Demokratie im Wutmodus Den Deutschen kann man nicht trauen - manche tun es trotzdem


Über der deutschen Demokratie braut sich etwas zusammen. Oder?
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Wir machen uns sturmfest gegen die neue Rechte - der Staat reagiert gereizt auf den Rechtsruck. Im Fall Maaßen greift er zu undemokratischen Mitteln.
Wenn die Zeichen auf Sturm stehen, gibt es viel zu tun: Markise reinholen, Auto in die Garage, morsche Bäume untersuchen, so etwas. Deutschland hat auch grad viel zu tun, denn offenbar rechnen wir mit einem Sturm der Rechtsextremen. Vielerorts wird emsig gepuzzelt und geregelt und überlegt - manch einer fragt höhnisch, ob der Herr Hitler denn schon höchstselbst vor dem Reichstag stünde.
Als im Bundestag der Sportjournalist Marcel Reif nach der Auschwitz-Überlebenden Eva Szepesi zu Wort kam, begann er mit einer Danksagung. Szepesi gebe "diesem neuen anderen Deutschland mit unfassbar großem Herzen eine zweite Chance", sagte Reif. Das klang versöhnlich. Aber Selbstvertrauen im Sinne von "wir vertrauen uns selbst" scheint es derzeit wenig zu geben.
Der gereizte Staat reagiert nämlich auf den Rechtsruck. Gerade haben die alten Kollegen des früheren Verfassungsschutzpräsidenten Hans-Georg Maaßen ihren früheren Chef öffentlich vorgeführt. Es ist ein bemerkenswerter Vorgang und zeigt, wie aggressiv die Demokratie gegenüber ihren Feinden sein kann.
"Als Rechtsextremist abgespeichert"
Maaßen würde dort in der Behörde nun "als Rechtsextremist abgespeichert", hieß es in Medienberichten. Solche internen Informationen eines Geheimdienstes fallen nicht vom Berliner Lastenrad, die werden strategisch gestreut. Der Verfassungsschutz betreibt nicht erst seit gestern aktive Medienarbeit, aber selten war sie so gezielt und selten war sie so plump. Der Verfassungsschutz, Deutschlands Inlandsgeheimdienst, wähnt sich im Besitz einer wirkmächtigen Etikettiermaschine, mit der man unliebsamen Oppositionsparteien ein paar Prozentpunkte wegetikettieren kann.
Der Verfassungsschutz ist Teil der Idee einer wehrhaften Demokratie. Manche sprechen sogar von einer "militanten". Doch er geht viel zu weit. Man verstehe mich nicht falsch: Maaßen ist ein gefährlicher, verbitterter und leicht zu verwirrender Herr, dem man nicht einmal die Versorgung der Hauskatze anvertrauen sollte, geschweige denn ein öffentliches Amt. Das ist aber das Urteil eines Kolumnisten - und nicht das einer Behörde. Ich unterstehe keiner Aufsicht, die Behörde jener der Bundesregierung. Mich bindet kein einziges Grundrecht, die Behörde alle. Das sind keine kleinen Unterschiede.
Womit genau Maaßen verdient, in einem Rechtsstaat ein Gefahrgut-Schild an die Stirn genagelt zu bekommen, bleibt seltsam nebulös. Das Bundesamt beruft sich auf Anfrage darauf, Maaßens Persönlichkeitsrechte schützen zu wollen, weshalb es leider über Akteninhalte schweigen müsse - da musste die Pressestelle wohl selbst ein bisschen lachen. Das alles widerspricht in jeder Hinsicht den Usancen eines Rechtsstaats: Nämlich Transparenz, Rechtsschutz und Verfahrensregeln.
Widerstand ja, gegen Nazis
Die Idee, man müsse die Demokratie ausgerechnet durch andere Mittel schützen als die Demokratie, ist nicht neu. Man hat sie praktisch für Deutschland erfunden. Denen ist nicht zu trauen, lautete die sehr begründete Vermutung. Weil man ständig damit rechnen muss, dass sich das Herz der Deutschen schon wieder für Rechtsextreme erwärmt.
Wie sehr wir uns misstrauen, zeigt ein Blick ins Grundgesetz. Es gibt ein Widerstandsrecht, wenn die Demokratie nicht mehr hilft (Artikel 20), Regierungen können unliebsamen Bürgern die Grundrechte entziehen ("Verwirkung", Artikel 18) und, klar, man kann eine Partei verbieten (Artikel 21), dann gibt es eine Ewigkeitsklausel, die das Grundgesetz schützt, wenn sonst alles den Bach heruntergeht.
