Politik

Klimaschutz in Richterrobe Können Gerichte retten, was die Ampel vergeigt?

Viele Klimaschützer wünschen sich mehr Klimaschutzmaßnahmen von der Politik. Einige von ihnen versuchen dies juristisch durchzuboxen.

Viele Klimaschützer wünschen sich mehr Klimaschutzmaßnahmen von der Politik. Einige von ihnen versuchen dies juristisch durchzuboxen.

(Foto: picture alliance / imageBROKER)

Eigentlich wollte die Ampel beim Klimaschutz Tempo machen, nun kommt sie ordentlich ins Straucheln. Umweltorganisationen nehmen das nicht hin - und ziehen vor Gericht. Doch der juristische Kampf ums Klima ist Neuland und hält viele Hürden bereit.

Bundeskanzler Olaf Scholz neigt nicht unbedingt zur Selbstkritik. Bei einem Thema aber, da kommt er kaum drum herum. Im Moment sei er mehr Kriegs- als Klimakanzler, gab Scholz kürzlich im ZDF zu. Als "Klimakanzler" hatte er sich im Wahlkampf plakatieren lassen. Tatsächlich legten SPD, Grüne und FDP zu Beginn der Legislaturperiode ambitioniert los: Die Ampel versprach die Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels aus dem Pariser Klimaabkommen. Mit sogenannten Sektorzielen wurden die Ministerien auf das Einsparen einer Mindestmenge an Treibhausgasen festgenagelt. Von rechtsverbindlichem Klimaschutz war die Rede - ein echter Grund zur Hoffnung in die Politik für viele Klimaschützer.

Rund ein Jahr später ist von dieser Hoffnung nicht viel übrig. Wenn Deutschland so weitermache, sagen Experten, werde es deutlich am Pariser Klimaversprechen vorbeischlittern. Vor allem die Stromerzeugung durch Kohle in der Energiekrise belastet die CO2-Bilanz. Allerdings sind auch andere Sektoren meilenweit von ihren Klimazielen entfernt. Mit jedem Kompromiss zu Lasten des Klimaschutzes bröckelt das Vertrauen von Klimaschützern in die Politik ein Stück mehr. Stattdessen wächst die Hoffnung in eine andere Staatsgewalt.

Immer häufiger ziehen Klimaaktivisten und Umweltorganisationen vor Gericht. 27 Klimaklagen gingen bis zum vergangenen Juni bei den Richterinnen und Richtern in Deutschland ein - Anfang 2023 sind es bereits 46. Auf dem Rechtsweg sollen etwa Mercedes oder VW verpflichtet werden, sich zum Aus des Verbrennermotors bis 2030 zu bekennen. Die meisten Klagen richten sich jedoch gegen den Staat: gegen Landesregierungen oder die Bundesregierung, wie in der jüngsten Klage der Umweltorganisation BUND. Die Forderung der Kläger: Die Ampel soll sich an ihre eigenen Klimaziele halten. "Wenn die Regierung von Olaf Scholz dazu politisch nicht fähig oder willens ist, muss sie gerichtlich dazu verpflichtet werden", fasst BUND-Chef Olaf Bandt das Anliegen zusammen. Doch kann die Justiz wirklich richten, was die Politik alleine nicht schafft?

Klimaurteil nur bedingt hilfreich

Vor knapp zwei Jahren, April 2021, sah es erstmals danach aus. In einem historischen Urteil erklärte das Bundesverfassungsgericht das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition für teilweise verfassungswidrig. Der Grund: Die Politik hatte keine konkreten Klimaschutzpläne für die Zeit ab 2030. Mit ihren bisherigen Maßnahmen wäre das Restbudget an CO2 allerdings bis dahin aufgebraucht. Das, so nahmen die Richter an, müssten dann künftig die Jüngeren ausbaden. Der Staat müsste ihre Freiheitsrechte drastisch beschneiden, um die Folgen des Klimawandels überhaupt noch abfedern zu können. Kurzum: Die Regierung musste deutlich mehr tun, sie durfte Klimaschutz nicht länger auf die lange Bank schieben.

Für Klimaschützer war das Urteil bahnbrechend. "Vor allem, weil das 1,5-Grad-Ziel nun Verfassungsrang hat und damit auch einklagbar ist", erklärt Rechtsanwalt Remo Klinger im Gespräch mit ntv.de. Der Jurist vertrat damals zwei der vier Verfassungsbeschwerden, die zu dem Klima-Urteil führten. Seitdem hat er als Anwalt der Deutschen Umwelthilfe viele Klimaklagen vertreten - mit hoher Erfolgsquote. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts habe anderen Gerichten Rückendeckung gegeben, sich bei Klimaklagen für den Klimaschutz zu entscheiden, so Klingers Eindruck. Allerdings, betont der Jurist, dürfe man das Urteil und die Macht der Gerichte auch nicht überbewerten.

