Kino

F(anatisch), B(esessen), I(ntrigant) "J. Edgar" zerlegt Hoover

Hätten Sie ihn erkannt? Leonardo DiCaprio als gealterter John Edgar Hoover.

Hätten Sie ihn erkannt? Leonardo DiCaprio als gealterter John Edgar Hoover.

(Foto: Warner Bros. Entertainment)

Zugegeben: Die Überschrift täuscht ein wenig. Denn das Bild, das Regisseur Clint Eastwood in seiner Biografie "J. Edgar" über den FBI-Gründer John Edgar Hoover zeichnet, ist wesentlich facettenreicher. Ein großer Film mit einem übergroßen Leonardo DiCaprio - in allen Alterslagen.

Der Respekt vor nationalen Symbolfiguren in den USA ist gewaltig. Und so dauert es meist ein paar Jahrzehnte, bis Hollywood sich daran wagt, ihre Geschichten im Film aufzuarbeiten. Zwischen dem Attentat auf John F. Kennedy 1963 und dem umstrittenen Verschwörungs-Thriller "JFK - Tatort Dallas" beispielsweise lagen 28 Jahre. Genauso lange dauerte es, bis das Leben des 1976 verstorbenen Flugpioniers Howard Hughes in "The Aviator" erzählt wurde. Und nur wenig schneller ging es mit 27 Jahren im Falle des 1965 ermordeten Bürgerrechtlers Malcolm X.

Auch den jungen FBI-Chef verkörpert DiCaprio brillant.

Auch den jungen FBI-Chef verkörpert DiCaprio brillant.

(Foto: Warner Bros. Entertainment)

Ist die Zeit gekommen, obliegt es in der Regel den Koryphäen der Branche, sich des Themas anzunehmen: "JFK" - Oliver Stone, "The Aviator" - Martin Scorsese, "Malcolm X" - Spike Lee. So gesehen, passt "J. Edgar" in dieses Schema wie die Faust aufs Auge. Kein Geringerer als Clint Eastwood führte Regie, produzierte  und schrieb sogar die Filmmusik. Und der berühmt-berüchtigte FBI-Gründer J. Edgar Hoover, um den sich der Streifen dreht, ist sogar seit bereits knapp 40 Jahren tot - am 2. Mai 1972 schied er aus dem Leben.

Keine Frage: Der zeitliche Abstand tut der cineastischen Betrachtung gut. Selten zuvor wurde das so deutlich wie im Falle "J. Edgar". Eastwood und seinem Drehbuchautor Dustin Lance Black, der bereits die Vorlage zu Gus van Sants Filmbiografie über den schwulen Bürgerrechtler Harvey Milk geliefert hat, ist mit dem Streifen ein eindringliches Porträt Hoovers gelungen. "Entweder ist er der Held der Nation, dem wir in puncto Schutz und Sicherheit alles verdanken, oder er ist ein hinterlistiger Schurke, der das Land terrorisierte", umschreibt Black die gängigen Wahrnehmungsmuster des FBI-Gründers. In der Überzeugung, dass die Wahrheit irgendwo dazwischen liegen muss, stellen er und Eastwood dem eine schillernde und facettenreiche Betrachtung des über Jahrzehnte womöglich mächtigsten Mannes der USA entgegen. Stockkonservativ, machtbesessen und skrupellos auf der einen, pflichtneurotisch, ängstlich und verletzlich auf der anderen Seite. Das ist es, wie Hoover gezeichnet wird. Und - wenig  verklausuliert - als verklemmter Homosexueller.

DiCaprio oscarverdächtig

Dabei macht die Auseinandersetzung an der Person Hoovers nicht halt. Kann sie angesichts von Amtszeit und Einfluss des Mannes, der in seiner knapp 50-jährigen Karriere als FBI-Direktor acht Präsidenten überlebt hat, auch gar nicht. Und so wirft "J. Edgar" ebenso ein Schlaglicht auf die Schattenseiten der US-amerikanischen Geschichte im vergangenen Jahrhundert an sich - von Kommunistenhatz bis Rassismus.

