Panorama

Anwältin kämpft für das Klima "Führen unverantwortliches Experiment durch"

314355017.jpg

Roda Verheyen vertritt den Biobauern Ulf-Allhoff Cramer bei seiner Klage gegen den Autobauer VW.

(Foto: picture alliance/dpa)

Roda Verheyen verklagt nicht nur Milliardenkonzerne wie VW und RWE, sondern auch den Staat und die EU. Das wird sie solange tun, bis diese dem Klimawandel entschlossener gegenübertreten. Bei ihrem Kampf verliert sie öfter, als dass sie gewinnt. Doch auch die Niederlagen bieten ihr zufolge große Chancen.

Roda Verheyen muss sich geschlagen geben. Vorerst. Während der Milliardenkonzern VW vor Gericht jubelt, gibt es auf Seite der Anwältin kaum einen Grund dazu. Die Richter entschieden gegen sie - erst in Braunschweig und dann auch in Detmold. Der Autobauer, so die Gerichte, muss sich zu keinem Verbrenner-Aus ab 2030 verpflichten, denn er halte sich ja an die bestehenden Vorschriften. Verheyens Mandanten hatten viel Hoffnung in ihre Klage gegen VW gesteckt, die Anwältin selbst viel Zeit und Energie. Nun steht im Urteil genau das Gegenteil dessen, was sie erreichen wollten: Die Kläger müssen die Emissionen dulden. Eine herbe Niederlage. Und trotzdem: Auch diese Urteile sind für die Juristin ein weiterer, wenn auch kleiner, Schritt zum Ziel.

Für Roda Verheyen ist es bei weitem nicht die erste Niederlage im juristischen Kampf für mehr Klimaschutz. Seit rund 20 Jahren hat sich die Anwältin auf Umwelt- und Energierecht spezialisiert. Die erste Klimaklage führt sie bereits, da ist sie noch nicht einmal Anwältin, wie sie im Gespräch mit ntv.de erzählt. Aus dieser sollen bis heute Dutzende werden. Roda Verheyen verklagt den Staat, Privatunternehmen wie RWE und VW und sogar die EU. In ihrem Buch "Wir alle haben ein Recht auf Zukunft - eine Ermutigung", das heute im dtv-Verlag erscheint, beschreibt sie die größten Momente ihres eigenen, aber auch internationalen Kampfes gegen den Klimawandel vor Gericht.

"Ich mache das", sagt die Anwältin, "weil ich glaube, dass wir im Moment ein unverantwortliches Experiment durchführen, indem wir selbstgesteckte Klimaziele missachten und so, fast wortwörtlich, auf die nächste Gletscherflut warten". Mit Klimawissenschaft beschäftigt sich die 51-Jährige schon lange. Anfang der 2000er verknüpft sie dies schließlich mit ihrem Beruf. Weil nicht nur Menschen auf der Straße, Politiker am Rednerpult und Journalisten in Umweltartikeln für "eine menschenwürdige Zukunft" kämpfen müssen, wie Verheyen in ihrem Buch schreibt, sondern auch die dritte Gewalt im Staat - die Justiz.

Der größte Erfolg

"Die erste Klage war noch ganz niederschwellig", erinnert sich die Anwältin. Gemeinsam mit der Umweltorganisation "Germanwatch" fordert sie von der Exportkreditagentur des Bundes Informationen dazu, inwiefern ihre Geschäfte klimaschädlich sind. "Diesen Fall haben wir größtenteils gewonnen", erzählt Verheyen weiter. Von da an werden ihre Klagen schnell fordernder, die Anliegen ihrer Mandanten umfassender. So fordert sie etwa den Energiekonzern RWE auf, anteilige Kosten für den Hochwasserschutz eines peruanischen Bauern zu tragen. Von der EU verlangt sie, angemessene Klimaschutzziele zu formulieren und von der Bundesregierung ihre eigenen einzuhalten.

ANZEIGE
Wir alle haben ein Recht auf Zukunft: Eine Ermutigung | Klimaschutz ist Menschenrecht – ein Weckruf von Deutschlands bekanntester Klimaanwältin
5
19,99 €
Zum Angebot bei amazon.de

Ihr wohl größter Erfolg geht im April 2021 um die Welt: Das Bundesverfassungsgericht erklärt das Klimaschutzgesetz der damaligen Bundesregierung für teilweise verfassungswidrig. Verheyen vertrat damals einen Teil der Klägerinnen und Kläger. Der Beschluss zwingt die Regierung, ihr lasches Klimaschutzgesetz deutlich nachzuschärfen, da die Freiheitsrechte der Jüngeren andernfalls in ernster Gefahr sind. Vor allem aber stellt er klar: Klimaschutz hat Verfassungsrang - und ist einklagbar. Das klimapolitische Weiter-so ist damit endgültig angezählt, so zumindest die Stimmung damals.

Verheyen nimmt seit dem Beschluss tatsächlich einen Unterschied vor Gericht wahr. "Die Verantwortung zur Umsetzung des Klimaschutzgesetzes ist viel selbstverständlicher", sagt sie. An vielen Stellen erleichtere dies ihre Argumentation. Ein Selbstläufer seien Klimaklagen damit jedoch noch lange nicht.