Denn konkrete Maßnahmen lassen sich aus dem Urteil gerade nicht ableiten. "Es wäre naiv zu denken, ich gewinne nun jede Klage gegen klimaschädliche oder auf klimaschonende Maßnahmen", sagt Klinger. Das Verfassungsgericht habe lediglich entschieden, dass sich die Politik an das Pariser Abkommen halten müsse. Die Gesamtemissionen Deutschlands dürfen nicht dazu führen, dass das Klimaversprechen nicht mehr eingehalten werden kann. "Wie die Politik das macht, bleibt allerdings ihr überlassen", so Klinger. "Schon im Sinne der Gewaltenteilung."

Wo Klimaklagen ansetzen

Da liegt die Tücke der Klimaklagen. "Ein Fokus unserer Verfahren liegt daher darauf, auszuloten, welche neuen rechtlichen Wege man gehen kann und sollte." Viele Verfahren - vor allem solche, die auf einzelne konkrete Maßnahmen gerichtet sind - lehne er aber von vornherein ab. Denn die Gerichte machen ihre Grenzen sehr deutlich. Viele Klimaklagen, etwa auf mehr Klimaschutz durch die Bundesländer, hatten vor Gericht keine Chance. Erst vor wenigen Wochen erteilte der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts auch einer Verfassungsbeschwerde auf ein allgemeines Tempolimit eine Absage. Die Begründung: Die Beschwerdeführer haben nicht eindeutig belegt, dass die Klimaziele ohne Tempolimit nicht erreicht werden können.

Natürlich kennt auch das Verfassungsgericht jene Studien, die belegen, dass eine Geschwindigkeitsbegrenzung auf 120 Stundenkilometer ein besonders effektives Mittel zum Einsparen von CO2 wäre. Noch dazu im Verkehrssektor, der seine Klimaziele ohnehin deutlich reißt. Doch darum geht es dem Gericht nicht. "Mit gesundem Menschenverstand betrachtet, ist das Tempolimit vernünftig. Rechtlich ist es aber nur eine Maßnahme von vielen, um die Klimaziele zu erreichen - wenn die Regierung denkt, darauf verzichten zu können, muss sie andere und ebenso wirksame Maßnahmen nennen", erklärt Klinger. Es liege daher beim Staat, zu entscheiden, ob man diese Maßnahme nutzen möchte oder nicht. Gerichtlich kann man sie nicht einklagen, weil es theoretisch noch andere Möglichkeiten zur Emissionsminderung gibt.

Die Justiz kann die Politik also zum Spielfeld tragen, die Spieltaktik obliegt jedoch allein Regierung und Gesetzgebung. Allerdings - und da setzt Klinger an - gibt es Regeln. So muss sich die Politik an das Klimaschutzgesetz halten und etwa ein geeignetes Klimaschutzprogramm aufstellen. Ein Programm hat die Ampel zwar vorgelegt, "es kommen allerdings alle Gutachten zu dem Ergebnis, dass es die Klimaziele drastisch verfehlt", sagt Klinger. "Also klagen wir auf ein geeignetes Programm. Die Regierung muss Farbe bekennen und alle Maßnahmen in das Klimaschutzprogramm aufnehmen, die für die Erreichung der Klimaziele erforderlich sind." Was genau drin steht, so der Jurist, ist Sache der Bundesregierung. Die Hauptsache sei, dass damit die Klimaziele erreicht werden können und die Menschen wissen, was auf sie zukommt. Laut Klimaschutzgesetz soll Deutschland bis 2030 insgesamt 65 Prozent Emissionen im Vergleich zu 1990 einsparen und bis 2045 klimaneutral werden.

"Renitenz" im Verkehrsministerium

Ähnlich ist es bei den Klimaschutz-Sofortprogrammen. Diese muss die Regierung aufstellen, sobald die Emissionen eines Sektors höher ausfallen als vereinbart. Klinger erinnert an Bundesverkehrsminister Volker Wissing, der ein solches Programm im vergangenen Jahr vorlegte. "Das war so grob untauglich, dass es einer Renitenz gegen den Klimaschutz gleichkam", beklagt der Jurist. Tatsächlich kam auch der Expertenrat der Regierung zu dem Ergebnis, dass Wissings Maßnahmen nicht ausreichen. An diesem Punkt setzt die jüngste Klage des BUND gegen die Regierung an: Nun sollen die Richter Wissings Haus dazu bringen, ein ernstes Sofortprogramm zu entwickeln.