Produzierte, komponierte und führte Regie: Clint Eastwood.

Produzierte, komponierte und führte Regie: Clint Eastwood.

(Foto: Warner Bros. Entertainment)

Wie in "The Aviator" verkörpert auch in "J. Edgar" Leonardo DiCaprio die Hauptfigur - von dessen jungen Jahren bis ins hohe Alter und zum Tod. Über "Titanic", sein auch mit 37 Jahren noch währendes Bubi-Image und seine wechselnden Affären mit den Topmodels dieser Welt neigt man gelegentlich zu vergessen, was für ein großartiger Schauspieler DiCaprio ist. Und so ist es nicht nur den mutmaßlich in Heerscharen zum Einsatz gekommenen Make-up-Spezialisten zu verdanken, dass man ihm den FBI-Gründer in jeder Lebensphase vollends abnimmt. Dreimal war DiCaprio bereits für den Oscar nominiert. Diesmal könnte er ihn tatsächlich bekommen. Zu Recht.

Doch auch sonst stimmt in "J. Edgar" so gut wie alles - von der stets zeitgemäß stilsicheren Ausstattung und Garderobe über die von Eastwood maßgeschneiderte Filmmusik bis hin zu den sanften Sepia-Tönen, in denen die Farben des Streifens der Ära angemessen getaucht sind. Von den weiteren Darstellern mal ganz zu schweigen: Naomi Watts als Hoovers treu ergebene Sekretärin Helen Gandy, Armie Hammer als seine rechte Hand und - womöglich - Liebhaber Clyde Tolson oder aber Judie Dench als seine überdominante Mutter.

Das Haar in der Suppe

"J. Edgar" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.

"J. Edgar" läuft ab sofort in den deutschen Kinos.

Wollte man unbedingt ein Haar in der Suppe von "J. Edgar" finden, dann wäre dies womöglich der nicht chronologische Aufbau des Streifens. Als roter Faden zieht sich die Szene durch, in der der gealterte Hoover, der seine Laufbahn 1917 im US-Justizministerium begann, seine Memoiren diktiert. Dazwischen springt die Handlung allerdings immer wieder zwischen den verschiedenen Lebens- und Karriereabschnitten der Hauptfigur hin und her. Allzu entspanntes Popcorn-Kino sollte da niemand erwarten.

Wer sich jedoch wissbegierig ins Kino stürzt, wird nicht enttäuscht. Orientiert an bestimmten Fixpunkten - von der Einführung moderner kriminalistischer Methoden durch Hoover bis hin zu den Ermittlungen zur Entführung des Sohnes von Luftfahrt-Legende Charles Lindbergh - wird der Auf- und Ausbau des "Federal Bureau of Investigation" zur mächtigen Schaltzentrale in den USA im Zeitraffer auf der Leinwand lebendig. So mächtig, dass Hoover mit den von ihm angelegten "Geheimdossiers" selbst die wechselnden Präsidenten des Landes stets in der Hand hatte.

Wenn am Ende im Kino das Licht angeht, hat man tatsächlich das Gefühl, ein Stück hinter die Fassade des bis heute geheimnisumwobenen Mannes gekommen zu sein. Oder aber man wittert seine finale Demontage. So wie die etwa, die in den USA weniger gegen die Darstellung der zwielichtigen Machenschaften Hoovers, die schon kurz nach seinem Tod mehr und mehr in Verruf gerieten, Sturm laufen als gegen die Anspielungen auf seine mögliche Homosexualität. So oder so - natürlich ist "J. Edgar" nur der Versuch einer filmischen Annäherung an den Mythos des FBI-Gründers. Aber ein verdammt guter.

"J. Edgar" startet am 19. Januar in den deutschen Kinos.

Quelle: ntv.de

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