Die Hürden

Denn konkrete Maßnahmen lassen sich aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts gerade nicht ableiten. Das Verfassungsgericht hat zwar entschieden, dass sich die Regierung an das Pariser Klimaabkommen halten muss, wie genau sie das macht, bleibt allerdings ihr überlassen. Klagen auf konkrete Maßnahmen, etwa auf ein gesetzliches Tempolimit, haben damit nur wenig Erfolgsaussicht. Denn auch, wenn Studien die Klimawirksamkeit dieses Mittels belegen, ist es eben nicht die einzige Möglichkeit, die Klimaziele zu erreichen. Die Wahl trifft nicht die Justiz, sondern die Politik.

Zudem gibt es bisher kaum Rechtsprechung zu Klimaklagen. Diese Gesetze werden die ersten Male in diese Richtung ausgelegt. "Wir nennen das juristisches Hochreck", sagt Verheyen. Im Gegensatz zu anderen Rechtsgebieten müsse beinahe jede Überlegung detailliert begründet werden. Kurzum: Eine gängige Praxis bei den Gerichten muss sich erst noch bilden. Das merke man den derzeitigen Klimaurteilen auch an, kritisiert die Anwältin. So würden etwa einige Richterinnen und Richter denken, das Grundsatzurteil des Bundesverfassungsgerichts gehe nur den Gesetzgeber etwas an. "Das ist allerdings grundfalsch", sagt Verheyen. Alle Gewalten sind gefragt, das Klimaschutzgebot zu wahren. Die Gerichte ihrerseits, so die Anwältin, tun dies jedoch "nur in sehr unterschiedlichem Maße".

Die VW-Urteile seien ein besonders gutes Beispiel. Zwar wurden beide Klagen abgewiesen, die Begründungen der zwei Landgerichte seien jedoch höchst verschieden, erklärt Verheyen. So zweifeln die Richter in Detmold schon an, dass Verheyens Mandant, ein Biobauer aus Detmold, sich als Klimakläger überhaupt auf den zivilrechtlichen Unterlassungsanspruch stützen kann. Das sieht das Landgericht Braunschweig anders. In dem verlorenen Fall gegen den Autobauer müssen Verheyens Mandanten die Emissionen zwar dulden. Wenn die Beeinträchtigung durch den CO2-Ausstoß aber existenzbedrohlich werde, sehe das anders aus, berichtet die Anwältin über das Urteil und fügt hinzu: "Mit anderen Worten: Hätte das Landgericht Braunschweig den Fall aus Detmold entschieden, hätten wir gesiegt."

Warum auch Niederlagen wichtig sind

Sowohl die Juristin als auch die Kläger brauchen einen langen Atem, denn die Mühlen der Justiz mahlen bekanntermaßen langsam. Eine neue Rechtsprechung zu etablieren, ist mühsam. "Es erfordert Rückgrat, vor Gericht für seine Rechte einzustehen", schreibt Verheyen. Viele Verfahren ziehen sich über Jahre - sie erfordern einen hohen persönlichen Einsatz und viel Zeit. Am Ende "verlieren wir viel öfter als wir gewinnen", sagt die Anwältin.

Allerdings - und da liegt der Schlüssel der Klimaklagen - ist nicht jede Niederlage ein reiner Rückschlag. Im Gegenteil: Die meisten Urteile, so die Juristin, "haben Erwägungen, die einem für die nächste Klage helfen". Manchmal sind sie kaum länger als ein Nebensatz am Ende einer Urteilsbegründung, wie etwa im Fall von Braunschweig. In ihrem Buch widmet Verheyen den abgewiesenen Klagen, den augenscheinlichen Niederlagen, ein ganzes Kapitel. Klimaklagen, ob gewonnen oder verloren, seien wie "Steine am Ufer eines Flusses, den man überqueren muss", schreibt sie. Mit der Zeit entstehe ein Pfad, "so kann ich hinübergehen - und ein Gericht kann mir dabei vielleicht folgen und irgendwann auch der Gesetzgeber".

Mehr zum Thema

Ein besonders wichtiger Stein war die Klage gegen die Klimapolitik des Staates vor dem Verwaltungsgericht Berlin im Jahr 2018. Damals weisen die Richter die Klage zwar ab, stellen aber fest, dass Klimaschutz ein Menschenrecht ist und dass es so etwas wie ein CO2-Budget gebe. Ein enormer Durchbruch, denn "damit hatten wir das Rüstzeug, mit dem wir später eine Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht wagen konnten", erklärt Verheyen.

Diese kleinen Erfolge, die Steine, wie sie Verheyen nennt, sind es, die sie und ihre Mandanten motivieren, weiterzumachen. Denn sie haben ihre Ziele, die Politik und Wirtschaft zu mehr Klimaschutz zu bewegen, noch lange nicht erreicht. So geht auch der Kampf gegen die Emissionen von VW in die nächste Instanz - wer ihn dieses Mal gewinnt, entscheidet nun das Oberlandesgericht Hamm.

Quelle: ntv.de

ntv.de Dienste
Software
Social Networks
Newsletter
Ich möchte gerne Nachrichten und redaktionelle Artikel von der n-tv Nachrichtenfernsehen GmbH per E-Mail erhalten.
Nicht mehr anzeigen