Aber hat die Demokratie denn schon versagt? Die AfD knickt gerade in Umfragen wieder ein. Ob Maaßens "Werteunion" über den Status eines grummeligen Rentner-Stuhlkreises hinausragt, muss sich erst noch zeigen. Ist das jetzt wirklich schon ein Zeitpunkt, in dem wir Demokratie ein Stück weit aufgeben müssen, um die Demokratie vor dem deutschen Volk zu retten?
Für Faschismus gibt es kein Widerrufsrecht
Richtig: Es gibt kein Rückgaberecht für Faschismus. Das ist kein Ramsch, den man im Netz bestellt und nach dem Ausprobieren wieder zurückschicken kann. Es gilt daher das Gebot eines großzügigen Sicherheitsabstands. Die Demokratie muss nicht abwarten, bis auf dem Reichstag eine Hakenkreuzflagge flattert. Man kann ein Haus aber sturmfest machen, ohne es vorsorglich abzureißen.
Eine Demokratie muss nicht zuschauen, wie ihre Justiz demontiert wird. Die Arbeitsregeln des Bundesverfassungsgerichts etwa sind derzeit nicht gut gegen Sturm geschützt. Sie stehen als einfaches Gesetz im Garten wie ein Geräteschuppen: Eine einfache Mehrheit genügt und man könnte Karlsruhe die Arbeit erheblich erschweren. Die Erfahrungen mit rechtsextremen, populistischen Bewegungen in Europa und Donald Trump in den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass man Demokratien am besten direkt am Rückgrat packt, an der Verfassung und dem sie auslegenden Gericht. Stünden diese Arbeitsregeln im Grundgesetz, bräuchte ein rechtsextremes Bündnis immerhin eine Zweidrittelmehrheit.
Eine Demokratie muss nicht zuschauen, wenn Spenden an rechtsextreme Vereine fließen. So etwas zu beobachten, gehört zur Wehrhaftigkeit. Gut, dass Bundesinnenministerin Nancy Faeser da aktiv wird - man hatte nach der verlorenen Hessenwahl ja fast vergessen, wer dieses Amt eigentlich inne hat.
Eine Demokratie muss nicht zuschauen, wenn ihre Beamten die Verfassungstreue verletzen. Das Disziplinarrecht hatte der Bundestag schon im November verschärft, um künftig Richter und Beamte schneller aus dem Dienst entfernen zu können, wenn sie rechtsextreme Inhalte in Chats teilen oder Reichsbürgermythen verbreiten.
Kanzler im "Rage Mode"
Den größten Beitrag gegen Rechtsextreme haben nach den Demonstranten auf der Straße vermutlich die Ampel und die Opposition im Bundestag geleistet. Ich spreche nicht von Gesetzen, keinem "Pakt" - sondern vom Streit in der Haushaltsdebatte.
Da war er nämlich, ein Hauch der demokratischen Polarisierung, von der ich vor zwei Wochen schrieb: Der Kanzler keilte gegen den Oppositionsführer, er war laut, etwas bemüht laut, aber den eigenen Leuten gefiel's ("Ragemode", also Wutmodus, jubelte das aufgekratzte Social-Media-Team der SPD-Fraktion).
Der CDU-Chef Friedrich Merz wiederum warb für weniger deutsche Regulierungsarroganz und kündigte dem Regierungsbündnis die Kooperationsbereitschaft, weil es sich nicht an Vereinbarungen halte. Streit ist gut! Aber Moment - hat Merz damit auch abgelehnt, gemeinsam die Regeln für das Bundesverfassungsgericht im Grundgesetz festzuzurren? Hm.
"Wir sind kurz davor"
In dieser Woche ist das Buch "Remigration" des österreichischen Rechtsextremen Martin Sellner zum Bestseller geworden. Es ist noch nicht einmal erschienen. Hitler steht nicht vor dem Reichstag, aber er war eben auch nie ganz weg.
Eva Szepesi sagte denn auch nicht ausdrücklich, dass sie den Deutschen eine zweite Chance gegeben hätte. Sie sprach von akuter Angst: "Es erschreckt mich, dass rechtsextreme Parteien wieder gewählt werden", sagte sie im Bundestag. "Sie dürfen nicht so stark werden, dass unsere Demokratie gefährdet wird." Die Protokollanten des Bundestags notierten: "Beifall".
Szepesi sagte dann noch: "Wir sind kurz davor."
Quelle: ntv.de