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Demos gegen rechts - und dann? "Endlich fasst sich jeder an die eigene Nase"

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Seit den Enthüllungen rund um ein Treffen zwischen Rechtsextremen, bei dem die Vertreibung von Millionen Menschen geplant wurde, finden in ganz Deutschland Massendemonstrationen statt - hier etwa in Bremen.

Seit den Enthüllungen rund um ein Treffen zwischen Rechtsextremen, bei dem die Vertreibung von Millionen Menschen geplant wurde, finden in ganz Deutschland Massendemonstrationen statt - hier etwa in Bremen.

(Foto: picture alliance/dpa)

Woche für Woche ziehen Hunderttausende auf die Straße - der gesellschaftliche Kampf gegen Rechtsextremismus ist derzeit kaum zu übersehen. Was aber, wenn die Demos abebben? Es gehe nicht darum, dass nun jeder über ein AfD-Verbot grübelt, sagt Bianca Klose von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus im Gespräch mit ntv.de. Notwendig seien viele kleine Schritte: lokale Netzwerke aufbauen oder unterstützen - oder gegenüber dem rechten Onkel Stellung beziehen. Für diese Diskussionen gibt es gleich mehrere Strategien.

ntv.de: Nach den Correctiv-Enthüllungen reißen die Massendemonstrationen gegen rechts nicht ab. Wie überfällig ist diese Reaktion der Gesellschaft im Kampf gegen Rechtsextremismus?

Bianca Klose ist die Gründerin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin. Die MBR ist eines der zentralen Projekte gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Berlin.

Bianca Klose ist die Gründerin der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus in Berlin. Die MBR ist eines der zentralen Projekte gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Berlin.

(Foto: Peter van Heesen)

Bianca Klose: Erstmal ist es sehr ermutigend, dass Menschen jetzt so zahlreich auf die Straße gehen. Eigentlich ist der Kipppunkt schon lange erreicht. Das soll heißen: Wir reden schon lange nicht mehr von einem Rechtsruck. Vielmehr beobachten wir seit vielen, vielen Jahren eine Rechtsentwicklung, eine Normalisierung rechter und autoritärer Positionen und Ideologien. Das bedeutet: Die AfD scheint gerade wegen ihrer Enthemmung und unglaublichen Radikalisierung an Zuspruch gewonnen zu haben. Rechtsextreme, rassistische und antisemitische Narrative sind längst alltäglicher geworden. Um diese Normalisierung ihrer Inhalte zu erreichen, nutzen die Rechtsextremen, Rechtspopulistinnen und Rechtspopulisten ganz unterschiedliche Mittel. Beliebt ist es etwa, unsere demokratischen Begriffe zu entführen und für ihre Zwecke umzudeuten. Dann werden wir plötzlich als Antidemokratin oder Antidemokrat bezeichnet, wenn wir ihren Positionen widersprechen. Oder sie berufen sich auf Meinungsfreiheit und werfen uns Zensur vor.

Sie sagen es: Die Mittel und Thesen der Rechtsextremen und Rechtspopulisten sind nicht neu. Die Reaktion der Gesellschaft ist es hingegen schon. Was haben die Recherchen rund um das Potsdam-Treffen verändert?

Sie haben teilweise zu einem Erwachen geführt. In der Vergangenheit haben viele lieber geschwiegen, eine offene Positionierung für Demokratie und Menschenrechte wurde häufig als mutig und etwas Besonderes angesehen. Jetzt merken viele, dass beides offenbar nicht so selbstverständlich ist, wie lange angenommen. Dadurch reift der Wille, aktiv zu werden. Das heißt, es wird jetzt nicht mehr nur passiv auf die "Problemträger und -trägerinnen", die Rechtsextremen, geschaut. Endlich fasst sich jeder auch an die eigene Nase und fragt sich: Was kann ich als Demokratin und Demokrat tun? Wie kann ich mich einmischen?

Was können die Demonstrationen konkret bewirken?