Dass die FDP beharrlich versucht, das Konstrukt der Sektorziele abzuschaffen, ist vor diesem Hintergrund wenig überraschend. Grüne und SPD halten bisher daran fest - obwohl auch der Gebäudesektor, vertreten durch das Wirtschaftsministerium unter dem Grünen Robert Habeck und das Bauministerium unter Klara Geywitz von der SPD, sein Sektorziel reißt. "Die Regierung macht kein Geheimnis daraus, dass sie ihre Klimaziele nicht einhält", sagt Klinger. "Sie setzt sich aber trotzdem nicht hin, um das zu ändern." Erst vor zwei Wochen blieb ein Koalitionsausschuss zum Thema Klima und Verkehr ergebnislos. Mit den Ansprüchen aus dem Klimaschutzgesetz hat die Bevölkerung zumindest einen Hebel, juristisch dagegen vorzugehen.

Anders sieht dies bei Klimaklagen gegen Unternehmen aus. Das Klimaschutzgesetz und die Grundrechte verpflichten lediglich den Staat und auch an das Pariser Klimaabkommen sind sie nicht direkt gebunden. Trotzdem hat Klinger für die Deutsche Umwelthilfe Klage gegen den Autohersteller Mercedes eingereicht, während Greenpeace ein ähnliches Verfahren gegen VW führt. "Diese Klagen sind gedankliche Weiterentwicklungen der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts", erklärt der Jurist. "Müssen diese Firmen nicht zu bestimmten Emissionsgrenzen verpflichtet werden, um die Klimaziele Deutschlands nicht zu konterkarieren?" Das könne nur der Gesetzgeber, nicht die Gerichte entscheiden, führte das Landgericht Stuttgart aus. Die DUH musste sich in erster Instanz geschlagen geben. Eine Entscheidung in zweiter Instanz steht jedoch ebenso aus wie ein endgültiges Urteil im Prozess gegen VW.

Klimaschutz wird an Schlagkraft gewinnen

Im Moment scheint es unwahrscheinlich, dass Unternehmen rechtlich zur Einhaltung des Pariser Klimaabkommens gezwungen werden können. Allerdings könnte sich das in den nächsten Jahren ändern, sagt Claudio Franzius, Professor für Verwaltungs- und Umweltrecht an der Universität Bremen, im Gespräch mit ntv.de. "Natürlich können die Gerichte die Welt nicht retten, allerdings spiegeln sie immer das wider, was in der Gesellschaft passiert." Der Klimawandel werde als gesamtgesellschaftliches Thema immer größer, so Franzius. Zwangsläufig entwickle sich so eine Rechtsprechung zu immer mehr klimapolitischen Fragen. "Und dabei ist nichts in Stein gemeißelt."

Dies deuteten die Verfassungsrichter bereits in ihrem wegweisenden Klimaurteil an. So gewinnt der nun verfassungsrechtlich verankerte Klimaschutz an Schlagkraft, umso weiter der Klimawandel voranschreite, wie die Bundesverfassungsrichterin Gabriele Britz in einem Aufsatz zu dem Klimaurteil von 2021 schrieb. Meint: Je dringender eine Maßnahme, desto entschiedener können die Gerichte zugunsten des Klimaschutzes entscheiden - auch, wenn dies heftige Eingriffe in andere Freiheitsrechte bedeutet.

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Für Franzius ist weniger entscheidend, ob Klimaschützer nach Gerichtsprozessen Grund zum Jubeln haben oder nicht. "Viel wichtiger als der Sieg ist es doch, Klimaschutz auf die Bühne zu bringen", erklärt der Umweltrechtler. Dabei spielten Gerichte ebenso eine große Rolle wie Medien oder Aktivisten, die sich auf Autobahnen kleben. So werde ein Prozess angestoßen. "Und genau darum geht es doch bei den Klimaklagen."

Die Justiz spielt durchaus eine wichtige Rolle bei der Erreichung der Klimaziele. Allerdings wäre es ein Trugschluss, alle Hoffnung in sie zu legen. Sie kann der Politik zwar Druck machen, Gesetzgeber und Regierung aber nicht ersetzen. Denn ihr Spielraum begrenzt sich auf das, was bereits in den Gesetzbüchern und Verfassungen steht. Das heißt: Wo kein Recht, da kein Klimaurteil. Der Spielball bleibt im Feld des Klimakanzlers und seines Kabinetts.

Quelle: ntv.de

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