Profiler bei der Arbeit Der tägliche Blick in den Abgrund
22.01.2014, 11:37 Uhr
Roger L. Depue und Robert R. Hazelwood besprechen eine Tat.
(Foto: Real Fiction Filmverleih)
Manchmal gibt es für das Böse einfach keine Erklärung, doch forensische Psychologen und Profiler suchen sie dennoch. Um schreckliche Verbrechen aufzuklären, begeben sie sich tief in die Gedankenwelt von Serienmördern und Vergewaltigern - und bleiben selbst nicht unberührt.
Seit Jodie Foster als FBI-Agentenanwärterin Clarice Starling in "Das Schweigen der Lämmer" einen gefürchteten Serienmörder gefasst hat, sind Profiler anerkanntes Personal im Krimi-Betrieb. Allerdings machen forensische Psychologen und Psychiater auch bei realen Verbrechen einen nicht zu unterschätzenden Teil der Ermittlungsarbeit.
Sie rekonstruieren bei schrecklichen Taten Verläufe und Motive, erstellen Persönlichkeitsprofile und dringen tief in die Gedankenwelt jener Menschen ein, die zu beinah unvorstellbaren Grausamkeiten fähig sind. In ihrem Dokumentarfilm "Blick in den Abgrund" versucht die österreichische Filmemacherin Barbara Eder, die Menschen hinter diesen Jobs sichtbar zu machen.
Jeder hat seinen eigenen Weg
Sechs Frauen und Männer aus Finnland, den USA, Deutschland und Südafrika haben als Verhaltens- oder Verkehrspsychologen begonnen und sich aus verschiedenen Zufällen dann der Psyche von Mördern und Vergewaltigern zugewandt. "Freude und Glück hat man bei dieser Arbeit selten", sagt beispielweise die finnische Profilerin Helinä Häkkänen-Nyholm. Sie bearbeitet gerade einen Fall, in dem ein Frau nicht nur umgebracht, sondern anschließend auch noch in einen Keller geschleppt und mit zahlreichen Stichen rund um die Augen malträtiert wurde. Häkkänen-Nyholm sucht Antworten auf die Frage, wer diese Tat warum verübt haben könnte.
Ihr südafrikanischer Kollege Gérard N. Labuschagne muss zu einem Leichenfundort auf einem offenen Feld. Während er einen Blick auf die bereits skelettierten Opfer wirft, entlädt sich ein Unwetter. Labuschagne übernahm seine Abteilung, die Investigative Psychology Section, bei der Polizei in Johannesburg vor elf Jahren. Da war er selbst erst 29 Jahre alt, aber seine Vorgängerin hatte den Job nicht mehr ausgehalten. Seitdem hat er in mehr als 100 Serienmorden und über 200 Serienvergewaltigungen ermittelt. Nach außen gibt er sich von Kindesmisshandlungen, Sexualmorden, rituellen Tötungen und Stalkingfällen unbeeindruckt, doch später wird man im Film sehen, dass er 24 Stunden am Tag eine Waffe trägt und in einem Haus lebt, das wie ein Hochsicherheitstrakt gesichert ist.
Eder sagt über die Profiler ihres Films: "Jeden Tag damit beschäftigt zu sein, das ist sehr hart." Keiner der Profiling-Experten bleibt von den Folgen seiner Arbeit unberührt. Selbst die alten Hasen Roger L. Depue und Robert R. Hazelwood, die Jonathan Demme einst die Vorlage für "Das Schweigen der Lämmer" lieferten und noch immer als Berater bei abnormen und gewalttätigen Verhaltensmustern arbeiten, raten zur Beachtung einiger wichtiger Hinweise. Dazu gehört unter anderem, nicht neben Kleinbussen zu parken, weil dies bevorzugte Entführungsautos seien.
Besessenheit und Unverständnis
Helen Louise Morrison interviewt seit fast 40 Jahren Serienmörder, weil sie überzeugt ist, dass es ein Gen gibt, dass sie alle gemeinsam haben. Doch bevor sie nach den Gefängnisbesuchen wieder nach Hause fährt, muss sie zunächst wieder bei sich selbst ankommen. In den Hotels, in denen sie übernachtet, schaut sie unter alle Betten und kontrolliert das Badezimmer. Fast meint man den Impuls zu sehen, dass sie gern noch eine Kommode vor die Tür schieben würde.
Deutschland ist mit Düsseldorfer Kriminalhauptkommissar Stephan Harbort vertreten. Auch Harbort hat in vielen Justizvollzugsanstalten und psychiatrischen Krankenhäusern mit verurteilten Serienmördern gesprochen. Im Film ist eines dieser Gespräche zu sehen. Der überführte Vergewaltiger und Mehrfachmörder erweist sich als dicker freundlicher Sitzriese, der Harborts Nachfragen verwundert zur Kenntnis zu nehmen scheint. Die Opfer habe er nach dem "Klack klack" ihrer Schuhe ausgewählt und zu seinen Gewaltfantasien habe die Tötung immer dazugehört. "Tot ist gut." Harbort, der Fahndungsmethoden zur Ergreifung von Serientätern entwickelt hat, stellt das Aufnahmegerät aus.
Eder verzichtet auf jeden Kommentartext und auf Interviewpassagen mit ihren Protagonisten, die Begegnungen und Beobachtungen fügen sich einfach zusammen. Dem beruflichen Alltag mit seinen Tatortfotos und Tatvideos stellt die Regisseurin private Momente wie ein Familienessen oder den Saunabesuch mit dem Lebensgefährten gegenüber. Der ein wenig sensationsheischende Titel täuscht über die Sensibilität von Eders Annäherung an ihre Protagonisten, sie vermeidet jede Effekthascherei und lässt stattdessen Raum für Nachdenklichkeit.
"Blick in den Abgrund" läuft ab 23. Januar in den Kinos.
Quelle: ntv.de