Globale Krisen belasten Psyche Depressive Symptome bei Kindern bessern sich nur langsam
04.12.2024, 16:50 Uhr Artikel anhören
32 Prozent der Kinder und Jugendlichen gaben an, in den sozialen Medien oft belastende Inhalte zu sehen.
(Foto: picture alliance / ROBIN UTRECHT)
Klimawandel, Kriege, Pandemien: Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen wird durch eine Vielzahl an globalen Krisen erheblich beeinträchtigt. In einer neu veröffentlichten Studie beklagt jeder fünfte Minderjährige eine gesunkene Lebensqualität.
Wie steht es in Zeiten von globalen Krisen um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland? Und wie hat sich das Lagebild seit dem Ende der Corona-Pandemie entwickelt? Dies herauszufinden, ist das Ziel der Copsy-Studie (Corona und Psyche) des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, deren neueste Ergebnisse vorgestellt wurden.
Laut der Erhebung gab jeder fünfte Befragte (21 Prozent) zwischen im Alter 7 und 22 Jahren im Herbst 2024 an, dass seine Lebensqualität gesunken sei. 22 Prozent berichteten von psychischen Auffälligkeiten, 23 Prozent von Angstsymptomen. Zwar waren die Zahlen nach dem Ende der Corona-Krise im Frühjahr 2023 zunächst leicht gesunken, doch mit dem Ausbruch des Nahostkrieges im Herbst des gleichen Jahres wieder gestiegen. Der erhoffte Trend in Richtung Vor-Pandemie-Niveau hat sich also nicht fortgesetzt. Damals hatten rund 15 Prozent der Mädchen und Jungen von einer geminderten gesundheitsbezogenen Lebensqualität gesprochen.
Ob Ukraine oder Naher Osten: Krieg ist das globale Thema, um das sich die meisten Kinder und Jugendlichen Sorgen machen. Im Oktober 2024 gaben 72 Prozent an, Angst vor Terrorismus und bewaffneten Konflikten zu haben. Gleich danach kommen wirtschaftliche Sorgen mit 62 Prozent und Klimaangst mit 57 Prozent.
All diese Sorgen führen laut Anne Kaman vom UKE Hamburg zu "krisenbezogenen Zukunftsängsten unter Kindern und Jugendlichen". Heranwachsende, die unter diesen Ängsten leiden, hätten ein bis zu dreimal höheres Risiko, psychische Auffälligkeiten und depressive Symptome zu entwickeln.
Einsamkeit hat zugenommen
Nicht hilfreich sei zudem, dass Kinder und Jugendliche derzeit soziale Medien sehr stark nutzen - teilweise sogar noch stärker als während der Corona-Zeit. "40 Prozent der Kinder nutzen das mehr als vier Stunden", sagte Kaman.
So bekämen sie einerseits Nachrichten aus der Welt relativ ungefiltert, andererseits erführen sie eher Ausgrenzung und Mobbing. Viele Kinder fühlten sich deshalb zunehmend alleine. "Die berichtete Einsamkeit hat zugenommen - also sich alleine zu fühlen mit seinen Sorgen oder auch mit sich selbst. Das ist extrem gestiegen von 14 auf 21 Prozent."
Als besondere Risikogruppe gelten Kinder aus Familien mit niedrigem sozialem Status. Geringe Bildung der Eltern, Migrationshintergrund, wenig Geld, beengte Wohnverhältnisse - hier gebe es ein zwei- bis dreifach erhöhtes Risiko für psychische Krankheiten, sagte Ulrike Ravens-Sieberer, die Leiterin der UKE-Forschungsgruppe.
Im Umkehrschluss zeigte sich bei den Befragungen auch: "Wenn die Kinder aber etwas haben, das sie schützt, dann verringert das dieses Risiko um das Fünf- bis Zehnfache. Das ist natürlich schon enorm." Kinder, die sich daheim geliebt fühlten, Zeit mit ihren Eltern verbrächten und einen Tagesablauf mit Struktur erlebten, seien besser vor Sorgen und Ängsten geschützt.
Niedrigschwellige Hilfe in den Schulen nötig
Weil jedoch nicht alle Kinder diesen Luxus daheim hätten, brauche es Unterstützung in den Schulen, sagte Ravens-Sieberer. "Wir würden immer dafür plädieren, einen niedrigschwelligen und auch flächendeckenden Präventions- und Gesundheitsförderungsansatz zu haben. Und da ist natürlich, wenn ich das so sagen darf, die Schule der ideale Ort." Denn hier könnten alle Kinder, aus jeder sozialen Schicht, über eine lange Zeit erreicht werden.
In Skandinavien gebe es beispielsweise einen Schulpsychologen auf 500 Schüler. Das sollte ein Vorbild für Deutschland sein. Zwar gebe es unter anderem bereits ein deutschlandweites Projekt mit rund 100 Mental-Coaches. Ziel sollte aber eine Ansprechperson an jeder Schule sein.
Eltern sollten beim Medienkonsum Vorbilder sein
Weitere Ansätze für eine bessere psychische Gesundheit der Kinder und Jugendlichen sind Ravens-Sieberer zufolge weniger Handy- und Medienzeit sowie Regeln und das Erlernen von mehr Kompetenz im Umgang damit. Da seien auch die Eltern als Vorbilder in der Pflicht: "Wenn die Eltern am Esstisch das Handy nicht weglegen können, kann ich nicht erwarten, dass die Kinder das machen."
Für die sechste und siebte Welle der repräsentativen Längsschnittstudie wurden 2023 und 2024 deutschlandweit jeweils rund 1500 Familien aus allen Schichten der Gesellschaft online befragt, einige von ihnen bereits zum wiederholten Male seit Beginn der Corona-Pandemie.
Die Copsy-Studie sei in Deutschland einzigartig und wichtig - auch für Gesellschaft und Politik, sagte Marcel Romanos, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie am Universitätsklinikum Würzburg.
Weil jedoch die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ihr Befinden oder das ihrer Kinder selbst einschätzten, seien solche Befragungen nicht ausreichend - auch wenn sie wichtige Hinweise lieferten, betonte Julian Schmitz, Leiter der Psychotherapeutischen Hochschulambulanz für Kinder und Jugendliche an der Universität Leipzig, der Wochenzeitung "Die Zeit". "Man muss bei einer repräsentativen Gruppe von Kindern und Jugendlichen eine richtige klinische Diagnostik machen."
Quelle: ntv.de, apr/dpa