Panorama

"Uns gab es nur im Doppelpack" 92-Jähriger tötet seine demente Frau

Der Angeklagte (l.) sitzt neben seinem Anwalt im Landgericht Würzburg. Er soll seine Frau aus Mitleid getötet haben.

Der Angeklagte (l.) sitzt neben seinem Anwalt im Landgericht Würzburg. Er soll seine Frau aus Mitleid getötet haben.

(Foto: dpa)

Ein Mann aus Unterfranken gesteht, seine Frau nach 70 gemeinsamen Ehejahren mit einer Decke erstickt zu haben. Sein Verteidiger sieht dahinter eine Verzweiflungstat, schließlich habe der 92-Jährige rund um die Uhr die Pflege seiner schwer kranken Gattin übernommen.

Jahrzehntelang kümmert sich ein Mann jenseits der 80 nahezu allein um seine demente Frau. Kinder hat das Paar keine. Unterstützung kommt nur zweimal in der Woche von einer Sozialstation. Ende 2019 ist der zupackend wirkende Rentner aus dem unterfränkischen Gemünden am Main nach eigener Aussage körperlich und seelisch am Ende. Nach fast 70 Jahren Ehe soll die schwer kranke 91-Jährige in ein Heim, weil die Rundumbetreuung ihn auslaugt - doch der 92-Jährige ist verzweifelt und will sich nicht von der Liebe seines Lebens trennen.

So fasst der offensichtlich hoffnungslose Mann einen weitreichenden Entschluss. Am 3. November 2019 nahm der Angeklagte laut Staatsanwaltschaft eine Decke, drückte sie seiner Frau ins Gesicht und erstickte sie. Auch die Anklage geht davon aus, dass der 92-Jährige aus Aussichtslosigkeit handelte - weil er mit seiner Frau kein gemeinsames Leben in Gesundheit und Selbstbestimmung führen konnte. Ein anschließender Suizidversuch scheiterte. Seit Dienstag muss sich der Mann aus Gemünden (Landkreis Main-Spessart) vor dem Landgericht Würzburg wegen Totschlags verantworten, "ohne ein Mörder zu sein", wie Oberstaatsanwalt Thorsten Seebach sagt.

Geboren 1928, Jugend im Zweiten Weltkrieg, Flucht, Rückkehr nach Hause, Lehre, später ein eigenes Geschäft für Malerbedarf - das Schwurgericht blickt auf ein bewegtes Leben des Angeklagten zurück. "Meine Frau und ich waren 70 Jahre glücklich verheiratet", zitiert der Verteidiger seinen Mandanten. "Uns gab es nur im Doppelpack." Doch mit den Schwierigkeiten der häuslichen Pflege eines schwer kranken Menschen sei die Lebenslust und -kraft beider geschwunden.

"Habe ihm geglaubt, dass er erschöpft ist"

Rat und Nothilfe bei Suizid-Gefahr und Depressionen
  • Bei Suizidgefahr: Notruf 112
  • Deutschlandweites Info-Telefon Depression, kostenfrei: 0800 33 44 5 33

  • Beratung in Krisensituationen: Telefonseelsorge (0800/111-0-111 oder 0800/111-0-222, Anruf kostenfrei) oder Kinder- und Jugendtelefon (Tel.: 0800/111-0-333 oder 116-111)
  • Bei der Deutschen Depressionshilfe sind regionale Krisendienste und Kliniken zu finden, zudem Tipps für Betroffene und Angehörige.
  • In der Deutschen Depressionsliga engagieren sich Betroffene und Angehörige. Dort gibt es auch eine E-Mail-Beratung für Depressive.
  • Eine Übersicht über Selbsthilfegruppen zur Depression bieten die örtlichen Kontaktstellen (KISS).

Hilflos, überfordert - die Polizisten, die den Rentner nach der Tat finden, berichten dem Gericht von einem offensichtlich gebrochenen Menschen. "Ich fand einen völlig verzweifelten, erschöpften und lebensmüden Mann vor mir", sagt ein Beamter. Der Angeklagte habe noch in der Wanne gesagt: "Ich kann meine Frau nicht mehr versorgen. Es geht nicht mehr. Wir wollen nicht mehr leben." Irgendwie habe er in diesem Moment sogar Verständnis für den 92-Jährigen gehabt. "Ich habe ihm das geglaubt, dass er völlig fertig und erschöpft ist."

Die meisten pflegebedürftigen Menschen werden in Deutschland daheim betreut, von Pflegekräften und Angehörigen. Für 2020 geht der Verband für häusliche Betreuung und Pflege (VHBP) von rund vier Millionen Pflegebedürftigen aus. Mehr als drei Millionen leben zu Hause. Ausgebildete Pflegekräfte fehlen an allen Ecken und Enden. Bei einem Viertel der Haushalte sind Angehörige mehr als sieben Stunden mit der Pflege beschäftigt - besonders zeitaufwendig ist es bei Menschen mit hohen Pflegegraden und Demenz, wie jüngst eine Umfrage im Auftrag des Wissenschaftlichen Instituts der Allgemeinen Ortskrankenkassen ergab. Laut der Deutschen Stiftung Patientenschutz legt die Studie den Finger in die Wunde, dass die zeitliche, psychische und physische Hauptlast allein bei pflegenden Angehörigen bleibt.

Hausarzt bestätigt liebevolle Beziehung

"Ich habe mich in all den Jahren bestmöglich um meine Frau gekümmert", verliest der Verteidiger eine Erklärung seines Mandanten. Dieser habe nicht aus Eigennutz oder Feindseligkeit gehandelt, sondern aus Liebe. "Ich habe ihn als rüstigen Rentner erlebt, der sich sehr liebevoll und viel um die Ehefrau gekümmert hat", bestätigt der langjährige Hausarzt des Paares. Die Frau habe über viele Jahre hinweg körperlich und geistig abgebaut.

Der Pflegeaufwand sei zuletzt sehr hoch gewesen. Einkaufen, Haushalt, Garten, den Partner anziehen, Körperpflege und vieles mehr: "Ich habe gemerkt, dass das alles sehr viel für ihn war", erzählt der Mediziner. Von gemeinsamen Suizidplänen der Eheleute habe er nichts gewusst. Die Anklage vermutet, dass der Deutsche seine Frau aus Aussichtslosigkeit erstickte, weil er mit ihr kein gemeinsames Leben in Gesundheit und Selbstbestimmung mehr führen konnte. Oberstaatsanwalt Seebach vermutet eine schwere depressive Verstimmung hinter der Tat und geht von einer verminderten Schuldfähigkeit aus. Das Urteil könnte am Donnerstag gesprochen werden.

Quelle: ntv.de, ysc/dpa

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