Nach Tötung dementer Frau92-Jähriger bekommt Bewährungsstrafe

"Ich konnte sie nicht mehr leiden sehen", sagt er vor Gericht. Der 92-jährige Ehemann, der seine pflegebedürftige Frau mit einer Decke erstickt hat, wird nun wegen Totschlags zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Es ist ein außergewöhnlicher Fall, da sind sich alle Beteiligten sicher.
Etwa ein Jahr nach der Tötung seiner schwer kranken Frau ist der 92 Jahre alte Ehemann zu einer Haftstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. Die Strafe wegen Totschlags werde zur Bewährung ausgesetzt, sagte der Vorsitzende Richter am Landgericht Würzburg, Hans Brückner. Das Urteil gegen den Deutschen ist noch nicht rechtskräftig.
Der Angeklagte hatte gestanden, am 3. November 2019 seine demente und schwer kranke Frau mit einer Decke erstickt zu haben. Das Paar aus dem bayerischen Gemünden am Main war fast 70 Jahre verheiratet und hatte keine Kinder. Er bereue die Tat. Er habe die 91-Jährige jahrelang nahezu alleine zu Hause gepflegt und sei überfordert gewesen. "Im Laufe dieser Pflegezeit konnte ich meine Frau nicht mehr leiden sehen und musste sie irgendwie befreien von der Demenz und von allen Schwierigkeiten", sagte er. "Ich habe die Kontrolle wahrscheinlich verloren gehabt. Ich konnte nicht anders handeln."
Zu dieser Zeit sei der 92-Jährige schwer depressiv und vermindert schuldfähig gewesen, erklärt Psychiaterin Susanne Eberlein dem Gericht. "Er hat Tag und Nacht für sie da sein müssen." Ihre Inkontinenz habe ihm massiv zugesetzt. "Er hat kein Licht am Ende des Tunnels gesehen." Die bevorstehende Kurzzeitpflege seiner Frau habe ihn verunsichert, beiden wollten nie in ein Heim. Weil der Mann keine lebenswerte Zukunft mehr für seine Frau und sich erwartet habe, habe er sie getötet. Ein anschließender Suizidversuch misslang.
Staatsanwalt ringt um Worte
"Der Angeklagte hat sich über Wochen, Jahre liebevoll gekümmert um seine Frau", sagt Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach. "Dem kann man schon Respekt zollen. Der Angeklagte hat sehr, sehr viel geleistet." Der Jurist ist sichtlich bemüht, die richtigen Worte zu finden und vor allem einen angemessenen Strafantrag für einen Mann zu stellen, den viele Zeugen als zupackend, fürsorglich und aufopfernd beschreiben. "Wir haben einen ungewöhnlichen Fall vor der Kammer", sagt Seebach. Doch auch die besondere Situation des Paares - sie krank, er ausgelaugt, beide wollen eigentlich gemeinsam sterben - gebe dem 92-Jährigen nicht das Recht, jemanden zu töten.
"Es gibt ein Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das Bundesverfassungsgericht hat es vor kurzem ausdrücklich anerkannt", sagt CSU-Justizminister Georg Eisenreich der "Bild"-Zeitung. "Das heißt aber: Der Sterbewillige muss die Entscheidung selbst treffen." Auch Verteidiger Norman Jacob sieht das so. "Es ist tatsächlich schwierig", sagt er. Hier stelle sich die Frage nach Sinn und Zweck einer Strafe besonders. "Jede Freiheitsstrafe würde für meinen Mandanten lebenslänglich bedeuten."
"So darf das eben nicht enden"
Oberstaatsanwalt Seebach hält dem Angeklagten vor, dass seine schwindende Lebenskraft auch selbstverschuldet gewesen sei, weil er keine Hilfe annehmen wollte, wie es vielleicht erforderlich gewesen wäre. "So darf das eben nicht enden", auch wenn der Rentner "aus Fürsorge und Liebe und aus guten Motiven heraus gehandelt" habe. Seebach plädiert schließlich auf zwei Jahre und neun Monate Haft wegen Totschlags in einem minderschweren Fall.
Verteidiger Jacob sieht Totschlag ebenfalls gegeben, will eine Freiheitsstrafe aber ausgesetzt zur Bewährung sehen. Die Kammer findet einen Mittelweg. "Rechtlich war das Verhalten des Angeklagten als Totschlag zu werten", sagt der Vorsitzende Richter Hans Brückner. Doch "zulasten konnte die Kammer im Hinblick auf das Verhalten des Angeklagten keine Gesichtspunkte erkennen". Das Urteil sollte aber nicht als Freibrief für Nachahmungstäter verstanden werden. "Es ist sicher ein außergewöhnlicher Fall."