Man muss den Kampf gegen Rechtsextremismus als Gesamtpaket verstehen - verschiedene Akteure und Strategien greifen ineinander. Die Zivilgesellschaft kann die Politik durch die Demos zum Beispiel massiv unter Druck setzen, tätig zu werden. Da steht etwa das Prüfen eines Parteiverbots im Raum oder der Entzug von Grundrechten. Außerdem macht sie den demokratischen Parteien sehr deutlich: Zu versuchen, die AfD von rechts zu überholen, der AfD hinterherzulaufen oder ihre Themensetzung zu bedienen, ist keine Option. Die Demonstrationen betonen die Brandmauer zum Rechtsextremismus, sie drücken aus, wie sehr Teile der Gesellschaft solche Inhalte ächtet. Diese Ächtung könnte dazu führen, dass immer mehr die AfD als politisch legitime Partei infrage stellen. Die Demonstrationen zeigen die Haltung eines Teils der Zivilgesellschaft, das ist das eine.

Und das andere?

Zum anderen zeigen sie denen, die Rechtsextremismus schon lange bekämpfen, dass sie nicht allein sind. Diesen Effekt darf man nicht unterschätzen. In manchen Orten erzählen uns die jahrelang Engagierten, dass sie eigentlich nicht mehr können. Ihnen schlägt eine solch enorme Drohkulisse entgegen, dass sie weder ein noch aus wissen. Das ist natürlich vor allem in kleineren Städten und Dörfern der Fall, wo der Kampf um eine extrem rechte Hegemonie bereits vor langem begonnen hat und eine extrem rechte Agenda verbreitet ist. Diese Menschen bekommen jetzt Rückenwind. Für sie ist es enorm ermutigend zu sehen, dass es auch an Orten zivilgesellschaftliche Bündnisse geben kann, an denen das schon gar nicht mehr vermutet wurde.

Besteht nicht die Sorge, dass die Engagierten wieder allein dastehen, sobald die Demonstrationen abebben?

Ein Effekt der derzeitigen Mobilisierung ist auch, dass viele erst einmal verstehen, was eigentlich passiert ist. Stichwort Normalisierung von extrem rechten Positionen und hohe Umfragewerte einer sich ständig weiter radikalisierenden Partei. Im zweiten Schritt kommt dann der Gedanke, was kann man dagegen tun - fernab von Demonstrationen. Allerdings darf man eins nicht vergessen: Die jetzige Mobilisierung ist eben nicht nur gegen Rechtsextremismus, sondern auch für unteilbare Menschenrechte. Das heißt, es sind auch andere Effekte möglich, zum Beispiel, dass man schaut, wie man sich aktiv solidarischer verhalten kann. Vielleicht mit Menschen, die von Abschiebung bedroht sind oder anders Opfer rassistischer Politik werden. Im Grunde geht es gar nicht darum, dass jetzt alle nach den großen Schritten streben und sich tagtäglich Gedanken darum machen, wie die AfD verboten werden kann. Wichtiger wäre es, dass sich so viele wie möglich mit kleinen Maßnahmen einsetzen und niedrigschwellig engagieren. Zivilgesellschaft ist nun auch gefragt, vor Ort Netzwerke zu unterstützen oder aufzubauen und so eigene Stärke zu entwickeln - es gilt, der Politik der Angst die Dominanz zu nehmen. Diese Nachhaltigkeit wird zu Recht immer wieder gefordert.

Die Zustimmung für die AfD lag im Osten zeitweise bei mehr als 30 Prozent. Dass die Partei von vielen Menschen verurteilt wird, dürfte den meisten potenziellen Wählerinnen und Wählern längst bekannt sein. Kann die jetzige Mobilisierungswelle sie wirklich noch umstimmen?

Erst einmal bringt es wenig, immer nur auf die 20, 30 Prozent an potenziellen AfD-Wählerinnen und -Wählern zu schauen. Es geht jetzt darum, aufzuzeigen, dass hier Stopp ist. Es geht darum, weitere Machtzuwächse der Partei zu verhindern und vor allem die sich immer weiter entwickelnde Normalisierung von rechts zu beenden. Konkret muss man dann schauen, wer erreicht werden kann. Das sind sicherlich nicht primär die Menschen, die jetzt nach den Enthüllungen in die AfD eingetreten sind oder jene, die ohnehin eindeutig rechtsextreme Ideologeme vertreten. Allerdings gibt es auch viele, die noch erreichbar sind. Mit ihnen lohnt sich die Auseinandersetzung, sei es am Arbeitsplatz, beim Sport oder auf Familienfeiern, wo man bekanntlich wunderbar streiten kann.

