Panorama

Senkt Stress, macht gesund "Würde Deutschen guttun, sich mehr zu umarmen"

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Eine 20-sekündige Umarmung kann das Stresslevel deutlich senken.

Eine 20-sekündige Umarmung kann das Stresslevel deutlich senken.

(Foto: picture alliance/dpa)

Am Sonntag findet der erste National Hugging Day seit dem Ende der Pandemie statt. Das gegenseitige Umarmen ist nicht nur gut für die mentale, sondern auch für die körperliche Gesundheit. Psychologen fordern deshalb: Umarmt euch mehr!

Grauer Himmel, kurze Tage, wenig Sonne: In der dunklen und kalten Jahreszeit sind nicht nur die Temperaturen, sondern bei vielen auch die Stimmung im Keller. Doch gegen den Winterblues gibt es ein einfaches Mittel: eine Umarmung. Schon 20 Sekunden in den Armen einer nahestehenden Person können die Laune deutlich heben.

Unter anderem deshalb ruft der National Hugging Day seit 1986 jedes Jahr am 21. Januar zum gegenseitigen Sich-Drücken auf. Coronabedingt wird auf der offiziellen Website des Weltknuddeltags zuletzt zwar explizit davon abgeraten. Aber damit ist jetzt Schluss: Die WHO hat die Pandemie im Sommer 2023 für beendet erklärt. Der 21. Januar 2024 markiert also den ersten Umarmungstag seit dem Ende von Social Distancing und Hygieneregeln.

"Mit mehr Umarmungen könnte es uns allen besser gehen"

Sonya Anders ist Mitglied im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen.

Sonya Anders ist Mitglied im Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen.

(Foto: Sonya Anders)

Viele Menschen hätten sich aber noch nicht so recht wieder an Umarmungen und andere körperliche Nähe gewöhnt, sagt die Psychologin Sonya Anders im Gespräch mit ntv.de. "Obwohl die Pandemie beendet ist, sind sich viele Leute nicht sicher, ob sie ihrem Gegenüber zum Gruß die Hand geben sollen oder lieber nicht. Da gibt es noch immer einen Knick in der Gesellschaft."

Diesen Knick zu überwinden, könne dabei helfen, das "Trauma der Pandemie" zu bewältigen. Es sei an der Zeit loszulassen, sagt Anders: "Wenn die Menschen es wieder schaffen, Umarmungen als etwas Positives zuzulassen, dann wird es uns allen ein Stück besser gehen."

Umarmungen senken Erkältungsrisiko

Prof. Dr. Sebastian Ocklenburg forscht unter anderem zur Psychologie und Neurowissenschaft von Umarmungen.

Prof. Dr. Sebastian Ocklenburg forscht unter anderem zur Psychologie und Neurowissenschaft von Umarmungen.

(Foto: Sebastian Ocklenburg)

Nur, wie genau funktioniert das? Wie können Umarmungen bewirken, dass wir uns besser fühlen? Das erklärt der Psychologe Sebastian Ocklenburg im ntv.de-Interview: "Bei Umarmungen wird das Bindungshormon Oxytocin ausgeschüttet, das dann wiederum die Bindung zwischen den beiden Menschen, die sich umarmen, verstärkt. Wir wissen, dass bei sehr einsamen Menschen das Auftreten psychischer Erkrankungen wahrscheinlicher ist. Bindung ist wichtig für unser Wohlbefinden und für unsere Lebenszufriedenheit."

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Außerdem senkten Umarmungen den Spiegel des Stresshormons Cortisol. Das wirke sich nicht nur auf die mentale, sondern auch auf die physische Gesundheit aus: "Man könnte vielleicht vermuten, dass Leute, die viel umarmen, ein höheres Infektionsrisiko für Erkältungen haben." Doch Untersuchungen hätten das Gegenteil gezeigt. Nämlich, dass Umarmungen die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung senken und - im Falle einer Infektion - die eines schweren Krankheitsverlaufs. "Wenn man weniger Stress hat, funktioniert das Immunsystem besser. Umarmungen senken das Stresslevel. Und deshalb wirken sie sich positiv auf das Erkältungsrisiko aus."

