Autowaschen. Schaffen Sie das, ohne Ihre Arbeit zu unterbrechen, weil Sie einfach nur noch zuhören wollen, sind Sie mit hoher Wahrscheinlichkeit immun. Für alle anderen indes gibt es kaum ein Entrinnen. Mit "Anastasis" ist Dead Can Dance nicht nur die "Auferstehung", die der griechische Albumtitel verheißt, geglückt, sondern - wieder einmal - ein Meisterwerk.
Dead Can Dance befinden sich im Oktober 2012 in Deutschland auf Tournee (alle Konzerte sind ausverkauft): Frankfurt am Main (01.10.), Berlin (03.10.), Hamburg (05.10.), München (07.10.), Köln (08.10.)
Quelle: ntv.de