Panorama

Kleinmachnow im Sommerloch Als Löwin gesprungen, als Wildschwein gelandet

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Auch gefährlich, aber anders: Wildschweine in Kleinmachnow.

Auch gefährlich, aber anders: Wildschweine in Kleinmachnow.

(Foto: REUTERS)

Die Menschen in Berlin und Umgebung sind in Aufruhr. Internationale Medien berichten. Eine Löwin soll im Süden der Hauptstadt ihr Unwesen treiben. Dutzende Einsatzkräfte sind auf der Suche, werden aber nicht fündig. Einen Tag später löst sich die Geschichte im Nichts auf. Oder?

Hakuna Matata! Das mysteriöse Tier bei Kleinmachnow ist doch keine gefährliche Löwin. Es ist vermutlich einfach ein Wildschwein mit Bedürfnissen. Ein heimischer Allesfresser, der sich einfach des Nachts am Baum schubbert. Und dabei von arglistigen Menschen gefilmt wird. Der borstige Paarhufer fristet sein Dasein im heimischen Brandenburger Wald und wird dabei unnötigerweise von Suchtrupps aufgescheucht. Dutzende Zweibeiner, zum Teil bewaffnet, die durchs Unterholz wandern und am Ende ernüchtert, wahrscheinlich aber auch erleichtert verkünden können: keine Löwin nirgendwo.

Als Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert um kurz nach 13 Uhr an diesem Freitag vor die Fernsehkameras tritt, hat die Nachricht über die vermeintliche Löwin, die von der Polizei im Süden Berlins gesucht wird, längst auch internationale Medien wie den "Guardian" oder CNN erreicht. Am Donnerstagmorgen hatte sich ein kurzer Videoclip rasend schnell verbreitet. Darauf zu sehen: irgendein Tier hinter Büschen, vor einem Baum. Einer Löwin augenscheinlich zum Verwechseln ähnlich.

Besorgte Bürger hatten das Video gegen Mitternacht aufgenommen und der Polizei zugespielt. Die hatte umgehend reagiert und am Morgen eine Warnung ausgesprochen, die über Medien und Katastrophen-Apps verbreitet wurde. Anwohner sollten im Süden von Berlin nicht im Wald joggen oder spazieren gehen, Kitakinder durften nicht im Freien spielen. Dutzende Polizistinnen und Polizisten kamen nach Kleinmachnow, gingen anderthalb Tage lang Hinweisen nach Sichtungen und nächtlichem "Löwengebrüll" nach, suchten mit Hubschraubern, Drohnen und Wärmebildkameras Waldstücke ab.

Veterinärmediziner, Stadtjäger, Suchhunde, ein gepanzertes Spezialfahrzeug namens "Survivor" ... der Einsatz wirkte seriös und umfangreich. Mehrfach wurden Sichtungen der Raubkatze verkündet. In Zehlendorf. In Kleinmachnow. Wobei sich einige Hinweise als Spaßanrufe entpuppten. Erfahrene Polizeibeamte, hieß es, hätten die Echtheit des nächtlichen Videos und die Vermutung, es könnte sich um eine Löwin handeln, bestätigt.

Experten äußern früh Zweifel

Doch bis auf den unscharfen und bei schlechten Lichtverhältnissen gedrehten Clip gab es keine Indizien. Ein mutmaßlich erlegtes Wildschwein wurde nie gefunden. Es gab keine Pfotenabdrücke, keine Blutspuren. Als sich die Meldung von der Raubkatze bereits wie ein Lauffeuer verbreitete, meldeten erste Tierexperten Zweifel an. Sie glaubten nicht zu sehen, was andere sehen. War das Tier nicht vielleicht ein großer Hund? Oder ein Kalb? Doch Zweifel wurden durch wiederkehrende angebliche Sichtungen, auch von Einsatzkräften, immer wieder ausgeräumt. Es wurde Nacht, die Ungewissheit blieb. Am Morgen lief die Suche weiter. Ergebnislos.