Je mehr Körperfläche, desto besser

Aber muss es eigentlich gleich eine Umarmung sein? Oder reichen ein Händeschütteln oder Schulterklopfen auch schon, um seinem Körper etwas Gutes zu tun? Grundsätzlich haben auch andere Berührungen positive Effekte, sagt die Psychologin und Autorin Ulrike Scheuermann ntv.de. Doch eine Umarmung erzeuge eben ein größeres Nähegefühl. "Daran sind viele verschiedene Sinneszellen in der Haut beteiligt, die eine Umarmung mit Druck, Wärme und Vibration registrieren und zur Aufschüttung von Glückshormonen führen. Das heißt, je mehr Körperfläche ich bei der anderen Person mit meinem eigenen Körper abdecke, desto mehr Rezeptoren werden angesprochen."

Die Psychologin Ulrike Scheuermann beschäftigt sich in ihrem Buch "Freunde machen gesund" unter anderem mit den positiven Effekten von Umarmungen.

Die Psychologin Ulrike Scheuermann beschäftigt sich in ihrem Buch "Freunde machen gesund" unter anderem mit den positiven Effekten von Umarmungen.

(Foto: Christian Schulz)

Was Scheuermann allerdings auch betont, ist, dass eine Umarmung von allen Beteiligten auch gewünscht sein muss. Gerade nach der #metoo-Bewegung habe die Angst zugenommen, Berührungen könnten missverstanden oder falsch ausgelegt werden. "Lange wurden körperliche Übergriffe von Männern gegen Frauen übersehen. Es ist gut, dass wir das thematisieren und da genau hinschauen. Und gleichzeitig müssen wir auch differenzieren. Nicht jede kleine, freundliche Berührung eines Kollegen oder vom Chef ist gleich ein Übergriff."

Wie also geht man nun eine Umarmung korrekt an - bei Fremden oder bei Menschen, die einem nicht so nahestehen? Scheuermann sagt, es gebe keinen eindeutigen Umarmungs-Knigge. Doch klare Kommunikation sei wichtig, um Missverständnisse oder unangebrachte Situationen zu vermeiden. "Ich kann der Person zum Beispiel sagen, dass ich sie gerne in den Arm nehmen würde. Und sie fragen, ob das für sie in Ordnung wäre. Dann bin ich sicher, dass diese Umarmung mit einem Gefühl der Sicherheit stattfindet."

"Würde Deutschen guttun, sich mehr zu umarmen"

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Hinzu kommt außerdem die kulturelle Ebene, sagt Aljoscha Dreisörner gegenüber ntv.de. Er ist Mitglied der Forschungsplattform "The Stress of Life (SOLE) - Processes and Mechanisms underlying Everyday Life Stress". In einigen Kulturkreisen seien Berührungen im Alltag weiter verbreitet, wohingegen in anderen Kulturkreisen eher auf Distanz gesetzt wird. "Zum Beispiel umarmen sich die Menschen im Schnitt in Spanien und Italien deutlich häufiger als in Deutschland."

Wie viel sich umarmt und berührt wird, sage auch etwas über die jeweilige Gesellschaft aus, meint Dreisörner. Dass sich Menschen in Deutschland weniger gegenseitig berühren, sei auch ein Ausdruck der vergleichsweise hohen Betonung von Hierarchien und dem Fokus auf Individualität gegenüber der Gruppe. "Und letztlich sagen die Normen zu sozialen Berührungen auch etwas darüber aus, wie Deutsche sich im Kontext zu anderen Personen sehen."

Aljoscha Dreisörner lehrt und forscht an der Universität Wien.

Aljoscha Dreisörner lehrt und forscht an der Universität Wien.

(Foto: Aljoscha Dreisörner)

Doch die Pandemie habe gezeigt, wie schädlich soziale Distanz sein kann - für Individuen, aber auch für ganze Gesellschaften. Denn körperliche Nähe baue nicht nur Stress ab und stärke das Immunsystem. "Berührungen stillen auch das menschliche Grundbedürfnis, sich zugehörig und behütet zu fühlen", sagt Dreisörner und appelliert: "Es würde den Deutschen guttun, sich häufiger zu umarmen."

Quelle: ntv.de

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