Vor einer Diskussion mit Rechten schrecken viele zurück. Oft überwiegt die Annahme, ohnehin nichts bewirken zu können. Bei welchen Menschen sollte man es zumindest versuchen?

Wenn wir darüber sprechen, wer gerade auf die Straße geht, heißt es immer, das sei die Mitte der Gesellschaft. In dieser Mitte gibt es aber auch die, von denen wir wissen, dass sie antidemokratische Positionen vertreten. Das sind viele Menschen, die antisemitische, rassistische, autoritäre Denkmuster haben, ohne rechtsextrem zu sein. Und es gibt in der sogenannten Mitte auch die, die keine Alternative zur AfD sehen oder die "denen da oben" einen Denkzettel verpassen wollen. Gegenüber diesen Menschen muss man sich eindeutig positionieren und Grenzen ziehen. Man kann mit ihnen über die Programme und Ziele extrem rechter Politik, also auch über Begriffe wie "Remigration" und "Deportation", diskutieren. Man muss ihnen die Widersprüchlichkeiten extrem rechter Politik aufzeigen und damit die Konsequenzen ihrer Wahl vor Augen halten.

Wie kann solch eine Diskussion gelingen, ohne nach wenigen Minuten ergebnislos in Frust und verhärteten Fronten zu enden?

Es hilft, sich vorher Gedanken über solche Gespräche zu machen und ein mögliches Szenario im Kopf durchzuspielen. Sich vorher zu fragen, wie genau die eigenen Standpunkte aussehen und zu welchen speziellen Punkten man selbst etwas sagen kann und möchte und zu welchen nicht. Es kann auch Situationen geben, in denen man sich positionieren, aber nicht diskutieren möchte, vielleicht weil jemand im Raum ist, der selbst rassistische Erfahrungen machen musste. Man kann sich auch mithilfe von Argumentationstrainings auf solche Gespräche vorbereiten. Das machen wir von der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus seit 23 Jahren. Wir unterstützen Menschen an ihrem Arbeitsplatz, in ihrem Bekannten- und Verwandtenkreis, handlungs- und sprechsicherer zu werden. Es gibt für solche Diskussionen ja verschiedene Strategien.

Bei rassistischen oder antisemitischen Äußerungen schießt mir als erstes Argument meistens "Das ist doch totaler Unsinn" in den Kopf. Das dürfte wenig hilfreich sein. Welche Strategien sind sinnvoller?

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Konstruktiver wäre es, nachzufragen: Was meinen Sie damit? Warum macht Sie das jetzt so wütend? Man kann auch einen Perspektivwechsel vornehmen: Wie fänden Sie es, wenn so über Sie gesprochen werden würde? Manche machen gute Erfahrungen in Gesprächen, wenn sie versuchen, sich auf gemeinsame Grundlagen zu einigen. Also zu fragen: Sind wir beide der Meinung, dass alle Menschen eine Würde haben, dass niemand diskriminiert werden sollte, dass niemanden Gewalt angetan werden sollte? So lassen sich Äußerungen des Gegenübers, die diesen Grundlagen widersprechen, besser zurückweisen. Oft werden rassistische Äußerungen mit Zahlen gespickt, da könnte man sich überlegen, ob man sich vorher selbst ein, zwei Zahlen anliest. Hilfreich ist es auch, den Gesprächspartner aufzufordern, konkret zu werden und Beispiele, also nachprüfbare Inhalte zu nennen, statt auf Hörensagen zu bestehen. Eine bekannte Argumentationstechnik unter Rechten ist auch das Parolen-Hopping, also dass viele verschiedene Themen schnell hintereinander genannt werden. Da sollte man darauf bestehen, bei einem Thema zu bleiben. Beharrt jemand auf seiner Meinungsfreiheit, kann man erklären, dass ein Widerspruch keine Zensur bedeutet. Und schließlich gibt es den Punkt, an dem man sich klar positionieren muss und sagen muss: Stopp, das war antisemitisch oder rassistisch. Wenn das noch einmal vorkommt, breche ich das Gespräch ab.

Mit Bianca Klose sprach Sarah Platz

Quelle: ntv.de

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