Im Interview mit ntv.de sagte Berlins Wildtierexperte Derk Ehlert, er erkenne auf dem Video eher zwei Wildschweine, ein dunkles und ein helles. "Sie zeigen auch ein klassisches Verhalten in dem Video", führte der Fachmann aus. "Sie grubbern, das machen Schweine, das ist arttypisch. Sie schubbern sich am Baum, das sieht man auch. Und ein zweites Tier geht weiter nach hinten und dann hört man sie rufen und laut schreien, quieken. Das ist ein ganz typisches Verhalten für diese Jahreszeit. Das wissen wir Berliner und Brandenburger nur zu gut, denn wir leben mit diesen Tieren seit vielen Jahren."

Es dauert mehr als 30 Stunden, bis diese Erkenntnis auch bei den Behörden ankommt und öffentlich kundgetan wird. "Ich würde meine Hand dafür aufs Feuer legen, aber nicht ins Feuer", sagt Bürgermeister Grubert bei der Pressekonferenz am frühen Freitagnachmittag. Noch einmal rund 60 Einsatzkräfte hätten heute Vormittag ein Waldstück systematisch durchkämmt und am Ende lediglich eine Wildschweinfamilie aufgescheucht.

Er selbst habe bereits am Donnerstag Drohnenaufnahmen gesichtet und müsse schon sagen: So ein Wildschwein könne überraschend helles Fell haben. Zwei Experten der Firma Cybertracker hätte den kurzen Videoclip noch einmal ausgewertet und unabhängig voneinander zu Protokoll gegeben: Das ist keine Löwin, sondern mit ziemlicher Sicherheit ein Wildschwein. Es gebe also keine akute Gefährdungslage. Die Suche wird daraufhin eingestellt, die Polizei verrichtet wieder normal ihren Dienst - allerdings noch immer mit erhöhter Aufmerksamkeit, sollten sich noch einmal Hinweise ergeben.

Die Berliner Polizei twittert ihrerseits, die Maßnahmen würden eingestellt. Das Bezirksamt Steglitz-Zehlendorf teilt mit, "dass trotz intensiver Suche mit modernster Technik und Suchhunden in den letzten 24h keine belastbaren Hinweise auf die tatsächliche Anwesenheit einer Raubkatze erbracht wurden." Schöner kann man es nicht ausdrücken.

Eine Sommerloch-Geschichte, wie sie im Buche steht

Diesmal schwimmt kein vermeintliches Krokodil durch einen Teich, sondern ein als Löwin getarntes Wildschwein lebt sein Leben. Eine Sommerloch-Geschichte, wie sie im Buche steht. Mit dieser heiteren Pointe könnte es jetzt enden. Doch so manchem stellen sich noch Fragen: Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Hätte die Polizei nicht früher Fachleute nach einer Auswertung des kurzen Videoschnipsels fragen müssen? War die ganze Aufregung für die Steuerzahlenden nicht viel zu teuer?

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Kleinmachnows Bürgermeister Michael Grubert wird bei der Pressekonferenz mehrmals nach der Sinnhaftigkeit des Einsatzes gefragt. Er würde wieder ganz genau so handeln, wenn es nochmal einen ähnlichen Fall gebe, sagt der SPD-Politiker. Der Einsatzleiter der Brandenburger Polizei, Peter Foitzik, pflichtet ihm bei. Alles habe im "Rahmen der Verhältnismäßigkeit" gelegen. Eine Aufstellung der Kosten liefern sie nicht. Astronomisch hoch dürften sie ohnehin nicht sein.

Am Ende wollte wohl kein Entscheidungsträger in Berlin und Brandenburg schuld daran sein, wenn doch ein Passant von einem Raubtier zerfleischt wird. Verständlich. Übervorsichtig? Vielleicht. Laut Grubert wertet das Leibniz-Institut übrigens noch eine Haar- und Kotprobe vom Aufnahmeort des Clips aus. Das Ergebnis soll morgen Vormittag vorliegen. Dann gibt es endgültige Gewissheit. Bis dahin hält aber wohl niemand mehr den Atem an. Außer vielleicht die Wildschweine rund um Berlin, die endlich wieder "arttypisch" leben wollen - fern von Sorgen.

Quelle: ntv.de

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