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Jeder Dritte betroffen Einsamkeit droht bei vielen chronisch zu werden

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Der Anteil der Jüngeren, die sich ab und an einsam fühlen, ist deutlich höher als der aller Befragten.

Der Anteil der Jüngeren, die sich ab und an einsam fühlen, ist deutlich höher als der aller Befragten.

(Foto: imago)

Neue Zahlen zeigen: In der Coronazeit sind viele Menschen in Deutschland vereinsamt. Jüngere betrifft das sogar noch mehr als Ältere. Das Phänomen birgt sozialen Sprengstoff.

Jeder dritte Mensch in Deutschland zwischen 18 und 53 Jahren fühlt sich zumindest teilweise einsam. Zu diesem Ergebnis kommen neue Analysen des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB), die auf verschiedenen repräsentativen Befragungen basieren. Demnach beantworteten 36,4 Prozent der Befragten entsprechende Fragen mindestens mit "teils/teils" oder "trifft mehr oder weniger zu". 17 Prozent der befragten Personen werden vom BiB-Team sogar als sehr einsam eingestuft. 2013 lag der Prozentsatz der einsamen Menschen noch bei 14,5 Prozent.

Dabei ist Einsamkeit den Befragungsergebnissen zufolge nicht nur bei älteren Menschen, sondern seit der Pandemie auch bei jüngeren Erwachsenen unter 30 Jahren weitverbreitet. Unter den 19- bis 29-Jährigen gaben demnach sogar 44 Prozent an, öfter von Einsamkeit betroffen zu sein. FReDA-Studienleiter und Forschungsdirektor am BiB Martin Bujard führt das unter anderem auf Erfahrungen während der Corona-Pandemie zurück.

Viele Jüngere, die während der Pandemie am Ende ihrer Schulzeit, im Studium oder in der Ausbildung waren, hätten in dieser Zeit gelernt, sich zurückzuziehen. Das habe ihr Verhalten möglicherweise dauerhaft verändert. "Menschen, die während der Pandemiemaßnahmen vielleicht 30 oder 40 oder 50 waren, hatten ein gewisses Muster, wie sie Kontakte pflegen, wo und wie sie kommunizieren." In diese Muster hätten diese Altersgruppen nach der Pandemie wieder zurückkehren können. Jüngere haben jedoch weiterhin weniger Sozialkontakte oder eher virtuelle Kontakte. Man müsse in Zukunft beobachten, ob diese Entwicklung chronisch wird. Das müssten die Zahlen der nächsten Jahre zeigen.

Eindeutige Risikofaktoren

Das Expertenteam unterscheidet in den Erhebungen zwischen emotionaler Einsamkeit, die laut Mitautorin Sabine Diabaté dadurch entsteht, dass eine vertraute Person fehlt, also eine sehr enge Freundschaft oder auch eine Partnerschaft. Soziale Einsamkeit hingegen beruhe eher auf dem Fehlen eines größeren Netzwerks, zum Beispiel durch Freundschaften, Kolleginnen und Kollegen, Verwandte oder Nachbarn.

Um zu vermeiden, dass Menschen aus Angst vor Stigmatisierung Einsamkeitsgefühle leugnen oder geringer bewerten, wurde die Zustimmung zu Aussagen wie "Ich fühle eine allgemeine Leere" oder "Wie oft haben Sie das Gefühl, dass Ihnen die Gesellschaft anderer fehlt?" abgefragt. "Wir wollen natürlich möglichst ehrliche Antworten bekommen", so Diabaté. "Deswegen versuchen wir, uns dem Phänomen mittelbar zu nähern."

Als Risikofaktoren für höhere Einsamkeitswerte machte die BiB-Forschungsgruppe mehrere Faktoren aus: weibliches Geschlecht, keine Berufstätigkeit, Alleinleben ohne weitere Erwachsene im Haushalt und eingeschränkte Gesundheit. Andererseits gebe es auch Schutzfaktoren, wie höhere Bildung, relativ gutes Auskommen mit dem Einkommen, deutsche Staatsbürgerschaft und tägliche Internetnutzung.

Bei der Vorstellung der Ergebnisse verwies die Soziologin Diabaté auf die sehr komplexen Folgen von Einsamkeit. Sie erzeuge nicht nur sozialen Stress, sondern könne sogar körperliche Schmerzen auslösen und krank machen. Bei einsamen Menschen funktioniere die Immunabwehr nicht mehr so gut. "Man hat ein höheres Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, für Schlaganfälle."

Zunehmend gesellschaftliches Problem

Überdies werde Einsamkeit aber auch zunehmend zum gesellschaftlichen Problem, weil einsame Personen "empfänglicher werden für politische oder religiöse Radikalisierung, für autoritäres Gedankengut". Einsamkeit schade also auch dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und schließlich und endlich der Demokratie.

In diesem Zusammenhang forderte Bujard mehr niedrigschwellige Angebote für einsamer werdende Menschen. Es könne auch in Kitas, Schulen, Arztpraxen oder bei der Arbeitsagentur Kurse oder Möglichkeiten zum sozialen Austausch geben. Bei jungen Menschen werde immer über Bildung gesprochen, "unglaublich wichtig sind bei Jugendlichen in den Schulen aber auch Klassenfahrten und Ausflüge". Bei Veranstaltungen, auf denen man sich in Präsenz austauscht, passiere emotionale Entwicklung. "Das muss man einfach viel bewusster machen. Und da können alle, die in solchen Institutionen arbeiten, etwas beitragen."

Die Untersuchung basiert auf den Datensätzen des Familiendemographischen Panels FReDA, des GGS und des SOEP und analysiert für die Zeitspanne von 2005 bis 2022 die Entwicklung von Einsamkeit. Für FReDA werden durch Zufall ausgewählte 30.000 Personen im Alter von 18 bis 53 Jahren einmal pro Jahr zu Einsamkeit befragt.

Quelle: ntv.de

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